Leitartikel
Wir ziehen in den Krieg
4. Dezember 2015, 19:14 Uhr aktualisiert am 4. Dezember 2015, 19:14 Uhr
Allen berechtigten Einwänden zum Trotz: Deutschland muss den IS auch militärisch bekämpfen. Unser Leitartikel zum Syrien-Einsatz der Bundeswehr.
Auch wenn er aus fadenscheinigen Gründen anders heißen muss: Der Bundeswehreinsatz gegen den Islamischen Staat (IS), den der Bundestag am Freitag mit großer Mehrheit beschlossen hat, ist die Beteiligung an einem Krieg. Das sollte allen Beteiligten klar sein - vor allem jenen 445 Abgeordneten, die den Einsatz nach nur zweieinhalbstündiger Debatte abgesegnet haben. Noch sind es zwar nur Aufklärungsflüge und Satellitenbilder, mit denen die Bundeswehr die Ziele für alliierte Bomber ausfindig macht, dazu Luftbetankung und Geleitschutz für einen französischen Flugzeugträger. Dennoch schicken sie damit bis zu 1.200 deutsche Soldaten in einen Krieg, von dem niemand wissen kann, wie lange er dauert und was er bewirkt. Und doch: Am Ende bleibt Deutschland kaum eine andere Möglichkeit, als auf diese Weise die Mörderbanden des IS zu bekämpfen.
Freitag, 13. November, war ein schwarzer Tag für Europa. An diesem Abend schossen islamistische Terroristen in Paris wahllos auf Menschen, die ein Konzert besuchten, sich in einer Bar oder einem Restaurant trafen. Sie versuchten, viele Menschen zu töten, die sich im Stade de France das Fußball-Freundschaftsspiel Frankreichs gegen Deutschland anschauen wollten. Diese Menschen haben nichts verbrochen. Die Terroristen hassten sie, weil sie so sind wie wir, weil sie ihr Leben genießen und sich nicht blindlings nach abstrusen, rückwärtsgewandten Lesarten religiöser Schriften richten. Der 13. November war ein Angriff auf das aufgeklärte Europa. Und organisiert wurde dieser Angriff von den Anhängern des IS in ihren Verstecken in Syrien und im Irak.
Man sollte sich nichts vormachen: Deutschland liegt ebenso im Fadenkreuz dieser Terroristen wie die gesamte westliche Welt. Solange die Propagandisten des IS ihr Unwesen treiben und mit ihren Hasspredigten labile junge Menschen überall auf dem Globus für ihren Dschihad rekrutieren, sind wir vor solchen Angriffen nicht sicher. Daher ist es nur konsequent, wenn der Westen vereint mit Luftschlägen gegen das IS-Gebiet vorgeht. Und Deutschland sollte nicht außen vor bleiben, vor allem auch deshalb nicht, weil mit Frankreich unser engster Verbündeter angegriffen wurde.
Eines ist allerdings auch klar: Mit Luftangriffen, mit Krieg ganz allgemein, ist das Problem nicht gelöst. Es gibt sogar gewichtige Argumente dafür, dass ein Krieg allein die Dinge nur schlimmer macht, nicht besser. Schließlich ist heute unbestritten, dass der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak im Jahr 2003 erst dazu geführt hat, dass sich in der Folge der sunnitische Widerstand gegen die neuen schiitischen Machthaber im Land radikalisiert hat und zum Nährboden für den neu entstandenen IS wurde. Ganz ähnlich ist es im Fall Libyen gelaufen: Der Sturz von Muammar al-Gaddafi hat dort jenes Machtvakuum erzeugt, in dem sich jetzt zunehmend IS-Kämpfer breitmachen.
