Parteispenden-Affäre

Regensburgs Alt-OB Hans Schaidinger rechnet in Buch mit Justiz ab

Wegen angeblicher Korruption sah sich Hans Schaidinger dreijährigen Ermittlungen ausgesetzt. Nun legt Regensburgs ehemaliger OB ein Buch vor, das Selbstverteidigung mit Gegenangriff verbindet.


Hans Schaidinger war von 1996 bis 2014 Oberbürgermeister von Regensburg. Der QR-Code führt zum idowa-Podcast "Die Akte Schaidinger" auf Spotify.

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Video zum Thema:

Die Frage nach dem Motiv ist ja immer interessant, egal ob jemand Oberbürgermeister wird, einen Beratervertrag abschließt - oder eben ein Buch verfasst. "Ich hätte es nicht schreiben müssen", sagt Hans Schaidinger über sein Werk namens "Schlussabrechnung - (K)ein Kriminalroman", das im Verlag Attenkofer erscheint.

Nein, musste er nicht. Ein Mann wie Schaidinger, der sich in der Ära von 1996 bis 2014 als CSU-Oberbürgermeister von Regensburg einen ziemlich legendären und keinesfalls unumstrittenen Ruf als Macher und Entscheider erworben hat, schreibt ein Buch, weil er es kann. Und, natürlich, weil er es will.

Auf 160 Seiten hat der heute 75-Jährige seine Sicht der Dinge auf jene Ermittlungen wegen vermeintlicher Korruptionsdelikte zu Papier gebracht, derer er sich ab 2017 über drei Jahre zu erwehren hatte, bis schließlich alle Verfahren eingestellt wurden - "mit der Bestätigung einer 'weißen Weste'", wie Schaidinger betont. Doch warum will jemand eine "Schlussabrechnung" schreiben? Müssen dahinter nicht zutiefst persönliche Motive stecken? Etwa das Bestreben, möglichst umfassend die Deutungshoheit über die eigene politische Biografie (wieder) zu erlangen?

Medien und Parteifreunde bekommen ihr Fett weg

Um Ehre und/oder Eitelkeit, signalisiert Schaidinger, gehe es ihm nicht. Worum dann? "Aufrütteln" will der Alt-Oberbürgermeister, indem er "eine Vielzahl von Fehlern und Ungereimtheiten" seitens der Ermittler in seinen Verfahren benennt und eine "unterirdische Fehlerkultur in den Behörden" anprangert. Nach allem, was er erlebt habe, traue er, so Schaidinger, "den Ermittlungsbehörden alles zu und insoweit diesem Staat nicht mehr über den Weg".

Hier den Podcast hören.

Das war nicht immer so. Bis zu dieser Einschätzung war es ein weiter Weg. Denn wie er anekdotisch erzählt, habe er sich einst in der Realschule am Schulfach Sozialkunde geradezu berauscht, sich in der Leidenschaft für Demokratie und Rechtsstaat von niemandem übertreffen lassen und als Zwölfjähriger eine Abhandlung über die Frage "Wie entsteht ein Gesetz?" mit Begeisterung auswendig gelernt.

Über sechs Jahrzehnte später ist dieser Enthusiasmus zerstoben. Schaidinger lässt in seiner "Schlussabrechnung" keinen Zweifel daran, dass er sich als Opfer einer Schar von Ermittlern sieht, die ihn mit "enormem Aufwand, aber nur sehr mäßiger Befähigung" juristisch für etwas zur Rechenschaft ziehen wollten, dessen er sich nie schuldig gemacht hatte.

Was den umstrittenen Beratervertrag (mit dem Bauteam Tretzel/BTT) betrifft, der im Zusammenhang mit der Vergabe eines Areals der ehemaligen Nibelungenkaserne ins Visier der Ermittler geriet, legt Schaidinger dar, dass er diesen erst im September 2014 abgeschlossen habe, nachdem seine Amtszeit als OB im April geendet war.

"Schlussabrechnung - (K)ein Kriminalroman" von Hans Schaidinger, ISBN 978-3-947029-63-1; 21,80 Euro

Das 160-Seiten-Buch erscheint im Verlag Attenkofer. Ab 14. September ist das Buch (21,80 Euro, ISBN: 978-3-947029-63-1) im Buchhandel und in den Geschäftsstellen der Mediengruppe Attenkofer erhältlich. Bestellungen sind möglich unter www.verlag-attenkofer.de.

