Neufahrn/Landshut
Niederbayerischer Pfarrer will künftig als Frau leben
15. April 2013, 11:12 Uhr aktualisiert am 15. April 2013, 11:12 Uhr
Der Pfarrer der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde von Neufahrn (Landkreis Landshut), Andreas Zwölfer, hat sich am Sonntag nach dem Gottesdienst in der Friedenskirche als transsexuelle Frau geoutet. Im Beisein des Landshuter Dekans Siegfried Stelzner sagte der verheiratete Seelsorger zu den rund 60 Gottesdienstbesuchern, dass er eine Hormonbehandlung zur Geschlechtsangleichung begonnen habe und künftig als Frau leben wolle.
Die Anspannung vor seinem öffentlichen Bekenntnis war Pfarrer Zwölfer am Sonntag Vormittag deutlich anzumerken. Bereits vor dem Gottesdienst waren die engsten Mitarbeiter informiert worden, vor ein paar Wochen hatte der 49-Jährige bereits den Kirchenvorstand eingeweiht.
In seinem Predigtwort ging er auf das Bibelwort von Petrus und dessen Verleugnung von Jesus ein und las die Stelle vor, in der Petrus vom auferstandenen Jesus dreimal gefragt wurde, ob er ihn auch wirklich liebe. Zwölfer führte hierzu aus: Obwohl Petrus menschliche Reaktionen gezeigt und Jesus verleugnet habe, hat Jesus ihm einen Auftrag erteilt: "Weide meine Schafe!"
"Bin ich verrückt ?"
Nach dem Schlusssegen betrat dann Zwölfers Ehefrau Claudia den Kirchenraum. Sie teilt sich bislang mit ihrem Mann die Pfarrerstelle für die evangelischen Christen in Neufahrn, Ergoldsbach und Bayerbach (Landkreis Landshut) sowie in Mallersdorf-Pfaffenberg (Landkreis Straubing-Bogen). Dekan Siegfried Stelzner war bereits während des Gottesdienstes anwesend und übernahm nach Zwölfers Bekenntnis die Gesprächsleitung.
Der Pfarrer sprach sehr offen über seine Beweggründe und erzählte, dass er bereits mit fünf Jahren seine Mutter gefragt habe, wann er schwanger werden könne. In seinem ganzen Leben habe es immer wieder Momente gegeben, in denen er Mädchen und Frauen neidisch gewesen sei, weil sie so schöne Kleider oder Tücher tragen dürften. Immer wieder habe er sich deshalb gefragt: "Bin ich verrückt?" Sein Schlüsselerlebnis habe sich schließlich ereignet, als er an seiner vorherigen Pfarrerstelle in Ansbach im Fasching geschminkt wurde - und beim Abschminken eine tiefe Traurigkeit empfand.
Vor der Kirchengemeinde sagte er: "Ich bin eine transsexuelle Frau, und jetzt weiß ich, dass ich nicht verrückt bin." Diese Angst und die Befürchtung, womöglich seine Ehefrau zu verlieren, seien für ihn sehr belastend gewesen. Sichtlich bewegt erzählte er, dass er das größte Geschenk im August vergangenen Jahres bekommen habe, als seine Frau ihm sagte, dass sie bei ihm bleiben werde. Im Oktober habe er sich dann Dekan Stelzner offenbart. Er sei jetzt erleichtert, weil er wisse, dass er in seinem Beruf weiterarbeiten könne, so Zwölfer.
"Jeder ein Geschenk Gottes"
Dekan Stelzner bedankte sich für die offenen Worte und erzählte aus seiner Sicht die Ereignisse. Für ihn sei von Anfang an die Begleitung des Menschen Andreas Zwölfer im Vordergrund gestanden. Auch die oberste Kirchenleitung sehe das so, denn jeder sei ein Geschenk Gottes. Allerdings dürfte ein weiteres Wirken in der jetzigen Kirchengemeinde schwierig werden, so Stelzner.
Die Zuhörer hörten den Ansprachen von Zwölfer und Stelzner lautlos zu. Erst als Stelzner um Fragen bat, meldeten sich einige Zuhörer. Zuerst wurde gefragt, warum die Familie überhaupt nach Neufahrn gekommen sei, wenn es schon in Ansbach gewisse Anzeichen gegeben habe. Pfarrer Zwölfer erklärte dies mit gesundheitlichen Problemen. Er habe sich nicht in der Lage gefühlt, an seiner früheren Stelle noch mehr Arbeit zu bewältigen. Da seine Frau wieder in ihrem Beruf als Pfarrerin anfangen wollte, hätten sich beide auf die Stelle in Neufahrn beworben. Zudem habe er nicht daran geglaubt, dass ihre Ehe das alles verkraften werde, und dabei auch an seine Frau gedacht, die nach einer eventuellen Scheidung in der Gemeinde hätte weiterarbeiten können.
Aus der Zuhörerschaft wurde auch die Frage aufgeworfen, wie es nun in Neufahrn weitergehen und ob die Pfarrerstelle unbesetzt bleiben werde. Dazu erklärte Dekan Stelzner, dass die Situation betrüblich für die Gemeinde sei, nachdem die Stelle schon einmal eine Zeit lang vakant gewesen sei. Die Zwölfers werden dem Dekan zufolge bis Pfingsten in Neufahrn bleiben. Von Juni an herrsche dann wieder Vakanz. Von Vorteil sei, dass das Pfarrhaus energetisch saniert und renoviert sei, sodass ein möglicher Bewerber sofort einziehen könne.
Klarheit statt Gerüchten
Applaus gab es schließlich für die Frage, ob die Familie Zwölfer nicht in Neufahrn bleiben könne. Der Dekan sprach davon, dass man auf jeden Fall eine Spaltung der Pfarrei ausschließen wolle. Es sei aber sehr schön, dass solcher Zuspruch komme. Einige Zuhörer wünschten dem Pfarrerehepaar alles Gute. Auch einige Mitglieder des Kirchenvorstands wünschten "Frieden im Herzen" und nannten Zwölfers Outing sehr offen und mutig und zollten ihm höchste Anerkennung für seine ehrlichen Worte. Abschließend dankte Dekan Stelzner allen Anwesenden, auch denen, die anderer Meinung seien, und stellte erfreut fest, dass nun Klarheit herrsche und die Gerüchte ein Ende hätten. Es sei ihm ein Anliegen, dass die evangelische Kirche in großer Offenheit mit dieser Situation umgehe.