Interview zur Flüchtlingskrise

Wirtschaftsministerin Aigner: „Das Interesse an Fachkräften ist groß“


Unternehmer wünschen sich Asylbewerber als Arbeitskräfte. (Foto: Ingo Wagner/dpa)

Unternehmer wünschen sich Asylbewerber als Arbeitskräfte. (Foto: Ingo Wagner/dpa)

Von Dr. Gerald Schneider

Der Zustrom von Flüchtlingen hält unverändert an. Auf der anderen Seite suchen die Unternehmen im Freistaat händeringend nach Fachkräften. Wie sich das zusammenführen lässt, erklärt die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) im Interview mit idowa. Der Einbruch der chinesischen Konjunktur macht ihr weniger Sorgen. Allerdings gelte es, neue Märkte zu erschließen und bestehende Handelsbeziehungen zu stärken. Daher tritt sie auch für das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA ein.

Frau Aigner, in den vergangenen Tagen sind mehrere Tausend Asylsuchende in Bayern angekommen. Welche Bedeutung haben Migranten für die bayerische Wirtschaft und den hiesigen Arbeitsmarkt?


Aigner: Bei den Flüchtlingen, die zu uns kommen, ist es zunächst wichtig, sie ordentlich zu registrieren, vernünftig unterzubringen und zu klären, wer eine realistische Aufenthaltsperspektive hat. Sobald klar ist, dass der Betreffende bleiben wird, gilt es, diesen Menschen möglichst schnell Deutsch beizubringen. Wichtig ist es, frühzeitig die Qualifikation zu ermitteln, um sie dann möglichst schnell vermitteln zu können. Die meisten Flüchtlinge wollen arbeiten, und das Interesse der Wirtschaft an Fachkräften ist in der Tat groß. Wir dürfen uns aber nicht einbilden, dass beides einfach eins zu eins zusammenpasst.

Wie ist es denn um die Qualifikation der Flüchtlinge bestellt?

Aigner: Das ist sehr unterschiedlich. Im Durchschnitt sind 15 Prozent der Menschen Akademiker, es gibt aber auch einen hohen Anteil an Analphabeten. Bei den Flüchtlingen aus Syrien ist das etwas anderes. Von dieser Gruppe haben 21 Prozent einen Hochschulabschluss, 22 Prozent das Abitur. Natürlich hat das auch etwas mit dem Alter der Flüchtlinge zu tun - wer erst 15 Jahre alt ist, hat natürlich noch keine Ausbildung absolviert. Ich will also mit diesen Zahlen niemanden abqualifizieren.

Sollte es nicht Ziel sein, Asylsuchenden frühzeitiger zu ermöglichen, nach Arbeit zu suchen?

Aigner: Das sollte es bei jenen, die mit großer Wahrscheinlichkeit hierbleiben. Deshalb ist auch die Verfahrensdauer das A und O. Wir haben einen Stau von rund 240 000 Asylanträgen, die noch nicht bearbeitet sind, und die Fallzahlen nehmen immer weiter zu. Daher brauchen wir mehr Personal. Bereits beschlossen sind 1 000 neue Mitarbeiter im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - meines Erachtens müssen im kommenden Jahr noch einmal so viele dazukommen.

Insgesamt zeigt sich der bayerische Arbeitsmarkt weiter robust. Die Arbeitslosenquote liegt bei moderaten 3,6 Prozent. Doch der Einbruch der chinesischen Wirtschaft betrifft auch Betriebe im Freistaat. So ist der Export in der Metallbranche um 13 Prozent zurückgegangen. Wie wird sich das auch auf den Arbeitsmarkt auswirken?