Schaidinger beschreibt "Tal der Ahnungslosen"

Eine "Abkühlfrist" wie bei Politikern auf anderen Ebenen gebe es für einen Oberbürgermeister wegen des Beamtenrechts nicht. "Ich habe alles korrekt gemacht", sagt Schaidinger. Und: "Wenn man sich korrekt verhalten hat, darf man sagen, ich würde es wieder machen. Da fühle ich mich auch gut dabei." Dass er sich damit eher keine Freunde gemacht hat, kann der Alt-OB nachvollziehen. Zumindest ein bisschen: "Von jemandem, der nichts weiß, kann ich es verstehen." In diesem von Schaidinger beschriebenen Tal der Ahnungslosen verortet er jedoch zwei Bevölkerungsgruppen explizit nicht, und diese kommen folgerichtig mangels mildernder Umstände im Buch gar nicht gut weg. Die Rede ist von Journalisten und Parteifreunden, beides "die größten Vorverurteiler".

Letztere hätten sich nach Bekanntwerden der Ermittlungen in besonderer Weise dadurch hervorgetan, "über mich rasch den Stab zu brechen", schreibt Schaidinger und nennt in diesem Kontext namentlich den CSU-OB-Kandidaten von 2014, Christian Schlegl, und den damaligen CSU-Kreisvorsitzenden Franz Rieger, der "mittlerweile im Zusammenhang mit der Parteispendenaffäre rechtskräftig verurteilt" sei, wie der Vollständigkeit halber in Klammern hinzugefügt wird.

Den Medien widmet Schaidinger sogar ein eigenes Kapitel, in das er mit dem Zitat "Zeitungsredaktionen sind Abschreibungsbetriebe" und der Überschrift "Sensation muss sein - alle machen mit" startet, womit der Ton gesetzt ist. In der Berichterstattung über ihn habe es geradezu einen "Überbietungswettbewerb" bezüglich frei erfundener Behauptungen und Falschinformationen gegeben, einige Reporter sah Schaidinger gar "restlos durchdrehen".

In diesem Ausmaß ein einmaliger Vorgang

Demgegenüber erfreut sich das Selbstbild des Buchautors anhaltend bester Stabilität. Die Frage, ob vielleicht auch er Fehler gemacht habe, stellt sich Schaidinger ganz offensichtlich nicht - und wer sich diesem Thema im Gespräch tastend anzunähern versucht, kommt nicht besonders weit. "Man braucht eine ordentliche charakterliche Ausrüstung" als Oberbürgermeister, deklamiert der Mann, der Regensburg 18 Jahre lang regiert hat. Im Buch führt er dazu aus, sein Credo im Amt sei gewesen: "Distanz schaffen und Distanz halten" - Distanz zu Themen im Sinne des bestmöglichen Überblicks und "Distanz zu Personen, damit man bei seinen Entscheidungen nicht unbewusst oder sogar bewusst fremden Einflüssen oder sogar persönlichen Abhängigkeiten ausgesetzt ist".

Als Bestätigung für die Annahme, diese Distanz immer gewahrt und so nichts Falsches gemacht zu haben, erlebt Schaidinger die Einstellung der Ermittlungsverfahren gegen ihn - erst im August 2019, dann im März 2020. Eine maßgebliche Rolle spielte dabei seine Rechtsanwältin Annette von Stetten. Mit ihrer Kanzlei in München übernahm sie das Mandat für den ehemaligen Oberbürgermeister. Sie ist sich rückblickend sicher: "Hätte es mich nicht gegeben, wäre der Herr Schaidinger angeklagt worden. So sicher wie das Amen in der Kirche bei der Einseitigkeit dieser Ermittlungen."

"Unsägliche Vorgehensweise" bei Prozessen

Von Stetten teilt die Eindrücke Schaidingers zur schlampigen Arbeit von Ermittlern und Staatsanwaltschaft. Betont jedoch gleichzeitig, dass die Vorgehensweise der Behörden aus ihrer beruflichen Erfahrung heraus eher ein einmaliger Vorgang war. Ehe sie wieder auf die, wie sie sagt, "unsägliche Vorgehensweise" der Justiz in der Regensburger Parteispendenaffäre eingeht. Nicht nur bei den Verfahren von Schaidinger, auch in den Prozessen gegen seinen Nachfolger im Amt, Joachim Wolbergs, und den Bauunternehmer Tretzel. Bei der Parteispendenaffäre wurde bereits während der Prozesse die falsche Verschriftlichung von Telefonaten bekannt. Bei den Ermittlungen gegen Schaidinger berichtet seine Anwältin beispielsweise von einer Segeljacht, die mit einem Flugzeug verwechselt worden sein soll.

