TSV 1860 München - Kommentar
Ein Traditionsverein steht am Abgrund
28. Mai 2015, 11:30 Uhr aktualisiert am 28. Mai 2015, 11:30 Uhr
Nach elf langen Jahren wollte man beim TSV 1860 München endlich raus aus dieser 2. Bundesliga. "Wir müssen Meister werden", hatte Trainer Ricardo Moniz vor der Saison vollmundig gefordert. Moniz ist schon lange nicht mehr Trainer bei den "Löwen". Sein Nachfolger Markus von Ahlen ist auch schon nicht mehr da. Mit dem aktuellen Trainer Torsten Fröhling darf der Traditionsverein in zwei Entscheidungsspielen gegen Holstein Kiel noch einmal um den Verbleib in der 2. Liga kämpfen. Die Betonung liegt auf "darf". Ein Tor für Erzgebirge Aue hatte am vergangenen Sonntag gefehlt, dann wäre der Münchner Traditionsverein schon abgestiegen gewesen.
Vor 68.500 Zuschauern hatte sich die Mannschaft in der Woche zuvor mit einem 2:1-Sieg die Ausgangslage erkämpft, alles in eigener Hand zu haben. Was folgte, war ein unverständlich blutleerer Auftritt, der die Frage nach dem Charakter der Mannschaft aufwirft. "Wenn du so in Kiel auftrittst, bekommst du auf die Fresse. Wir können auch ein ganz anderes Gesicht zeigen, aber dafür muss jeder Einzelne bereit sein, sein Ego hintenan zu stellen", fand Kapitän Christopher Schindler nach dem Spiel deutliche Worte. Ein "wichtiger Mitarbeiter" wird Anfang der Woche in der Süddeutschen Zeitung mit den Worten zitiert: "Die Mannschaft ist völlig kaputt." Und es sei nicht mehr auszuhalten, dass Sportchef Gerhard Poschner seine "schützende Hand" über "seine Spanier" halte.
Letzter Fluchtweg Trainingslager
Zu Wochenbeginn entschloss sich Trainer Torsten Fröhling vor den überlebenswichtigen Spielen gegen Kiel doch noch für ein Kurztrainingslager. Am Mittwoch ging es für die Mannschaft nach Norderstedt bei Hamburg. Es ist der letzte Fluchtweg, die Nerven liegen blank. Am Montag gab es im Training eine Auseinandersetzung zwischen Ersatztorwart Stefan Ortega und Stürmer Rodri. Und ausgerechnet in der aktuellen Situation schießt von den "Oberen" öffentlich wieder einmal jeder gegen jeden.
Lesen Sie auch: Kurztrainingslager vor der Relegation - "Bestmöglich fokussieren"
Dabei sollte der Fokus im gesamten Verein aktuell nur auf dem Sportlichen liegen. Denn das entscheidet über die mittelfristige Zukunft des Vereins. Ein Abstieg hätte weitreichende Folgen. So wird nun schon wieder ein Juwel aus der eigenen Jugend verkauft, Julian Weigl wechselt im Sommer zu Borussia Dortmund, um dringend benötigtes Geld aufzutreiben, damit man die Lizenz für die 3. Liga überhaupt bekommt.
Aus für die tolle Nachwuchsarbeit?
Außerdem hätte ein Abstieg enorme Auswirkungen auf den Nachwuchsbereich, der seit Jahren zu den besten in Deutschland gehört. Spieler wie die Bender-Zwillinge, Kevin Volland oder Stefan Aigner stammen aus der Jugend von 1860. Bei einem insgesamt deutlich geringeren Etat würde mit Sicherheit auch im Nachwuchs der Rotstift angesetzt werden. Unsicher wäre auch, ob die U21 eine Zukunft hätte. Wie der kicker (Donnerstag) berichtet, wäre laut Nachwuchsleiter Wolfgang Schellenberg die Weiterführung der U21 aus finanziellen Gründen zumindest fraglich.
Das alles ist umso trauriger, wenn man, wie beim Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg, sieht, welches Potential dieser Verein eigentlich hätte und welche Fanbasis trotz der jahrelangen Misswirtschaft immer noch da ist. Es ist geradezu grotesk, dass seit nunmehr über einem Jahrzehnt kein Verantwortlicher dazu in der Lage war, dieses Potential zu wecken. "Der Fisch stinkt immer vom Kopf her", lautet ein Sprichwort. Und so kann man für 1860 nur hoffen, dass der Abstieg in die 3. Liga irgendwie verhindert werden kann. Dann wird es wieder einmal Zeit für einen Neuanfang. Hoffentlich mit den passenden Leuten in den entscheidenden Positionen.