Lesen Sie hier: Arbeitgeber wollen Flüchtlinge als Arbeitskräfte - Lockerungen im Asylrecht gefordert

Aigner: Bei China muss man zunächst feststellen, dass das Land von zweistelligen Wachstumsraten auf immer noch sieben Prozent zurückgeht. Bayern ist sehr exportstark, daher trifft uns dennoch jede Veränderung. Wichtig ist es deshalb, neue Märkte zu erschließen, das ist auch gerade Aufgabe meines Hauses. Zudem gilt es, unsere bestehenden Handelsbeziehungen weiter zu stärken, dazu gehören in besonderem Maße die USA. Daher ist auch TTIP, das geplante Handelsabkommen, so wichtig. Hier geht es um die Vergleichbarkeit von Standards und damit die Erleichterung des gegenseitigen Handels. Es geht hier eben ausdrücklich nicht um das Chlorhühnchen oder um das Absenken unserer Standards.

An welche neuen Märkte denken Sie da?

Aigner: Ich werde im Herbst in den Iran reisen - das ist ein Wiederbeleben alter Beziehungen. Wir wollen aber auch den Handel mit Amerika stärken und zum Beispiel Südamerika ins Auge fassen. Aber wir dürfen darüber auch nicht unseren europäischen Binnenmarkt vernachlässigen. Einer unserer stärksten Handelspartner ist das Nachbarland Österreich.

Erhebliche Einbrüche gibt es auch im Russlandgeschäft, aufgrund der Sanktionen gegen Moskau. Richten diese Sanktionen nicht inzwischen mehr Schaden an, als sie nützen?

Aigner: Natürlich sind diese Sanktionen für viele Unternehmen sehr schwierig zu verkraften - für das eine oder andere sogar existenzbedrohend. Aber trotzdem kann man nicht akzeptieren, dass ein Land wie im Fall der Annexion der Krim das Völkerrecht bricht. Das darf nicht ohne Konsequenzen bleiben, und dafür stehen wir alle in der Verantwortung. Das bedeutet aber nicht, dass wir die Gesprächsfäden völlig abreißen lassen, vor allem auf Fachebene bestehen die Kontakte weiter.

Große Chancen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung sehen Sie in der Digitalisierung. Mit dem sogenannten "Digitalbonus" wollen sie vor allem dem Mittelstand unter die Arme greifen. Was erleben Sie als wesentliche Entwicklungsschwerpunkte?

Aigner: Die Hardware, also das schnelle Internet, ist das eine. Entscheidend ist aber, dass jedes Unternehmen seine Strategie überprüfen muss, ob diese im Internetzeitalter noch konkurrenzfähig ist. Wir sehen ja, dass neue Riesen entstanden sind, ohne dass ein besonderer Unternehmenswert dahintersteht. Ein Beispiel ist der Fahrdienst Uber, ein Taxiunternehmen, das kein einziges Taxi besitzt. Oder Airbnb, ein Hotelvermittler, der kein einziges Hotel besitzt. Die Digitalisierung ermöglicht ganz neue Geschäftsmodelle, zerstört aber womöglich auch bestehende. Es geht also darum, die analoge Geschäftswelt in die digitale zu überführen. Dazu gilt es nun, das notwendige Know-how aufzubauen.

Der von Ihnen moderierte Energiedialog in Bayern ist beendet. Doch die eigentliche Diskussion, vor allem mit Betroffenen, steht erst noch an. Wie wollen Sie damit umgehen?

Aigner: Beim Energiedialog ging es ja nicht nur um Leitungen - sondern auch um Energieeffizienz, Speichertechnologien und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Leitungsfrage war nur ein Teil. Mit der Koalition haben wir jetzt vereinbart, dass es keine Riesenmasten quer durchs Land gibt, sondern der Vorrang für Erdverkabelung gilt. Sobald die gesetzlichen Grundlagen dafür beschlossen sind, müssen wir die Trassenführung klären und dazu die nötigen Gespräche führen. Und wir werden natürlich wieder in den Dialog treten. Ich bin von dem Weg nach wie vor überzeugt.

