Landkreis Straubing-Bogen
Ein Skandal und seine Verlierer
6. Oktober 2018, 13:15 Uhr aktualisiert am 6. Oktober 2018, 13:15 Uhr
Es ist der 16. März 2014. Alles sieht nach einem Favoritensieg aus. Amtsinhaber Bernhard Krempl von den Freien Wählern liegt vorn. Nicht haushoch, aber deutlich. Viele sind sich sicher: Krempl bleibt Bürgermeister der Stadt Geiselhöring im Landkreis Straubing-Bogen.
Dann öffnen die Wahlhelfer die Briefwahlscheine. Die werden immer am Schluss ausgezählt, normal drehen sie das Ergebnis nicht mehr um. Heute ist es anders: Am Ende gewinnt Krempls Herausforderer, Herbert Lichtinger von der CSU, mit rund 54 Prozent und 303 Stimmen Vorsprung.
Ein Paukenschlag, eine faustdicke Überraschung. Amtsinhaber werden wieder gewählt, so lautet ein ungeschriebenes Gesetz bei Kommunalwahlen, es sei denn, sie haben sich etwas Gravierendes zuschulden kommen lassen. Krempl ist nicht unumstritten, aber skandalfrei. Noch im Rathaus gratuliert er Lichtinger.
Verstehen kann er seine Niederlage nicht. Er analysiert das Ergebnis - und wird stutzig. Wie kann es sein, dass die Briefwahl einen so großen Einfluss genommen hat?
Besonders in einem Wahlbezirk, Bezirk 3, hat Lichtinger bei den Briefwählern deutlich gewonnen. Und: Analog zur Bürgermeisterwahl kippte dadurch auch das Ergebnis des Stadtrats. Plötzlich tauchten dort Namen auf, die vorher klar zurückgelegen hatten. Alle von der CSU, und alle aus einem bestimmten Personenkreis.
Auch anderen Geiselhöringern kommt das Ergebnis komisch vor. Die Wahlbeteiligung ist höher als anderswo und höher als 2008. Ebenso die Zahl der Briefwähler. In der kleinen Gäubodenstadt rumort es. Gerüchte gehen um, die Wahl sei manipuliert. Mehrere Hundert rumänische Erntehelfer eines großen Spargel- und Beerenbauern sollen unberechtigt abgestimmt haben. Oder zumindest bei ihrer Wahl beeinflusst worden sein - zugunsten der Frau des Spargelbauern, des Freundes der Tochter, eines Cousins, eines Nachbarn und einer Mitarbeiterin.
Wahlergebnis wird offiziell annulliert
Krempl und Lichtinger schalten das Landratsamt ein. Beide wollen, dass die Rechtsaufsicht für Klarheit sorgt. Die ÖDP/PU fordert auch die Kreistagswahl zu untersuchen. "Es wäre schwer erträglich, mit einem Wahlergebnis arbeiten zu müssen, das unter dem Verdacht der Manipulation steht", sagt der ÖDPKreisvorsitzende Bernhard Suttner.
Alle deuten auf den Spargelbauern - und der wehrt sich. Seine Frau hätte die Stimmen gar nicht gebraucht. Sie wäre auch so in den Stadtrat und den Kreistag gekommen. Außerdem seien die Erntehelfer für ihre Wahl eigenverantwortlich. Viele von ihnen seien selbstständig, hätten in Deutschland ihren Hauptwohnsitz und reguläre Wahlbenachrichtigungen erhalten. "Und seien wir doch mal ehrlich", sagt er, "es ist doch kein Wunder, dass sie die Menschen wählen, die sie kennen und zu denen sie Vertrauen haben."
Mit genau dieser Frage, Wunder oder nicht, wird sich ab Dienstag das Landgericht Regensburg beschäftigen. Denn im Oktober 2014 annulliert die Rechtsaufsicht das Ergebnis vom März wegen Wahlverdunkelung. Die Wahlen für Bürgermeister, Stadtrat und Kreistag müssen im Februar 2015 wiederholt werden. Alle Gewählten verlieren ihr Mandat. Geiselhöring bekommt einen Übergangsbürgermeister. Die Kosten für die Nachwahl und das benötigte Personal betragen laut Landratsamt 300.000 Euro. Für die soll ab Dienstag - vier Jahre nach dem Skandal - ein Zahler her.
Für die Staatsanwaltschaft scheint die Sache klar. Auf der Anklagebank vor dem Landgericht Regensburg werden der Spargelbauer und vier rumänische Mitangeklagte sitzen. Ihnen werden Wahl- und Urkundenfälschung, die Abgabe einer falschen Versicherung an Eides statt und die Verleitung zur Abgabe einer falschen Versicherung vorgeworfen. Strafmaß bei einer Verurteilung: bis zu fünf Jahre Haft. 44 Zeugen und zwei Sachverständige sind geladen, ein Urteil wird frühestens Ende November fallen.
