Interview
Peter Altmaier: "Europa hat bisher keine gute Figur gemacht"
1. Februar 2016, 17:00 Uhr aktualisiert am 1. Februar 2016, 17:00 Uhr
Als Flüchtlingskoordinator managt Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) die Politik der Bundesregierung. Vom Asylpaket II erwartet er sich schnellere Verfahren, wie er im Interview mit unserer Zeitung sagt. Große Erwartungen setzt er in die Verhandlungen mit der Türkei, da das Land und Europa viele gemeinsame Interessen hätten. Gegenüber den europäischen Partnern will Altmaier in der Flüchtlingspolitik den Druck erhöhen, denn bei der Verteilung von Flüchtlingen habe die EU bislang "keine gute Figur" gemacht. Die Bundesregierung arbeite "mit Hochdruck" an einer Reduzierung der Flüchtlingszahlen. Sobald dies Früchte trage, würden auch die Umfragewerte für die AfD "in sich zusammenfallen".
Herr Altmaier, was erwarten Sie von der Einigung auf das Asylpaket II?
Altmaier: Ich erwarte, dass wir genauer wissen, wer sich in Deutschland aufhält, dass wir verhindern können, dass sich Asylbewerber mehrfach registrieren und Leistungen beziehen, und dass die Verfahren schneller werden. Ich gehe davon aus, dass wir viele Verfahren innerhalb von vier Wochen zum Abschluss bringen können. In einigen Erstaufnahmeeinrichtungen, vor allem in Bayern, sind wir bereits bei 35 Tagen angelangt - wir können das noch einmal beschleunigen.
Was hat der Brief der Bayerischen Staatsregierung bewirkt?
Altmaier: Der Brief wird von uns so geprüft, wie das in derartigen Fällen üblich ist. Ich war und bin der Auffassung, dass wir die gesamte Zeit auf dem Boden des Grundgesetzes und der deutschen Gesetze handeln. Im Übrigen führen wir unsere Gespräche mit der Bayerischen Staatsregierung unmittelbar und nicht in der Öffentlichkeit durch Interviews.
Europa gibt derzeit ein schlechtes Bild ab. Woher nimmt die Bundesregierung den Optimismus, doch noch an eine europäische Lösung zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen und zur Verteilung der Flüchtlinge zu glauben?
Altmaier: Europa hat in einem Bereich gut gearbeitet: Das sind die Gespräche mit der Türkei. Hier geht es um eine gemeinsame Migrationsagenda, die aus folgenden Punkten besteht: Arbeitserlaubnisse für syrische Flüchtlinge in der Türkei - das sind immerhin 2,5 Millionen Menschen -, das ist umgesetzt. Visaerfordernisse für syrische Flüchtlinge, die über Jordanien und den Libanon in die Türkei einreisen, um nach Europa weiterzureisen, das gilt seit dem 8. Januar. Als Europäer wollen wir zudem einen Beitrag von drei Milliarden Euro leisten, um Flüchtlinge in der Türkei angemessen zu versorgen. Gemeinsam gehen wir gegen illegale Schlepper vor. Im Januar haben wir einen deutlichen Rückgang der Zahlen, mit täglich weniger als 2 000 Menschen; im Oktober waren es viermal mehr. Das sind immer noch zu viele, die Zahlen müssen weiter deutlich zurückgehen.
Aber die Verteilung klappt nicht ...
Altmaier: Europa hat da bisher keine gute Figur gemacht. Die Lasten haben im Wesentlichen Deutschland, Österreich und Schweden getragen. Wir werden auch hier darauf bestehen, dass Europa seine Solidaritätsverpflichtungen übernimmt und die Hotspots in Griechenland und Italien gebaut werden. Europa hat schon immer einige Zeit gebraucht, um in die Gänge zu kommen. Daher müssen wir den Druck und die Anstrengungen verstärken.
Begibt sich Europa mit alldem nicht in eine gefährliche Abhängigkeit gegenüber der Türkei?
Altmaier: Alle entwickelten Länder der Welt sind untereinander abhängig. Wir beziehen einen großen Teil unseres Gases aus Russland, wir beziehen einen großen Teil unserer Rohstoffe aus anderen Ländern in Afrika und Asien. In unseren Gesprächen mit der Türkei begeben wir uns in keine Abhängigkeit, sondern wollen eine Lösung, die auch im Interesse der Türkei liegt, da das Land derzeit die größte Last trägt. Hier besteht nun eine Chance, dass Deutschland und die Türkei gemeinsam zur Lösung des Problems beitragen.
