Kommentar
Kurs auf Diktatur
18. Juli 2016, 20:34 Uhr aktualisiert am 18. Juli 2016, 20:34 Uhr
Mehr Erdogan, weniger Demokratie. Diesen Weg schlägt die Türkei nach dem gescheiterten Militärputsch ein. Ein Kommentar.
Dass Präsident Recep Tayyip Erdogan auf den versuchten Coup hart reagieren würde, war klar. Doch nun entfernt sich die Türkei immer weiter von der europäischen Wertegemeinschaft. Mit seiner "Säuberungsaktion", der bereits Tausende Staatsdiener zum Opfer gefallen sind, und seinen Gedankenspielen über die Wiedereinführung der Todesstrafe wird das Land immer mehr zu einer Diktatur. Mit Europa hat das nur noch wenig zu tun. Das bedeutet: Die EU-Beitrittsverhandlungen müssen abgebrochen werden, die Nato muss politischen Druck auf ihr Mitgliedsland ausüben und jeder Türkei-Urlauber muss wissen, dass er indirekt Erdogan stärkt.
Doch das mit dem politischen Druck ist so eine Sache. Welchen Hebel hat denn der Westen? Mit dem Flüchtlingsdeal, der mit dazu beigetragen hat, dass die Flüchtlingszahlen deutlich nach unten gegangen sind, hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel von Ankara abhängig gemacht. Nur mit diesem Abkommen war sie in der Lage, ihren Kurs durchzuziehen, der da heißt: europäische und internationale Lösungen, keinen nationalen Alleingänge. Wie sie diesen Kurs gegenüber der Türkei im Lichte der aktuellen Ereignisse durchhalten will, werden die kommenden Tage zeigen. Festzuhalten bleibt überdies: Die Türken stehen offenbar mehrheitlich zu ihrem Präsidenten. Das macht es für den Westen umso schwerer, auf die Entwicklung Einfluss zu nehmen. Doch das ständige Lavieren, das der Westen gegenüber der Türkei immer wieder praktiziert, ist falsch. So übt man zwar wiederholt Kritik an Erdogan, wertet das Land aufgrund der Rolle im Kampf gegen den IS, den Flüchtlingsdeal und sogar EU-Beitrittsverhandlungen aber ständig weiter auf. Dies alles zeigt die Unentschlossenheit Europas, die Erdogan für seine Zwecke ausnutzt.
In Zukunft muss es heißen: Klare Kante gegenüber Ankara. Wer die Wiedereinführung der Todesstrafe erwägt, mit eiserner Hand alle missliebigen Personen aus dem Staatsapparat tilgt, gegen die freie Meinung und Journalisten vorgeht, die eigene Verfassung ignoriert und mit alledem auch Europa eine lange Nase dreht, kann kein Partner sein. Offenbar versteht Erdogan nur die Sprache von Stärke, Druck und Entschlossenheit. Dem Westen muss dann aber auch klar sein: Viele Probleme, von der Flüchtlingskrise über den Anti-Terror-Kampf bis hin zum Bemühen um ein Ende des syrischen Bürgerkriegs und eine Stabilisierung der Region, muss er nun alleine lösen. Die Türkei fällt als verlässlicher Mitspieler aus.