Kommentar

Ehrgeiziges Zukunftspapier


Einen Stein der Weisen darf man sicher auch von dem neuen Weißbuch nicht erwarten, das Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen heute vorgestellt hat. Darin passt die Bundesrepublik ihre sicherheitspolitische Strategie den neuen Herausforderungen an.

Einen Stein der Weisen darf man sicher auch von dem neuen Weißbuch nicht erwarten, das Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen heute vorgestellt hat. Darin passt die Bundesrepublik ihre sicherheitspolitische Strategie den neuen Herausforderungen an.

Von Dr. Gerald Schneider

Bürgerkrieg in Syrien, IS-Terror im Nahen Osten und in europäischen Metropolen, die Ukraine-Krise, marodierende Boko-Haram-Terroristen in Nigeria, zerfallende Staaten und Schleuserunwesen in Nordafrika, Cyberattacken, hybride Kriegsführung - die Liste der sicherheitspolitischen Herausforderungen ließe sich nahezu beliebig fortsetzen. Derzeit findet kaum ein Akteur auf der weltpolitischen Bühne einen Ansatz, um mit diesen Krisen und Konflikten umzugehen.

Einen solchen Stein der Weisen darf man sicher auch von dem neuen Weißbuch nicht erwarten, das Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen heute vorgestellt hat. Darin passt die Bundesrepublik ihre sicherheitspolitische Strategie den neuen Herausforderungen an. Ob das gelingt, ist allerdings fraglich. Denn neben dem politischen Willen ist eine Bundeswehr notwendig, die mit ihrem Personal und ihrer Ausstattung diese Aufgaben erfüllen kann. Und da hinkt die Realität den schwarz auf weiß niedergelegten Ansprüchen und Wünschen häufig hinterher.

Deutschland will mehr Verantwortung in der Welt übernehmen

Mehr Verantwortung will Deutschland in Zukunft in der Welt übernehmen. 2014 haben diesen Anspruch von der Leyen, Bundespräsident Joachim Gauck und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bei der Münchner Sicherheitskonferenz formuliert. Stärke und Bedeutung der Bundesrepublik, so lautet die Begründung, seien derart gestiegen, dass "Gleichgültigkeit keine Option" (von der Leyen) sei. Daraus leitet sich nun der Geist des neuen Weißbuchs ab. Doch das hat seinen Preis. Derzeit gibt die Bundesrepublik etwa 1,2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Verteidigung aus. 2016 sind das rund 34,3 Milliarden Euro. Eine Menge Geld. Dennoch werden Flugzeuge für Ersatzteile ausgeschlachtet, eine Fregatte konnte nicht ablegen, weil auch aus ihr Ersatzteile für ein Schwesterschiff im Einsatz ausgebaut werden musste, die Truppe klagt über Panzer, die nicht fahren, und dann kommen immer wieder Pleiten bei der Rüstungsbeschaffung hinzu.

Eine bessere Ausstattung der Truppe ist unerlässlich



Wenn Deutschland mehr leisten will, wird das ohne eine bessere Ausstattung der Truppe und damit weitere Milliarden nicht funktionieren. Das ist auch zunächst das erklärte Ziel. Die Nato hat als Richtwert für die Verteidigungshaushalte der Mitgliedstaaten zwei Prozent der Wirtschaftsleistung ausgegeben. Für Deutschland wäre das also nahezu eine Verdopplung. Ob dazu der politische Wille reicht? "Noch stärker als bisher müssen wir für unsere gemeinsamen Werte eintreten und uns für Sicherheit, Frieden und eine Ordnung einsetzen, die auf Regeln gründet", schreibt Bundeskanzlerin Angela Merkel im Geleitwort des neuen Weißbuchs.

Mehr Verantwortung bedeutet auch Auslandseinsätze

Mehr Verantwortung. Das bedeutet auch die Beteiligung an Auslandseinsätzen. Führung will Deutschland verstärkt übernehmen und damit zum Gestalter werden. Mit der Übernahme von Transportaufgaben, während etwa französische und amerikanische Soldaten in den Kampf ziehen, wird es nicht mehr getan sein. Wird man sich auf Einsätze wie in Afghanistan einlassen, deren Bilanz weit hinter den Zielen herhinkt? Darauf antwortet das neue Weißbuch eher indirekt. Man wolle die "Strategiefähigkeit" ausbauen, um besser beurteilen zu können, wann, wo, wie und unter welchen Bedingungen sich die Bundeswehr an Auslandseinsätzen etwa von Vereinten Nationen oder Nato beteiligen will. Was hier auf Seite 57 des Papiers festgehalten ist, ist nicht weniger als das Eingeständnis, dass es bislang keine objektiven Kriterien für den Auslandseinsatz der Truppe gegeben hat. Mit gutem Willen alleine wird sich das nicht ändern.

Die Umsetzung allein zählt

Alles in allem spiegelt das Weißbuch die gegenwärtige Sicherheitslage wider und bemüht sich redlich darum, adäquat und ressortübergreifend darauf zu reagieren. Herausforderungen und Defizite sind den Autoren durchaus bewusst. Gradmesser für den Erfolg wird allerdings die Umsetzung sein. Angesichts der nahenden Bundestagswahl ist nicht mehr viel Zeit. In den ersten Monaten des kommenden Jahres sollte sich schon abzeichnen, wie ernst es der Regierung mit dem Weißbuch tatsächlich ist. Daran wird sich dann auch Ursula von der Leyen messen lassen müssen.