Landkreis Straubing-Bogen

Hörbeeinträchtigung: Straubinger Stelle hilft

Informations- und Servicestelle verstärkt ihr Angebot


Cornelia Stiegler (rechts) kümmert sich um die Belange von Menschen mit Hörbeeinträchtigung.

Cornelia Stiegler (rechts) kümmert sich um die Belange von Menschen mit Hörbeeinträchtigung.

Menschen mit Hörbeeinträchtigung haben oft mit Hürden zu kämpfen. Eine Straubinger Beratungsstelle hilft bei allen Fragen und bestärkt Menschen in ihren Herausforderungen im Alltag.

Was würden Sie tun, wenn Sie vor einer verschlossenen fremden Tür stehen würden und den Türsummer nicht hören könnten? Nicht weil es so laut um Sie herum ist, sondern weil Ihr Hörsinn nicht funktioniert? Gibt es sonst keine Möglichkeit, Ihnen anzuzeigen, dass die Tür offen ist, müssten Sie kapitulieren. Derjenige hinter der Tür wird ungehalten sein und mit Unverständnis reagieren.

Dies ist nur ein Beispiel für die Hürden, die Menschen mit Hörbeeinträchtigung im Alltag von Hörenden entgegen treten. "Nicht sehen trennt von den Dingen, nicht hören von den Menschen" - dieser Spruch stammt von der gleichzeitig tauben und blinden Schriftstellerin Helen Keller und trifft die Lebensrealität vieler Menschen mit Hörschwierigkeiten. Für Hörende ist es kaum vorstellbar, wie ein Alltag mit Hörproblemen aussieht und welche Barrieren dort lauern. Hier setzt die Straubinger Informations- und Servicestelle für Menschen mit Hörbehinderung an. Sie ist für jeden in Niederbayern zentraler Anlaufpunkt für eine Beratung zum Thema Hörbeeinträchtigung.

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Seit Kurzem baut die Servicestelle in Straubing ihr Angebot für alle Menschen in Niederbayern aus.

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Gebärdensprache ist im Alltag für Menschen mit Hörbeeinträchtigung wichtig.

Jeder hört anders

Nach Zahlen des Deutschen Schwerhörigenbunds leben rund 19 Prozent der über 14-Jährigen in Deutschland mit einer Hörbehinderung. Diese nüchternen Zahlen können aber kaum erfassen, wie Hörbeeinträchtigung im Einzelfall aussieht. Das Spektrum ist breit und reicht von Taubheit über Tinnitus bis hin zu leichtgradiger Schwerhörigkeit, wie sie oft im Alter vorkommt. "Jede Hörbeeinträchtigung ist anders. Es ist ein großer subjektiver Faktor dabei: Ein Hörgerät ist nicht vergleichbar mit einer Brille, bei der man sofort besser sieht. Man braucht eine hohe Frustrationstoleranz, um sich an den veränderten Höreindruck und das Gerät zu gewöhnen. Es ist ein langer Weg und es ist ein anderes Hören", sagt Carmen Böhm von der Straubinger Informations- und Servicestelle für Menschen mit Hörbehinderung in Niederbayern. Böhm ist seit Februar in der Beratungsstelle tätig und baut ein neuartiges Angebot für den Fachverband für Menschen mit Hör- und Sprachbehinderung e.V. (BLWG) auf. Denn die Belange von Menschen mit Hörbeeinträchtigung kämen in der Öffentlichkeit noch zu kurz, sagt sie. Nur wenige wüssten, an wen man sich im Zweifelsfall wenden könne.

Servicestelle hilft

In der Gammelsdorfer Straße 23 in Straubing können sich alle Interessierten dienstags von 8 bis 12 Uhr und von 15 bis 18.30 Uhr beraten lassen oder einen individuellen Termin mit Cornelia Stiegler oder Carmen Böhm vereinbaren. Beide beraten und unterstützen in verschiedenen Städten Niederbayerns, auf Wunsch auch zu Hause oder als Begleitung bei wichtigen Terminen. "Schwerhörige brauchen Beratung", ist Stiegler von ihrer Aufgabe überzeugt. Mit der neuen Kollegin Böhm will sie in Zukunft ihr großes Einzugsgebiet noch besser bedienen. "Wir wollen Betroffenen zeigen: Es gibt Möglichkeiten", sagt Stiegler. Denn Unsicherheit und seelische Belastung seien oft ein großes Problem für Menschen mit Hörbeeinträchtigung und Angehörige. "Die Leute sagen: Früher ging's doch noch, warum höre ich auf einmal schlechter, ich kann bei Familientreffen nicht mehr mitmachen. Und dann fühlen sie sich allein und ziehen sich zurück", so Stiegler. Die Informationsstelle gibt hier Hilfestellung für Menschen mit Schwerhörigkeit und informiert zu ihren Rechten. Das soll möglichst niedrigschwellig erfolgen - was heißt: Die Beratung ist kostenlos, anonym und vertraulich. Zu den Sprechzeiten ist keine Anmeldung erforderlich, für individuelle Termine ist die Stelle via Telefon, E-Mail und Fax erreichbar. Stiegler und Böhm können per Gebärdensprache kommunizieren und verfügen über technische Hilfsmittel, die zur Beratung genutzt werden können.

