Besondere Kulturstätte
Am Steinhof spielt die Musik
21. Juli 2020, 15:21 Uhr aktualisiert am 21. Juli 2020, 15:51 Uhr
Zu einer einmaligen Kulturstätte mausert sich ein denkmalgeschützter Bauernhof, der Steinhof, kurz nach Trasching in der Gemeinde Zell gelegen. Ausverkaufte Konzerte und ein immer weiteres Einzugsgebiet geben dem Konzept seiner jungen Bewohner Renate und Sebastian Kerscher sowie Veranstalter Olli Zilk Recht.
Dass am Sonntagabend ausgerechnet über dem Steinhof ein üppiger Schauer niederprasselt, das Wasser aus den Regenrinnen von historischem Wohnstallhaus, Getreidekasten und Scheune in den bestuhlten Bereich vor der Bühne platscht und das kurz gehaltene Grün unter Wasser setzt – auch das kann Alltag eines Veranstalters sein. Renate Kerscher behält die Nerven und dank Gummstiefel trockene Füße. Ohne Hektik spannt sie über ihre Theke für die Getränkeausgabe einen grünen Brauereischirm auf. Die leckeren Schnittlauchbrote sind mit einer Folie sowieso gut geschützt und hygienisch abgepackt.
Nachdem das Regenradar das baldige Ende des Platzregens verheißt, lässt sich das Konzert mit dem Franziska Eberl Quintett mit 20 Minuten Verspätung starten. Nur vier Zuschauer haben sich wegen des Wetters abhalten lassen. Alle übrigen sind da, haben zum Teil weite Wege zu der abgelegenen Spielstätte in Kauf genommen. Der Platz ist unter Einhaltung der Abstandsregeln voll besetzt.
Das spricht für die Location, die Franziska Eberl namens ihrer Band in den höchsten Tönen und mit Attributen wie „traumhaft“ lobt. Und auch für Veranstalter Olli Zilk, der für das Programm an diesem Ort – übrigens erstmals heuer – verantwortlich zeichnet.
Dass sich das alles einigermaßen rechnet, hat einen einfachen Grund: Während andernorts Veranstalter, Technik und Bühne in unterschiedlichen Händen sind, jeder Beteiligte entlohnt werden will, ist Olli Zilk alles in einem, ein Tausendsassa mit bestem Draht zu nationalen wie internationalen Künstlern. Das zeigt sich auch am Sonntag beim Konzert des Franziska Eberl Quintetts. Mal bringt er Klebeband und Plane, um Technik vor Regen zu schützen, mal schließt er Scheinwerfer an, mal steuert er am Mischpult aus und korrigiert auch während des Konzerts immer wieder, um den Besuchern besten Hörgenuss zu bieten.
Sollte ein Konzert ausfallen, so verbleiben trotzdem die fünf Euro pro Ticket, bei der Reservierung bezahlt, beim Organistor. Zilk deckt damit die Kosten für Band und die eigene Organisation ab, die auch bei einem ausgefallenen Konzert im Vorfeld auflaufen.
Sebastian Kerscher (31) kommt eigentlich aus der Wirtschaft, wo er als stellvertretender Betriebsleiter eine Führungsposition bekleidete. Mit der Hofübergabe daheim gab er das auf und ist jetzt eigener Unternehmer eines 80 Hektar großen Betriebs. Grünland, Feldbau und Waldwirtschaft bestimmen nun seinen Alltag, zudem werden Schweine gehalten. Die müssen nicht auf Spaltenboden laufen, sondern auf Stroh; zudem bekommen sie anstelle von Importfutter Futtererbsen aus der Region. Außerdem ist Sebastian nebenbei als Metzger tätig. Seine Frau Renate (32) arbeitet als Werbetexterin. Mit zur Familie gehört zwischenzeitlich der zweijährige Sohn Anton.
Die Landwirtschaft spielt sich auf dem Aussiedlerhof oberhalb des denkmalgeschützten Steinhofs ab, der übrigens 1394 erstmals urkundlich erwähnt ist und den neben der jungen Familie auch der 90-jährige Opa Josef bewohnt. Immer wenn Konzerte sind, öffnet er das Fenster zur Gred im Erdgeschoss und lauscht mit.
Die Resonanz auf die ersten Konzerte fällt außergewöhnlich positiv aus. Sowohl vonseiten der Zuschauer wie vonseiten der Künstler, die die einmalige Kulisse genießen, zudem im historischen Getreidekasten ihre Garderobe haben.
Sebastians Eltern Birgit und Hubert helfen stets mit, wenn ein Konzertabend bevorsteht. Birgit und Renate sind für die Versorgung der Gäste mit Getränken und Schnittlauchbroten verantwortlich. Das Roggensauerteigbrot backen die Kerschers übrigens im eigenen Holzbackofen neben dem Wohngebäude. Vater Hubert und Sebastian kümmern sich um Parkplätze und Einweisung der Besucher.
Das Programm auf dem in den 80er Jahren aufwendig sanierten und 1990 eingeweihten Steinhof gibt Veranstalter Olli Zilk vor (www.ollizilk.de). Mit seiner Auswahl können sich die Kerschers bestens anfreunden, zumal sie auch in alle Richtungen offen sind. Sollte es Corona zulassen, aber das Wetter einen Strich durch die Rechnung machen, könnte die Kultur übrigens auch in die weitläufige Scheune oder den Kreuzgewölbestall ausweichen.
Ein Baudenkmal ist ein Kulturgut, zu dem Kultur in Form von Konzerten bestens passt. Die Öffentlichkeit soll beides erleben können – diese Einstellung teilen Renate und Sebastian Kerscher. Die Öffentlichkeit ist auf ihrem Privatanwesen, das sich seit 1802 in Familienbesitz befindet, somit herzlich willkommen.
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