Sie wollen straffällige Flüchtlinge in Drittstaaten abschieben, von denen aus sie europäischen Boden erreicht haben. Wie soll das denn in der Praxis funktionieren?
Altmaier: Wir haben mit vielen Ländern Rückübernahmeabkommen. Mit der Türkei gilt ein solches Abkommen derzeit nicht für Drittstaatler, also Flüchtlinge, die über die Türkei nach Deutschland gekommen sind. Wir wollen alle Staaten in die Pflicht nehmen, die Menschen auch wieder zurückzunehmen. Das ist wichtig, um den Schleppern das Handwerk zu legen, weil sie dann keine Chance mehr haben, ihre Ziele zu erreichen. Wir haben uns in der großen Koalition auf eine schnellere Abschiebung krimineller Flüchtlinge verständigt. Das darf aber nicht nur auf dem Papier stehen. Das müssen wir mit diesem Vorschlag umsetzen.
Die Stimmung im Land hat sich bereits gedreht. Wie geht die Kanzlerin mit dieser ablehnenden Haltung gegenüber ihrer Politik um?
Altmaier: Insbesondere nach den Vorkommnissen in Köln sind bei vielen die Sorgen größer geworden. Das nehmen wir in der Bundesregierung sehr ernst und arbeiten deshalb mit Hochdruck an der Reduzierung der Flüchtlingszahlen. Dennoch zeigt aber eine aktuelle Umfrage, dass die Menschen am ehesten Bundeskanzlerin Angela Merkel zutrauen, die Herausforderung zu lösen. Zudem ertüchtigen wir unsere Sicherheitsbehörden auf allen Ebenen. Es darf in Deutschland keine rechtsfreien Räume geben. Hier geht es nicht nur um die Verschärfung von Gesetzen. Wir wollen auch den Stellenabbau bei den Sicherheitskräften aufhalten und neue Polizisten einstellen.
Bayern hat angeboten, mit eigener Polizei bei der Überwachung der Grenze zu helfen, da die Bundespolizei dazu personell nicht im Stande ist. Warum sperrt sich der Bund dagegen? In anderen Fällen klappt eine solche Zusammenarbeit doch auch.
Altmaier: Einspruch, euer Ehren. Wir haben diese Kontrollen ja erst vor wenigen Jahren von der bayerischen Polizei übernommen - auf deren Wunsch. Die Bundespolizei hat mehrfach gesagt, dass sie zu dieser Aufgabe im Stande ist, zumal jetzt deutlich weniger Flüchtlinge kommen. Ich vertraue auf das Wort des Bundesinnenministers. Daher haben wir auch angeboten, dass wir die Polizeizusammenarbeit bei der Schleierfahndung entlang der Grenze verstärken. Das ist der richtige Weg.
Am meisten hat bislang die AfD von den herrschenden Umständen profitiert. Es kann aber nicht im Interesse der Union sein, dass sich diese Partei dauerhaft etabliert. Was tun Sie dagegen?
Altmaier: Die AfD ist eine stumpfe Protestpartei, sie hat keine Antworten. Das wissen die Menschen. Deshalb bin ich überzeugt, dass deren Umfragewerte in sich zusammenfallen werden, sobald die Menschen erkennen, dass wir die Flüchtlingsherausforderung erfolgreich bewältigen. Daran arbeiten wir.
AfD-Chefin Frauke Petry redet vom Waffeneinsatz an der Grenze gegen Flüchtlinge. Gleichzeitig nimmt die AfD in Umfragen zu. Wie sehr besorgt Sie das?
Altmaier: Dieser Vorschlag ist unmenschlich und abstrus. Kein vernünftiger Mensch kann akzeptieren, dass auf unbewaffnete Schutzsuchende oder gar Kinder geschossen wird. Im Übrigen würde das auch kein Soldat oder Polizist in der Bundesrepublik Deutschland tun. Die AfD hat sich mit diesem Vorschlag selbst entlarvt. Das wird man auch an den Umfragen sehen.