Orlando
Orlando am Tag nach der Bluttat: Die Suche nach dem "Warum?"
13. Juni 2016, 15:33 Uhr aktualisiert am 13. Juni 2016, 15:33 Uhr
Schon kurz nach dem verheerenden Massaker im Schwulenclub "Pulse" laufen die Spekulationen über die Motive des Täters auf Hochtouren. So mancher hat sich bereits eine feste Meinung gebildet - und schlachtet das Thema für politische Zwecke aus.
Grelle Scheinwerfer erhellen die nächtliche Kulisse auf der Straße in Orlando. Polizeiwagen versperren den Weg. Die Straßen rund um das "Pulse" sind weiträumig abgesperrt. In dem Club, in dem ein 29-jähriger Mann in der Nacht zuvor das wohl grausamste Blutbad eines Einzeltäters in der Geschichte der USA anrichtete, werden noch immer Spuren gesichert. Fast 24 Stunden nach der Tat ist nicht viel mehr klar als das, was niemand wahrhaben will: 50 Menschen sind tot, 53 weitere verletzt, darunter viele schwer.
Vor dem gelben Absperrband haben sich etliche Journalisten positioniert. Ab und an kommen Schaulustige vorbei. Die Szene wirkt surreal.
Während am Tatort stumm das Blaulicht der zahlreichen Polizeiwagen durch die Nacht zuckt, wird im Rest des Landes längst hitzig und verbissen über die Konsequenzen der Tragödie debattiert. Strengere Waffengesetze fordern die einen, schärfere Sicherheitsvorkehrungen gegen Terrorismus und einen härteren Umgang mit mutmaßlichen Islamisten die anderen. Jeder will die Deutungshoheit gewinnen.
Der Islamische Staat (IS) behauptet, seine Finger mit im Spiel gehabt zu haben. Der Todesschütze Omar Mateen soll sich in einem Anruf bei der Polizei zu der Terrormiliz bekannt haben. Vater und Ex-Frau Mateens beschreiben ihn als nicht sehr religiös, aber psychisch labil und gewalttätig.
Und Donald Trump twittert. Orlando sei erst der Anfang, er habe es gewusst und nicht umsonst ein Einreiseverbot für Muslime gefordert, schreibt der umstrittene Republikaner, der seine Partei wohl in die Präsidentschaftswahl im Herbst führen wird. Es ist nicht seine einzige Nachricht in dem Kurznachrichtendienst. Später fordert er Präsident Barack Obama zum Rücktritt auf.
Andere nutzen das Massaker ebenfalls für ihre politischen Zwecke. Etwa der republikanische Hardliner Ted Cruz, der ähnlich wie Trump von Obama fordert, er solle das Wort "radikal-islamischer Terrorismus" in den Mund nehmen.
Dabei ist zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht klar, was den Täter bewegte. Die Ermittlungsbehörden und auch Obama selbst weisen ausdrücklich darauf hin, dass es aus ihrer Sicht zu früh ist, um ein Urteil zu fällen.
Ein Urteil darüber, was Mateen dazu brachte, in ein Auto zu steigen, rund 170 Kilometer weit zu fahren, dann in einen Club zu gehen und das Feuer auf feiernde Menschen zu eröffnen. Mit einem Sturmgewehr. Einer Waffe, wie sie so ähnlich auch beim Militär benutzt wird. Einer Waffe, die für Schützen hergestellt wurde, die in kürzester Zeit sehr viele Schüsse mit hoher Präzision abgeben wollen. Einer Waffe, die er ganz legal kaufen konnte.
Mehr als 300 Menschen, so heißt es später, waren da, als das Grauen begann, viele von ihnen auf der Tanzfläche. Das "Pulse" ist ein überaus beliebter Club in Orlando, immer voll, besonders an diesem Samstagabend. Schließlich ist Juni der "Gay Pride Month", in dem Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle die Fortschritte feiern, die sie nach langen Jahren gesellschaftlicher Diskriminierung erreicht haben.
Man kann nur erahnen, was für entsetzliche Szenen sich in den verzweigten Gängen des Clubs abgespielt haben. Der Täter nahm Geiseln, hätte vielleicht noch viel mehr Unschuldige niedergemetzelt. Nach drei Stunden stürmt die Polizei gewaltsam. Mateen wird erschossen.
Ein Mitarbeiter eines nahen Schnellrestaurants war da gerade vor der Notaufnahme, um Essen auszuliefern. Seine Eindrücke fasst er am Tag darauf mit einem Wort zusammen: "Schrecklich." Auch die 24-jährige Brooke Mielke ist noch immer fassungslos. Sie wohnt in der Gegend, war selbst schon in dem Club. Jetzt steht sie vor der Absperrung und schüttelt den Kopf. "Das ist meine Heimatstadt", sagt sie. Und ja, sie habe Angst vor Terror. "Das ist so alarmierend."
Eine Gruppe junger Männer nähert sich, reden wollen sie nicht. "Wir haben Freunde, die gestern dort waren", sagt einer. "Wir haben noch nichts von ihnen gehört."