Bei der Energiewende setzen Sie sehr auf Einsparungen. Mit dem 10.000-Häuser-Programm soll die energetische Sanierung von Ein-und Zweifamilienhäusern gefördert werden. Wie ist das Programm angelegt?

Lesen Sie zum Thema Mindestlohn: Das ist eine "Frechheit"

Aigner: Das Programm startet zum 15. September. Ich glaube, dass es eine große Nachfrage auslösen wird. Es ergänzt ja bestehende Möglichkeiten, wie etwa die KfW-Förderungen. Hier geht es um die energetische Sanierung von Bestandsgebäuden, aber auch die Sanierung von alten Heizanlagen. Die Fördersummen liegen zwischen 1000 und 18.000 Euro, das ist schon erheblich. Zudem wird das Antragsverfahren sehr einfach und unbürokratisch sein. Insgesamt setzen wir in den kommenden vier Jahren 90 Millionen Euro ein.

Es ist erklärtes Ziel des Freistaats, das Land zum Gründerland Nummer eins zu machen. Welche Instrumente wollen Sie dazu nutzen?


Aigner: So etwas beginnt im Kopf und beim Image. Sie müssen als Land erkennbar sein, das Gründer unterstützt. Das bauen wir auf - mit Gründerzentren in jedem Regierungsbezirk, mit finanziellen Hilfen, dem Einsatz für bessere steuerliche Rahmenbedingungen und vor allem: Wir haben die mittelständischen und große Unternehmen, die den Zugang zu den Weltmärkten ermöglichen. Das kann sonst kein Bundesland in dieser Form bieten. Insgesamt investieren wir mit Bayern Digital, zu dem auch die Offensive "Gründerland Bayern" zählt, in den kommenden vier Jahren 500 Millionen Euro.

Sie sind auch zuständig für die Medienwirtschaft. Die Zeitungen haben besonders unter dem bürokratischen Aufwand im Zusammenhang mit dem Mindestlohn zu leiden. Sie haben mehrfach betont, bei Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles von der SPD auf Änderungen zu drängen. Was wollen Sie durchsetzen?

Aigner: Es hat ja schon Schritte in die richtige Richtung gegeben, zum Beispiel bei der Obergrenze beim Monatseinkommen, bei der eine Dokumentation notwendig ist. Die Zeitungsbranche ist hierbei sicher ein Sonderfall, da haben wir die erstrebte Lösung noch nicht erreicht, aber da lassen wir nicht locker. Wir brauchen praktikable Regelungen gerade für die Zeitungsausträger. Auch über eine Flexibilisierung der Arbeitszeit müssen wir nachdenken, das betrifft vor allem die Gastronomie. Ohne unseren massiven Einsatz wäre es sicher zu keinen Veränderungen gekommen - wir sind aber nicht am Ende.

In der Nachfolgedebatte um Horst Seehofer sehen die meisten Beobachter ihren Mitbewerber Markus Söder klar in Führung. Wie sehen Sie selbst Ihre Chancen?

Aigner: Ich bin da sehr entspannt. Es steht doch derzeit überhaupt keine Entscheidung an. Und wir alle haben jetzt andere Aufgaben zu erfüllen. Ich habe vor, meine so gut wie nur möglich zu machen.

Die CSU ehrt Franz Josef Strauß zu dessen 100. Geburtstag, die Opposition boykottiert die Feierlichkeiten. Taugt Strauß auch heute noch zum Vorbild?

Aigner: Die Grundlagen für den Erfolg Bayerns hat Franz Josef Strauß gelegt. Bayern war ein Armenhaus, aber durch seine strategischen Investitionen haben wir den Aufschwung geschafft. Bayern verdankt Franz Josef Strauß sehr viel.

"Die meisten Flüchtlinge wollen arbeiten", sagt Ministerin Ilse Aigner. (Foto: Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie)

"Die meisten Flüchtlinge wollen arbeiten", sagt Ministerin Ilse Aigner. (Foto: Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie)