Hannover/Wolfsburg
Ende einer Freundschaft? Aktionäre schreien VW-Manager an
22. Juni 2016, 12:00 Uhr aktualisiert am 22. Juni 2016, 12:00 Uhr
Tag der Abrechnung bei Volkswagen: Die erste Hauptversammlung in der Diesel-Krise wird für die Konzernführung zum Spießrutenlauf. Nach monatelangen Skandalmeldungen wollen die Aktionäre endlich mitreden. Die Stimmung ist explosiv, das Ende offen.
Kriminelle Energie, Vollkasko-Mentalität, Täter statt Opfer - schon die Wortwahl der ersten Redner auf der VW-Hauptversammlung zeigt unmissverständlich: die Stimmung unter den Aktionären ist vergiftet. Gleich der erste, Manfred Klein aus Saarbrücken, wird in seiner auf fünf Minuten begrenzten Redezeit deutlich: "Hier wurde ohne rot zu werden gelogen und betrogen", brüllt er ins Mikrofon - er spricht von Dieselgate, dem Betrug bei Abgaswerten von Millionen Autos und der Aufklärung des Skandals. "Was erdreisten Sie sich eigentlich?" Nach wenigen Minuten wird ihm der Ton am Mikrofon abdreht - er habe zu lange geredet. Auf den Monitoren in der Messehalle in Hannover können die Besucher nur noch seine hektischen Gesten sehen.
Klein ist an diesem Mittwoch mit seiner Meinung nicht alleine. Das zeigt sich bei der ersten Abstimmung. Die Inhaber Zehntausender Stammaktien fordern, VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch die Versammlungsleitung zu entziehen. Gegen die Macht der Großaktionäre, darunter vor allem die Familien Porsche und Piëch, haben sie zwar keine Chance. Aber ihr Ärger spiegelt die Stimmung im Saal. Die heile und erfolgsverwöhnte Volkswagen-Welt ist aus den Fugen geraten. Mehr noch: Die ungeklärte Schuldfrage für die millionenfache Manipulation an Diesel-Motoren steckt auch mehr als neun Monate nach Bekanntwerden wie ein Stachel im Fleisch der Aktionäre. Immer wieder ist vom Konzernversagen die Rede.
Pötsch selbst betonte bereits vor der Hauptversammlung, dass dem Unmut mit Demut begegnet werden müsse. Immerhin habe sich VW die Krise selbst eingebrockt. Als einst zweitmächtigster Vorstand neben dem zurückgetretenen Vorstandschef Martin Winterkorn ist Pötsch für viele ein rotes Tuch. Dass die mächtigen Familien Porsche/Piëch, das Land Niedersachsen und der Wüstenstaat Katar Pötsch das Vertrauen aussprechen, ändert daran nichts. Reihenweise betonen die Redner, dass sie Pötsch nicht in den Aufsichtsrat wählen wollen. Die Nachwahl ist nötig, da Pötsch im Oktober nur per Gericht in das Kontrollgremium bestellt wurde. Zu früh, sagen andere Kritiker, denn im Normalfall schreibt der Kodex für gute Unternehmensführung eine Pause von zwei Jahren vor - um Interessenskonflikte zu verhindern. Pötsch aber wechselte innerhalb von wenigen Stunden die Schreibtische.
Aber nicht nur an der Person Pötsch scheiden sich an diesem Tag in Hannover die Geister. Auch die für den Abend erwartete Entlastung des Vorstandes für das Krisenjahr 2015 darf als Seismograph für die Stimmung gelten. Bereits vor knapp vier Wochen hat der Aufsichtsrat empfohlen, die aktuellen Vorstände und auch die seit Diesel-Gate ausgeschiedenen Mitglieder wie Ex-Konzernchef Martin Winterkorn zu entlasten. Mit dem Vertrauensbeweis soll der Vorstand in der stürmischen See Rückenwind erhalten und der Markt beruhigt werden. Ob das so kommen wird, muss abgewartet werden.
Immerhin sorgte Anfang der Woche eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig für Schlagzeilen: Nach einer Anzeige der Finanzaufsicht Bafin wegen möglicher Marktmanipulation ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Winterkorn und den amtierenden VW-Markenchef Herbert Diess. Die Bafin zweifelt daran, dass VW die Finanzwelt im September ordnungsgemäß über den Dieselskandal informiert hat. Aus Sicht des Vorsitzenden der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Ulrich Hocker, ist eine Aufarbeitung der Krise mit den bisherigen internen Ermittlungen nicht möglich.
Die VW-Aktie habe 50 Prozent eingebüßt, VW stehe vor einem Trümmerhaufen, betont Hocker. Deshalb müsse ein Sonderprüfer bei VW eingesetzt werden. Nur so könne etwa geklärt werden, wann der Vorstand Kenntnis von der Manipulation von Abgaswerten bei Dieselmotoren hatte. An einer Sache werde aber auch die Aufklärung nichts ändern: "Den VW-Konzern, wie wir ihn vor dem 18. September kannten, wird es nicht mehr geben." Zumindest in diesem Punkt werden ihm auch Pötsch und der Vorstand nicht widersprechen.