Kommentar zum EU-Gipfel
Kein Schritt voran
8. März 2016, 21:27 Uhr aktualisiert am 8. März 2016, 21:27 Uhr
Ein Durchbruch? So weit will am Morgen danach kaum einer gehen. Noch mehr Zeit sei nötig. Das, was der türkische Ministerpräsident Ahmed Davutoglu da am EU-Gipfel in Brüssel präsentiert hat, war wohl doch zu überraschend. Die Türkei will deutlich mehr tun, um den Flüchtlingsdruck von Europa zu nehmen - erwartet dafür aber auch mehr Gegenleistungen. Doch die Begeisterung hält sich in Grenzen.
Beim nächsten Gipfel Ende der kommenden Woche will man wieder reden. Die Aussichten auf eine Lösung sind allerdings eher trübe.
Diesem Partner sollte man sich nicht auf Gedeih und Verderb ausliefern
So sollen die EU-Staaten Flüchtlinge, die auf illegalem Weg Europa erreicht haben, in die Türkei zurückschicken können. Für jeden dieser zurückgeschickten Flüchtlinge schickt die Türkei je einen auf legalem Weg Richtung Norden. Für dieses Entgegenkommen soll die EU noch mal drei Milliarden Euro auf den Tisch legen, damit die Flüchtlinge in der Türkei versorgt werden können. Davutoglu jubelte schon, die Visaerleichterung - oder gar Visafreiheit - komme frühzeitiger als erwartet und der EU-Beitrittsprozess werde sich beschleunigen. Kaum zu glauben, dass es bei den jetzt erhobenen Forderungen bleiben wird. Und ein Blick auf die Verhältnisse in der Türkei zeigt: Diesem Partner sollte man sich lieber nicht auf Gedeih und Verderb ausliefern.
Nach der Zeitung Zaman steht nun auch eine Nachrichtenagentur unter staatlicher Kontrolle. Eine Kundgebung zum Weltfrauentag hat die Polizei aufgelöst. Ankara geht weiter mit harter Hand gegen die Kurden vor. Und Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan drohte unverhohlen, er könne jederzeit die Grenzen in Richtung Bulgarien und Griechenland öffnen. Kann sich die EU mit einem Land, das europäische Werte so mit Füßen tritt, wirklich auf Geschäfte einlassen, bei denen Ankara die Bedingungen diktieren kann? Die Türkei macht schon jetzt klar: Ihr braucht uns mehr, als wir euch - wir haben euch in der Hand.
Europäische Lösung in weiter Ferne
Doch da war doch noch was? Ach ja, die Verteilung von Flüchtlingen auf die gesamte EU. Denn genau das sollte mit den Flüchtlingen geschehen, die die Türkei schicken würde. Bundeskanzlerin Angela Merkel rückt kein bisschen von ihrem Vorhaben ab, hierzu eine europäische Lösung zustande zu bringen. Diese liegt auch nach der Brüsseler Gipfelnacht in weiter Ferne. Kaum ein Land steht hier an Merkels Seite. Und warum war offenbar der italienische Premier Matteo Renzi der Einzige, der bei einer Vereinbarung der Türkei ein Bekenntnis zur Pressefreiheit abverlangen wollte? Geht es wirklich so schnell, die eigenen Werte zu vergessen, wenn an anderer Stelle der Druck nur groß genug ist?
Die Staats- und Regierungschefs taten nun das, was sie in der Flüchtlingskrise schon viel zu lange tun: Sie vertagten konkrete Entscheidungen. Am 17. und 18. März, also nach dem Landtagswahlsonntag in drei Bundesländern am 13. März, wollen sie wieder in Brüssel zusammenkommen. Es gehört nicht viel prophetische Gabe dazu, um zu prophezeien, dass auch dann nicht viel herauskommen wird. Etwas mehr Grenzsicherung, ein paar Zusagen hier, ein paar Bekenntnisse dort. Doch für einen Durchbruch haben sich zu viele Staatenlenker bereits zu sehr festgelegt. Warum sollten die osteuropäischen Regierungen nun plötzlich für eine Aufnahme von Flüchtlingen sein? Warum soll Österreich von seiner Obergrenze abrücken? Und warum sollte das Nicht-EU-Land Mazedonien nun die Grenzen öffnen - selbst wenn im Abschlusspapier des Gipfels nicht von einer ausdrücklichen Schließung der Balkanroute die Rede ist?
In dieser Frage hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) durchgesetzt. Ihr Kurs in der Flüchtlingsfrage bleibt. Warnungen der Partner, man dürfe sich nicht einseitig von der Türkei abhängig machen, ignoriert sie. Auch Merkel hat sich festgelegt. Sie wird ebenso bei ihrer Position bleiben wie ihre Kollegen. Es bleibt bei der Konfrontation. Von Lösungen ist die EU damit weit entfernt. Dem Zeitpunkt des Auseinanderbrechens ist die dagegen wieder ein Stück nähergekommen. Die Erpressungsstrategie der Türkei tut ihr Übriges dazu.