Was in Syrien ebenso fehlt wie zuvor im Irak, in Libyen und leider auch in Afghanistan, ist eine politische Strategie für die Zeit nach dem Krieg. Was passiert, wenn die Terrornester des IS in Syrien ausgeräuchert sind? Geht dann nicht letzten Endes der Diktator Baschar al-Assad als Sieger vom Platz, der sein eigenes Volk mit Giftgas und Fassbomben bekämpft? Weil er für den Westen die bequemere Lösung wäre? Wenn es so kommen sollte, wäre das Wasser auf die Propagandamühlen des IS. Wenn aber westliche Länder - vielleicht auch Deutschland - mit Bodentruppen in Syrien einmarschieren und das Land besetzen, werden das die Dschihadisten mindestens genauso sehr propagandistisch auszuschlachten wissen. Die Wahrheit ist: Kein Mensch weiß, wie es in Syrien weitergehen soll. Und so richtig scheint sich keiner der Tragweite unseres Handelns bewusst zu sein.
Der umstrittene Publizist Jürgen Todenhöfer, früher immerhin 18 Jahre lang Bundestagsabgeordneter der CDU, bringt seine Meinung zur deutschen Hilfe beim Bombenkrieg in Syrien so auf den Punkt: "Bomben töten vor allem Zivilisten. Für jeden ermordeten Zivilisten aber stehen zehn neue Terroristen auf." Leider hat er damit recht. Genauso wie mit folgender Feststellung: "Der IS ist eine Ideologie. Ideologien kann man nicht wegbomben."
Todenhöfer schlägt stattdessen eine alternative Strategie aus drei Punkten vor. Erstens: Waffenlieferungen an Saudi-Arabien stoppen. Auch damit hat er leider recht. Überhaupt sollte die westliche Welt endlich ihr Bündnis mit Saudi-Arabien beenden. Dieses Land ist nicht nur eine menschenverachtende, fundamentalistische Diktatur, die Menschen mit eigener Meinung auspeitschen und hinrichten lässt, es finanziert vor allem seit vielen Jahren radikale sunnitische Gruppen im Irak und in Syrien und rüstet sie mit Waffen aus. Letzten Endes hat Saudi-Arabien damit den beängstigenden Aufstieg des IS - im Zusammenspiel mit den Folgen des US-geführten Irakkriegs - erst möglich gemacht. Die Islamisten sind aus Sicht der Saudis ein Instrument in einem Stellvertreterkrieg gegen den schiitischen Irak um die Vorherrschaft in der Region. Ähnliches wie für Saudi-Arabien gilt für Katar.
Das Schlimme ist: Beide Staaten beziehen seit Jahren einen wesentlichen Teil ihrer militärischen Ausrüstung aus Deutschland - und reichen sie indirekt an den IS weiter. Wir bewaffnen unsere eigenen Feinde. Das kann so nicht weitergehen.
Die zweite Forderung Todenhöfers lautet, "unseren türkischen Freunden zu helfen, die Grenze zum Islamischen Staat so zu sichern, dass nicht täglich Hunderte neuer Kämpfer in den Islamischen Staat einsickern können". Auch damit trifft er einen wunden Punkt: Sehr viele Kämpfer und Terroristen des IS kommen bekanntlich aus Westeuropa - fast alle von ihnen reisen über die Türkei ein. Überhaupt müssen sich die Türken unangenehme Fragen gefallen lassen: Wie kann es sein, dass der IS jahrelang mit Öllieferungen an die Nachbarländer, unter anderem an die Türkei, sein mörderisches Treiben finanzierte?
So berechtigt diese beiden Forderungen aber auch sind: Mit seiner dritten offenbart Todenhöfer seine Planlosigkeit. "Sich in Syrien und im Irak für eine nationale Aussöhnung einzusetzen", lautet diese Forderung. Schön und gut, aber wie genau soll man sich eine Aussöhnung vorstellen, wenn eine der Kriegsparteien aus ideologisch verbohrten Wirrköpfen besteht, die Andersdenkende aus Prinzip enthaupten und auch noch vor laufender Kamera damit prahlen?
Nein, bei allen berechtigten Bedenken, die es gegen einen Krieg mit deutscher Beteiligung in Syrien gibt: Wir können es uns nicht leisten, zu warten und alles so weiterlaufen zu lassen wie bisher. Wir müssen das Krebsgeschwür des IS im Irak und in Syrien mit allen Mitteln bekämpfen. Und dazu gehört leider auch Hilfe beim Bombenkrieg. Wir müssen aber aufpassen, dass das nicht alles ist. Wir brauchen einen Plan für die Zeit danach - und zwar so schnell wie möglich.