Corona-Situation
So gehen regionale Kunstschaffende damit um
19. Mai 2020, 17:01 Uhr aktualisiert am 19. Mai 2020, 17:01 Uhr
Theateraufführungen gibt es derzeit nur im Fernsehen, ein genussvoller Abend in der Oper ist nicht möglich, Volksfeste fallen in diesem Sommer aus und damit auch das "Prosit der Gemütlichkeit", das die Live-Band durch das Bierzelt ruft.
Hinter kulturellen Veranstaltungen wie diesen stehen auch immer Einzelschicksale - nämlich die der Darsteller, Schauspieler, Musiker und vielen mehr. Gäuboden aktuell hat sich mit Kunstschaffenden unterhalten und ihnen drei Fragen gestellt:
1. Keine Bühne, kein Publikum - wie gehen Sie damit um, derzeit nicht öffentlich künstlerisch tätig sein zu können?
2. Wie können Kulturfreunde Künstler in diesen Zeiten unterstützen?
3. Welche Alternativen bringt die Krise für Sie hervor?
Andreas Wiedermann, Regisseur
Andreas Wiedermann lebt in Straubing, inszeniert seit knapp 20 Jahren deutschlandweit Theateraufführungen und ist Regisseur bei Opern und Musicals.
1. "Wir bereiten momentan die nächsten Projekte vor. Kleinere Sujets wie das Zwei-Personen-Stück Szenen einer Ehe proben wir vor. Die Zauberflöte als größeres Stück im Mainfrankentheater Würzburg wurde wegen der Abstandsregelung auf 2021 verschoben. Stattdessen bringen wir dieses Jahr Rinaldo von G.F. Händel auf die Bühne - ein Stück, das mit den derzeit amtlichen Vorgaben kompatibel ist. Schach meets Theater!"
2. "Die eigentlichen Proben machen ja nur circa 35 Prozent der Arbeit aus. Dementsprechend disponieren wir jetzt bereits Projekte, die erst im Herbst nächsten Jahres stattfinden werden. Aber endlich auch Bücherberge und Filmeditionen abarbeiten zu können, hat seinen Reiz."
3. "In der wachsenden Vorfreude auf die anstehenden Premieren. Denn natürlich lebt das Theater von diesem unmittelbaren Austausch zwischen Zuschauersaal und Bühne. Und in der Übergangszeit hoffen wir, dass unser Publikum dem Theater treu bleibt - auch mit etwas angepassten Bühnenkonzepten und Desinfektionsmitteln unter jedem Sitz."
"Die finanzielle Unterstützung ist überlebenswichtig."
Christina Matschoss, Schauspielerin
Die gebürtige Straubingerin Christina Matschoss ist ausgebildete Schauspielerin, steht seit vielen Jahren auf den Theaterbühnen in Deutschland und lebt derzeit in München.
1. "Die Bühne fehlt mir natürlich sehr, aber über unseren Facebook-Livestream lesen wir vom Theater Impuls derzeit immer mittwochs ab 22 Uhr live zwei Kapitel aus dem Werk Die Nichten der Frau Oberst - ein Klassiker der erotischen Literatur von Guy de Maupassant, bis das Buch zu Ende ist. Ein wunderbares Trostpflaster!"
2. "Die Krise schafft viel Raum, sich über Alternativen Gedanken zu machen. Es wird sehr wahrscheinlich noch seine Zeit dauern, bis die Theater wieder ihren gewohnten Betrieb aufnehmen können, daher heißt es jetzt, kreativ und neu denken. Vielleicht finden wir Formen, die sich auch nach der Krise weiter tragen."
3. "Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten zu spenden: Entweder bei den Künstlern selbst, an Verteiler wie Theater und Live Art München e.V. oder an die privaten Theater, die nicht staatlich gefördert sind. Die finanzielle Unterstützung ist schlicht und ergreifend überlebenswichtig. Außerdem hilft der Aufruf, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass Kunst und Kultur fehlen."
Robert Gregor Kühn, Schauspieler
Robert Gregor Kühn ist in Thüringen aufgewachsen und arbeitet hauptberuflich als Schauspieler und Sänger. Er lebt derzeit in München und hat in Straubing schon mehrfach mit Andreas Wiedermann und der Gruppe "Theater Plan B" oder "Opera Incognita" zusammengearbeitet.
1. "Ich begreife diese Zeit als Möglichkeit, genau herauszufinden, wo man künstlerisch steht. Und um zu sehen, was einem wichtig ist neben dem Geld verdienen."
2. "Neue Fähigkeiten zu entwickeln - ich zum Beispiel nehme jetzt an einem Acting for Film-Workshop teil. Und man entwirft neuartige Formate. Zum Beispiel mache ich derzeit eine Lesung für Wein- und Literaturfreunde zusammen mit Christina Matschoss. Und man übt sein Repertoire."
3. "Viele rufen direkt zu Spenden per PayPal auf. Ich selbst habe das über eine Lyrik-Challenge auf meinem YouTube-Kanal getan. Mit unserer wöchentlichen Lesung Die Nichten der Frau Oberst animieren auch wir zu Spenden für die freie Kunstszene zum Beispiel."
"Der Terminkalender ist mein täglicher Begleiter."
Franz Aichinger, Sänger
Franz Aichinger lebt in Ascha (Landkreis Straubing-Bogen) und ist neben seinen schauspielerischen Engagements Leadsänger der Straubinger Kultpartyband "Donnervögel".
1. "Ich denke vor allem an das, was nach Corona kommt. Ich bin allzeit bereit, dass es wieder losgeht - mental und von der Vorbereitung des Equipments her. Allerdings genieße ich auch, dass ich jetzt viel Bonuszeit habe."
2. "Unsere kommerzielle Art von Musik lebt von der Live-Atmosphäre. Eine Online-Präsentation unseres Programms geht deshalb nicht. Wir beobachten die Charts, um bei einem Neustart die aktuellen Hits spielen zu können. Auch überarbeiten wir unser bestehendes Programm. Zudem nimmt die Planung hinter den Auftritten viel Zeit in Anspruch. Durch Verschiebungen von Jobs ist der Terminkalender mein täglicher Begleiter."
3. "Wir erfahren viel Unterstützung vonseiten der Veranstalter und Gastgeber. Sie halten mit uns Rücksprache und geben uns so die Möglichkeit, einen neuen Termin später in diesem Jahr oder 2021 wahrnehmen zu können. Sie ersetzen uns nicht einfach. Das ist ein gutes Gefühl."
Andrea Höcht-Willén, Mezzosopranistin
Die Straubingerin Andrea Höcht-Willén ist Sängerin und steht seit vielen Jahren auf der Bühne.
1. "Ich verdiene mein Geld mit Auftritten und Musikunterricht. Dass Theater- und Konzertsäle geschlossen sind, können wir nicht ändern. Darüber kann ich mich aufregen, das macht mich aber nicht fröhlicher. Schlimm ergeht es auch Menschen, die in einem Chor jede Woche ihren Arbeitsfrust absingen konnten. Man wird feststellen, wie sehr dies fehlt. Unterricht fand zuletzt online statt. Online-Unterricht ist aber nicht für jedes Instrument möglich und sinnvoll."
2. "Viele Schüler haben nicht den geeigneten Computer für Online-Unterricht. Er fällt aus, ich erhalte kein Geld. Kirchenmusiker, die ihre Chöre seit Wochen nicht gesehen haben, rufen an und fragen, ob man ihren Gottesdienst gestalten könnte. Das tue ich gerne. Nur - Kirchenchöre singen umsonst, freiberufliche Musiker nicht. Die Gage ist dabei nicht überwältigend. Dafür können die Kirchenmusiker nichts, das hat mit dem Verständnis zum Beruf Musiker zu tun."
3. "Ladet die Künstler nach Hause ein, bittet um ein Privatkonzert und seid bereit, ihre Arbeit, die Vorbereitung oder die Präsentation zu bezahlen. Übrigens habe ich die sogenannte Soforthilfe zu Beginn der Krise beantragt und bis heute, nach vielen Anrufen und zwei Formularen, immer noch nicht."