Österreich

Verbraucherschutzverein plant Klagen gegen Tirol


Partys und andere Menschenansammlungen im Tiroler Ferienort Ischgl gelten mittlerweile als eine Keimzelle europäischer Coronavirus-Infektionen. (Symbolbild)

Partys und andere Menschenansammlungen im Tiroler Ferienort Ischgl gelten mittlerweile als eine Keimzelle europäischer Coronavirus-Infektionen. (Symbolbild)

Von Redaktion idowa und mit Material der dpa

Das Österreichische Bundesland Tirol sieht sich in der Coronavirus-Krise einiger Kritik gegenüber. Dem Land wird vorgeworfen, den Skibetrieb nicht schnell genug beendet zu haben. Vor allem die Après-Ski-Partys im bekannten Skiort Ischgl mit vielen internationalen Gästen gelten inzwischen als Keimzellen und Verteiler des Virus. Der österreichische Verbraucherschutz will Geschädigten aus der ganzen Welt jetzt zu Schadensersatz verhelfen.

Das Coronavirus hatte sich laut der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) schon Anfang Februar in Ischgl ausgebreitet. Ages teilte am 2. April mit, dass eine Tirolerin nach ihren Recherchen bereits am 8. Februar mit dem Coronavirus infiziert war. Demnach lassen sich derzeit rund 600 Corona-Infektionen in Österreich auf Ischgl und die umliegenden Gemeinden zurückführen. Ein Barkeeper in einem Club in Ischgl hätte besonders viele auch internationale Gäste infiziert, bevor er Anfang März positiv getestet wurde.

"Damals hat die Regierung noch alles groß inszeniert"

Peter Kolba vom Verbraucherschutzverein Österreich kritisiert den Umgang der Tiroler Behörden mit der Virus-Gefahr im Gespräch mit idowa scharf: "Da sind Ende Februar sehr viele Menschen auf einem Haufen in einer Disco - und dann wird der Barkeeper positiv auf Corona getestet. Der Sanitätsbehörde fällt aber nichts besseres ein, als zu sagen: Wer Symptome hat, soll sich melden, aber bei den anderen kann man sich ja gar nicht anstecken."

Das sei ein völlig anderes Bild gewesen als noch knapp drei Wochen zuvor, fügt Kolba an: "Schon Anfang Februar wurde eine Kellnerin aus Innsbruck nach ihrer Rückkehr aus Südtirol positiv getestet. Damals hat die Regierung noch alles groß inszeniert." Das Hotel, in dem die Frau übernachtet hatte, sei von der Polizei hermetisch abgeriegelt, alle Gäste getestet worden. Erst danach habe es wieder öffnen dürfen. "Der Hotelbesitzer war aber Italiener", sagt der Obmann des Vereins für Verbraucherschutz, "also nicht eingebunden in die Tiroler Tourismusindustrie." Er vermutet hier doppelte Standards: "Man kann jetz nicht sagen, man sei sich der Gefahr nicht bewusst gewesen - denn sonst hätte man sich die Aktion in Innsbruck ja sparen können."

Der gebürtige Wiener Peter Kolba war 26 Jahre lang juristischer Leiter beim österreichischen Verein für Konsumenteninformation (VKI) und ist politisch bei der Partei "Jetzt - Liste Pilz" aktiv.

Der gebürtige Wiener Peter Kolba war 26 Jahre lang juristischer Leiter beim österreichischen Verein für Konsumenteninformation (VKI) und ist politisch bei der Partei "Jetzt - Liste Pilz" aktiv.

"Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten"

Jenen Menschen aus aller Welt, die laut Kolba eine Coronavirus-Infektion aus Ischgl mit nach Hause gebracht haben, will er jetzt juristisch helfen. "Am Dienstag, den 24. März, haben wir einen Online-Aufruf gestartet und begonnen, durch die Infektion Geschädigte zu sammeln." Bislang hätten sich etwa 4.500 Geschädigte aus der ganzen Welt gemeldet - etwa 2.800 allein aus Deutschland. "Außerdem haben wir Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft in Innsbruck erstattet", sagt der Verbraucherschützer, "mit dem Verdacht, dass in Tirol Amtsmissbrauch der Behörden, Gemeingefährdung und die Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten stattgefunden haben."

"Auch Nicht-Österreicher können beitreten"

Kolbas Verbraucherschutzverein hat nun allen Geschädigten einen Musterbrief geschickt, mit dem sie ihre Ansprüche als Opfer bei der Staatsanwaltschaft geltend machen können. Alternativ könnten die Menschen im Verein Mitglied werden. "Die Mitgliedschaft kostet 30 Euro pro Jahr, dafür bekommen die Menschen von uns einen sogenannten 'Privatbeteiligteneinschluss' und haben die Möglichkeit, die Expertise unserer Anwälte in Anspruch zu nehmen - auch dann, wenn sie schon rechtschutzversichert sind", erklärt er. "Und weil wir den Anspruch haben, als Verein weltweit tätig zu sein, können auch Nicht-Österreicher problemlos beitreten."

Die ersten 50 Privatbeteiligteneinschlüsse werden laut Kolba am Donnerstag, 9. April, verschickt. "Aber wir bekommen minütlich E-Mails, also rechne ich damit, dass es letztlich Tausende sein werden", sagt er. Im Laufe der nächsten Monate werde man die Rückmeldungen auswerten und schauen, was die Innsbrucker Staatsanwaltschaft ermittelt. "Dann werden wir versuchen, diese Ansprüche zivilrechtlich durchzusetzen, also auf Schadensersatz klagen."

Wenn ein Geschädigter eine Rechtsschutzversicherung habe, sorge einer der Vereins-Anwälte für eine Deckungszusage. "Da die meisten aber keine solche Versicherung haben, werden wir uns in nächster Zeit bemühen, Prozessfinanzierer finden, die gegen Erfolgsprovision das Prozesskostenrisiko absichern", sagt Kolba. "Hier kommen dann auch die Sammelklagen ins Spiel, bei denen Geschädigte ihre Ansprüche abtreten, wobei diese Ansprüche dann in einer einzigen Klage eingeklagt werden."

"Das kann natürlich das Ergebnis von vielen Prozessen sein"

"Ich erhoffe mir von der Aktion erstens die Erkenntnis in Tirol, dass man sich nicht hinstellen und behaupten kann, man habe alles richtig gemacht, denn das ist sicher nicht der Fall", sagt der Verbraucherschützer. Zweitens erwarte er eine öffentliche Entschuldigung und drittens, dass Schadensersatz geleistet werde. "Das kann natürlich das Ergebnis von vielen Prozessen sein", betont er. "Aber ich würde es bevorzugen, wenn nach dem Ende der gröbsten Coronavirus-Maßnahmen ein runder Tisch einberufen wird, an dem ausgehandelt wird, wie die Leute entschädigt werden."

Die Mehrzahl seiner Fälle ist laut Kolba Corona-positiv aus dem Urlaub nach Hause gekommen und ist oder war in Heimquarantäne. "Hier können vermögensrechtliche Schäden im Raum stehen, wenn jemand selbstständig tätig ist - oder, wenn jemand Symptome hatte, auch Schmerzensgeld", erklärt der Jurist. Wenn jemand verstorben sei, könne das aber auch zu Unterhaltsforderungen führen, oder Verwandte hätten Anspruch auf einen Trauer-Schadensersatz.

Peter Kolba rechnet damit, dass es in seiner juristischen Aktion "für alle Fälle zusammen sicherlich um fünf Millionen Euro gehen wird, wenn wir mal davon ausgehen, dass jedem ungefähr 1.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen werden." Das sei in seinen Augen aber wohl eher die Untergrenze.