Die Regierung von Niederbayern und das Landratsamt Straubing-Bogen stützen ihre Annullierungs- Entscheidung vom Oktober 2014 auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Regensburg und der Kripo Passau. Die durchsucht unter anderem die Wohn- und Büroräume des Spargelbauern und befragt die Erntehelfer. Das Ergebnis: 423 von 427 Erntehelfern haben mit Briefwahl gewählt. Keiner der 423 war laut Anklage wahlberechtigt.
Und, die Rumänen mussten sich im deutschen Wahlrecht gut ausgekannt haben. Sie wählten nicht einfach eine Liste, sondern häufelten auf bestimmte Kandidaten. Aus den Zahlen der Häufelung erstellte das LKA in München ein Handschriftgutachten. Mindestens 350 der Wahlzettel waren von höchstens fünf Personen ausgefüllt worden. Ob diese Personen die Angeklagten waren, muss die Staatsanwaltschaft erst beweisen. Es gilt weiterhin die Unschuldsvermutung.
CSU verliert absolute Mehrheit
Im Vorfeld der Nachwahl 2015 sind alle Landkreisgemeinden gezwungen, ihre Melde- und Wahlregister zu untersuchen. Ein immenser Aufwand, denn strittige Wähler müssen mehrfach angeschrieben werden. Erntehelfer, Asylbewerber sogar Nonnen und Internatsschüler werden geprüft.
Politisch ist der Kurz-Wahlkampf entgegen den Beteuerungen aller Parteien ein schmutziger. Bernhard Krempl (FW) etwa lässt sich zu der Aussage hinreißen: "Die Manipulation ist Deutschlands größte Wahlfälschung. Ich hätte die Wahl unter diesen Umständen nicht angenommen." Anschließend liefert er sich ein Leserbrief-Scharmützel mit der Frau des Spargelbauern.
Die Kreis-CSU ist vor der Wahl peinlich darauf bedacht, sich selbst als Opfer hinzustellen. Jeder wisse, dass Wahlfälschungen von ein paar Verrückten gemacht würden, sagt Kreisvorsitzender und MdL Josef Zellmeier in einer Podiumsdiskussion. Sein Kreisverband habe schon früh eine harte und schonungslose Bestrafung der Täter gefordert. Die fünf Geiselhöringer, denen ein Bezug zur Manipulation nachgesagt wird, kandidieren nicht mehr.
Geholfen hat es Zellmeier und den Seinen wenig. Die CSU verliert am 1. Februar 2015 auf Landkreisebene die absolute Mehrheit - zum ersten Mal seit der Gebietsreform 1972. Sie muss mit der FDP/FWG koalieren. Das Vertrauen in die Politik ist erschüttert, die Wahlbeteiligung liegt bei 45 Prozent.
Sozialabgabebetrug als juristischer Beifang?
Der Geiselhöringer Fall hat Breitenwirkung. Infolge der Manipulation wird Kritik am Kommunalwahlrecht laut. Es regelt nicht eindeutig, welche EU-Bürger an Wahlen teilnehmen dürfen und welche nicht. Bis heute arbeitet der Landtag an einer Änderung.
Auch die Behörden geraten in die Kritik; wegen der langen Ermittlungen und des juristisch höchst schwammigen "höchstens fünf Personen" bei den Handschriftgutachten zu den Wahlbögen. Ein eindeutiges Ergebnis liest sich anders.
Der Spargelbauer und seine Frau treten noch vor der Nachwahl aus der CSU aus. Im Mai 2016 steht die Staatsanwaltschaft erneut vor ihrer Tür, dieses Mal mit dem Zoll. Ihre Unternehmen sollen acht Jahre lang Scheinselbstständige beschäftigt und etwa sechs Millionen Euro Sozialabgaben unterschlagen haben. Auf die Spur waren die Ermittler bei den Durchsuchungen zu den Manipulationsvorwürfen gekommen. Juristen nennen das Beifang. Ob an den Vorwürfen aber etwas dran ist, ist unklar. Ein Ergebnis von offizieller Seite steht noch aus.
Für den Großbauern geht es ab Dienstag dennoch um viel. Vor allem um viel Geld. Neben den 300000 Euro für die Nachwahl könnten auch eine Geldstrafe und in einem Zivilprozess auch die Wahlkampfkosten der Parteien auf ihn zukommen. Und Bernhard Krempl? Bis heute hält sich in der Bevölkerung der Vorwurf, das Rathaus, also Krempls Verwaltung, hätte die versandten Briefwahlempfänger prüfen müssen. Auch das Nachtreten nehmen ihm die Wähler übel. In der Nachwahl geht er mit 39 Prozent unter. Dieser Skandal kennt nur Verlierer.