Und wie geht die Ermittlungsbehörde mit der massiven Missbilligung ihres Vorgehens um? Mit einem Wort könnte man sagen: grundentspannt. In einer schriftlichen Stellungnahme auf Anfrage unserer Mediengruppe markiert die Formulierung: "Darüber hinaus fördert die Staatsanwaltschaft Regensburg Selbstreflexion und pflegt grundsätzlich einen offenen Umgang mit Kritik" jedenfalls den souveränen Gipfel an Zerknirschtheit. Eine Behörde, in der das Nachdenken nicht verboten ist und die Meinungsfreiheit nicht grundsätzlich schief angesehen wird - ist das wirklich genug?

Kritik an der Fehlerkultur der Justiz im Fokus

Dem renommierten Düsseldorfer Rechtsexperten Till Zimmermann verlangt die Reaktion der Staatsanwaltschaft nur ein Schulterzucken ab: "Die Fehlerkultur in der Justiz ist unterentwickelt, um es vorsichtig zu formulieren." Er kennt zwar die genauen Hintergründe zum Fall Schaidinger nicht, für seine Einschätzung spielen sie hier aber nur eine untergeordnete Rolle. Zimmermann verweist eher auf ein generelles Problem im Justizapparat, das auch hier zutage trete. Anders als bei Unternehmen gebe es in der Justiz keine Struktur fürs Fehlermanagement. Denn wichtig wäre in erster Linie, wie intern mit derartigen Fehlern umgegangen werde. Doch das sei schwer bis gar nicht einsehbar.

Ob und wie die Vorwürfe des ehemaligen Regensburger Oberbürgermeisters die Staatsanwaltschaft nach der Veröffentlichung des Buches "Schlussabrechnung" noch beschäftigen werden, wird sich zeigen. Bis dahin wissen wohl nur die beteiligten Personen, welche Fehler tatsächlich begangen wurden. Klar ist: Schaidingers Buch wird für Gesprächsstoff sorgen und das Ringen um die Deutungshoheit somit weitergehen.

"Finde ich gut": Wolbergs zu Schaidinger Buch

Die Ermittlungen gegen Alt-OB Hans Schaidinger waren konkret verknüpft mit jenen gegen seinen Nachfolger im Amt, Joachim Wolbergs. Im Zuge der Ermittlungen gegen letztgenannten wurden Rechnungen Schaidingers an das Bauteam Tretzel wegen eines Beratervertrags ab 2014 gefunden. Wolbergs, damals SPD, war 2017 wegen des Verdachts der Vorteilsannahme als amtierender OB vom Dienst suspendiert und für sechs Wochen in U-Haft genommen worden.

Ab 2018 stand er in zwei Prozessen vor dem Landgericht Regensburg: Im ersten wurde Wolbergs wegen zweier Fälle der Vorteilsannahme verurteilt, blieb jedoch straffrei. Im zweiten Prozess erhielt er wegen eines Falles der Bestechlichkeit eine einjährige Bewährungsstrafe. Von weiteren Vorwürfen wurde er freigesprochen. Später hob der BGH das erste Urteil als teils zu milde auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung ans Landgericht München. Wolbergs reichte 2022 Verfassungsbeschwerde ein, die nach wie vor anhängig ist.

Dass sein Amtsvorgänger Schaidinger eine "Schlussabrechnung" in Buchform verfasst hat, finde er "gut", betont Wolbergs. Der 53-Jährige findet lobende Worte für seinen Vorgänger: "Schaidinger wollte was voranbringen und gestalten, er hatte Ziele", sagt Wolbergs. "Wir waren nicht immer gleicher Meinung - aber egal." Ein solcher OB sei ihm lieber als "ein Verwalter im Amt".

Info: Am 20. September gibt Hans Schaidinger von 14 bis 16 Uhr eine Signierstunde bei der Redaktion der Regensburger Zeitung am Haidplatz.