Beratung ist nötig

"Interessant ist doch: Es leben rund 13 Millionen Menschen mit Hörbeeinträchtigung in Deutschland. Ungefähr 2,5 Millionen haben Hörgeräte. Nimmt man noch die 35.000 Cochlea-Implantate - das sind Hörprothesen, die die Gehörschnecke im Kopf elektrisch stimulieren - hinzu, so ist eine riesige Anzahl nicht versorgt und vermutlich nicht informiert", sagt Böhm. Das mache eine unverbindliche Anlaufstelle so wertvoll. Stiegler und Böhm stellen den Kontakt zu helfenden Stellen und Behörden her oder vermitteln zu Selbsthilfeorganisationen und Verbänden. Hauptsächlich melden sich Privatpersonen bei der Servicestelle. Es gebe aber auch Firmen, die anrufen und fragen würden: "Ich habe einen schwerhörigen Mitarbeiter - wie gehe ich damit um?", berichtet Stiegler. In den meisten Fällen gehe es um konkrete Hilfe im Alltag: "Wir unterstützen die Leute darin, für sich Strategien zu finden", sagt Böhm. Gerade in Gesprächen müsse man den Gegenüber bitten, Dinge zu wiederholen. Das fällt schwer, ist aber für Betroffene sehr wertvoll - auch wenn das Umfeld wenig Verständnis zeigen sollte: "Man muss beharrlich bleiben, denn man ist im Recht. Uns geht es darum, die Personen zu stärken, einen guten Weg für sich zu finden", ermuntert Böhm. Adressat der Servicestelle ist daher gerade auch das Umfeld der Betroffenen. Wenn man sich bemühe, die Herausforderungen für Menschen mit Hörbeeinträchtigung im täglichen Leben zu verstehen und sich ein wenig auf die Menschen und ihre individuellen Bedürfnisse einzulassen, sei schon viel gewonnen, findet Böhm.

Alltag oft schwer

Der Alltag stellt Menschen mit Hörbeeinträchtigung ohnehin vor viele Probleme. Oft kursieren falsche Informationen über gehörlose Menschen: "Lippenlesen reicht aus", "Was? Gehörlose dürfen Autofahren?" Oder: "Gehörlose leben doch im Heim", berichtet Stiegler von Aussagen, die sie schon einmal gehört hat. Vor nicht allzu langer Zeit war außerdem der Begriff "taubstumm" alltäglich. Dieser ist problematisch, denn Taube sind nie wirklich stumm - durch Gebärdensprache können sie sich gut verständigen. Lange hatte Gebärdensprache den Status einer Untergrundsprache und ist erst seit 2002 als eigenständige Sprache anerkannt. Um mit der hörenden Umwelt vollwertig zu kommunizieren, nutzen Gehörlose einen Dolmetscher, auf den sie durch das Behindertengleichstellungsgesetz einen Anspruch beim Arzt, in Behörden und am Arbeitsplatz haben. Nur: Aufgrund des Dolmetschermangels in Bayern seien diese gerade bei kurzfristigen Terminen stark eingeschränkt verfügbar, berichtet Böhm. Umso mehr sind Akzeptanz im Alltag und eine Umgebung ohne Hindernisse für gehörlose Menschen sehr wichtig. Nachholbedarf sehen Stiegler und Böhm zum Beispiel bei Durchsagen in der Öffentlichkeit, die nicht auch schriftlich präsentiert werden - hier seien Menschen mit Hörbeeinträchtigung benachteiligt.

Weiter Nachholbedarf

Akzeptanz zu erreichen ist freilich ein langwieriger Prozess, dessen sind sich Böhm und Stiegler bewusst. Schulungen in Firmen und Abendvorträge sollen helfen, dazu beizutragen, über Hörbeeinträchtigung und Kommunikation zu informieren und Barrieren abzubauen. Erst vor Kurzem beteiligte sich die Servicestelle anlässlich des "Internationalen Tages gegen Lärm" an einer AOK-Veranstaltung zu Tinnitus. "Wir sind schon auf einem guten Weg, aber es kann immer noch besser werden", sagen Stiegler und Böhm unisono.

Kontakt: Informations- und Servicestelle für Menschen mit Hörbehinderung, Tel. 09421/42870 oder unter iss-ndb@blwg.de