Vilsbiburger Zeitung
Das Fernziel heißt Sotschi
15. Februar 2011, 16:18 Uhr aktualisiert am 15. Februar 2011, 16:18 Uhr
Velden. (bb) Noch drei Sekunden, noch zwei, noch eine - dann ertönte die Schlusssirene. Auf der Anzeigetafel lautete der Stand aus Sicht der Heimmannschaft 1:2 und bei den Eishockeydamen des ESC Planegg brachen alle Dämme. Mit dem zweiten Sieg binnen 24 Stunden beim Topfavoriten OSC Berlin holten sie am Sonntagnachmittag die deutsche Meisterschaft - und mittendrin in der Jubeltraube war, als Mittelstürmerin mit der Nummer 24, die Veldenerin Sophie Kratzer. Für die 21-Jährige bedeutet dies den größten Erfolg in ihrer bisherigen sportlichen Laufbahn.
Am Tag darauf sind ihr die Strapazen des Wochenendes noch deutlich anzumerken: "Zum Feiern sind wir gar nicht mehr richtig gekommen, denn die beiden Spiele gegen Berlin haben uns körperlich wie psychisch alles abverlangt", erzählt sie. Doch langsam fällt der Druck ab und Stolz und Freude über die erbrachte Leistung überwiegen: "Wenn man die Meisterschaft schon drei Spieltage vor Saisonende ausgerechnet auf dem Eis des direkten Konkurrenten klarmachen kann, dann ist das schon ein besonderes Schmankerl", lächelt sie.
Zumal Sophie Kratzer am Titelgewinn wesentlichen Anteil hat: In den bisherigen 19 Saisonspielen konnte sie 18 Tore und 17 Assists auf ihrem Konto verbuchen - damit ist sie Topscorerin ihres Teams. "Ja, die Saison ist auch für mich persönlich sehr gut gelaufen, zumal ich einige ganz entscheidende Tore erzielt habe", sagt die hübsche Blondine zufrieden. Ihr Erfolgshunger ist jedoch noch lange nicht gestillt, ein großer Höhepunkt steht nämlich noch an - die Weltmeisterschaft Mitte April in Ravensburg. Die Weltelite ist hier jedoch nicht am Start: "Vor drei Jahren sind wir unglücklich aus der A-Gruppe abgestiegen und haben im ersten Anlauf den Wiederaufstieg verpasst. Diesmal, mit dem Heimvorteil im Rücken, muss es jedoch klappen", hofft die Angreiferin, die mittlerweile 42 Länderspiele auf dem Buckel hat.
Mit vier Jahren die ersten Gehversuche auf dem Eis
An eine derartige Karriere war im Jahre 1994 sicherlich noch nicht zu denken, als Sophie Kratzer im zarten Alter von vier Jahren beim Schlittschuhkurs des ESV Gebensbach ihre ersten Gehversuche auf dem Eis machte. "Meine Eltern haben das für eine kurze Phase gehalten, sich aber doch erweichen lassen, mir Schlittschuhe und einen Schläger zu kaufen", lacht sie. Zweifellos eine gute Investition, denn das Interesse für die schnellste Mannschaftssportart der Welt ging seitdem nicht mehr verloren. Ihre ersten Wettkämpfe bestritt die Veldenerin gemeinsam mit den Buben des ESV Gebensbach, ehe die Talentsichter des ESC Planegg, einer Hochburg im deutschen Fraueneishockey, auf Sophie Kratzer aufmerksam wurden. Schon mit 13 Jahren wagte sie den Schritt zu dem ambitionierten Verein vor den Toren Münchens.
Der Aufwand war nicht gering, dreimal wöchentlich stand Training auf dem Programm, dazu kamen die Spiele am Wochenende. "Da musste das Privatleben natürlich schon ziemlich drunter leiden. Aber ich habe zum Glück in Planegg gute Freunde gefunden", sagt Sophie Kratzer. Daran hat sich auch nichts geändert, als sie am Gymnasium Dorfen ihr Abitur gebaut hat. Sie nahm anschließend in München ein Lehramtsstudium für Deutsch und Geschichte auf, dem Eishockeyteam des ESC Planegg blieb sie jedoch treu. Auch in ihrer schwersten Phase, als sie nach einem Kreuzbandriss für ganze zehn Monate außer Gefecht war. "Das war eine harte Zeit. Ich war bei jedem Spiel mit dabei, konnte aber nur an der Band stehen und nicht eingreifen", blickt Sophie nur ungern auf diese Zeit zurück.
Ansonsten blieb sie zum Glück von schwereren Verletzungen bislang verschont. Und deshalb hat sie in ihrer Sportart noch einiges vor: "Mein großer Traum ist es, dass wir die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2014 im russischen Sotschi schaffen, nachdem es für Vancouver ganz knapp nicht gereicht hat." Dann, so hofft sie, könnte auch das Interesse für Fraueneishockey in Deutschland deutlich zunehmen. "Bislang ist es ja leider immer noch eine absolute Randsportart, fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Auch wenn es jetzt, vor allem dank des Internets, langsam besser wird."
Verdient eine gute deutsche Eishockeyspielerin eigentlich Geld? Bei der Frage muss Sophie Kratzer ganz kurz lachen, hat sich aber schnell wieder in der Gewalt: "Hier in Planegg können wir heilfroh und dankbar sein, dass der Verein die Benzinkosten für die Auswärtsfahrten und die anfallenden Übernachtungskosten übernimmt. Das ist in den meisten anderen Vereinen nicht der Fall. Und Geld, sei es auch nur eine geringe Aufwandsentschädigung, erhält in Deutschland sicherlich keine einzige Spielerin."
Als Profi ins Ausland?
Reizt es da nicht, vielleicht mal sein Glück im Ausland zu suchen - in Ländern wie Schweden oder Russland, in denen Fraueneishockey einen deutlich höheren Stellenwert besitzt? Oder sogar ins Mekka des Eishockeys zu wechseln, zu einem College nach Kanada oder in die USA? Sophie Kratzer will diese Möglichkeit nicht völlig ausschließen, sagt aber selbst, dass "der Reiz zwar da ist, aber eigentlich nicht sonderlich groß". Zumal im Moment neben dem Sport auch das Studium eindeutig im Vordergrund stehe.
Wieviel Zeit bleibt neben Eishockey und Studium für Hobbys und Famile? Trotz der hohen zeitlichen Belastung schaut die 21-Jährige, die seit Kurzem in München in einer Wohngemeinschaft lebt, gerne häufig in Velden bei ihrer Familie vorbei und verfolgt die sportlichen Aktivitäten ihrer drei jüngeren Geschwister: "Meine beiden Brüder spielen beide Basketball beim TSV Vilsbiburg, meine Schwester hat sich dagegen noch nicht auf eine Sportart festgelegt", erzählt Sophie. Ansonsten gehört ihr Interesse, wenn es die Zeit erlaubt, eher den feinen Künsten. "Ich male in meiner Freizeit gerne und habe außerdem an der Erstellung eines historischen Romans mitgewirkt." Ein schöner Kontrast zum oft rustikalen Geschehen auf dem Eis.