Volksfestglück
Was für unseren Autor das Gäubodenvolksfest ausmacht
2. August 2022, 13:58 Uhr aktualisiert am 2. August 2022, 13:58 Uhr
Was mir fast am meisten gefehlt hat, waren neben diesem unglaublich angenehmen Gefühl, das die erste Mass Bier am ersten Freitag bietet: die Frühnachmittage bei den Felsnstoanern. Die spielen jeden Nachmittag im Nothaft, aber nur unter der Woche, fünf Mal also in diesem Volksfest. Von mir aus könnten sie jeden Tag spielen, aber das tun sie halt nicht. Doch wenn ich nur kann, bin ich dabei.
Ich sitze immer am selben Tisch, manchmal allein, manchmal mit einem Steckerlfisch, manchmal mit einem Anterl, meistens aber mit Freunden. Dann freuen wir uns, bereden dieses und belachen jenes, und manchmal sage ich mittendrin: „Horchts amal, seids amal staad! Etz spielens mei Lieblingslied!“ Dann müssen alle kurz schweigen und horchen. Weil nämlich die Fels‘nstoana dann grad mein Lieblingslied spielen.
Ich habe sehr viele Lieblingslieder. Da wäre zum Beispiel „Narcotic“ von Liquido oder „What’s up?“ von den Four Non Blondes, und wenn ein 5.000-Mann-Zelt „And through it all, she offers me protection!“ plärrt, dann plärre ich äußerst laut mit. Und ganz besonders ist alles mein Lieblingslied, was die Fels‘nstoana spielen, und da ganz besonders das, was man bayerisch-böhmische Blasmusik nennt.
Der Böhmische Wind, Die Vogelwiese, Fuchsgrabenpolka, alles ist mein Lieblingslied. Diese Art von Blasmusik ist so weich, so sichhineinschmeichelnd in die Ohren, und am weichsten spielen diese Musik halt die Fels‘nstoana. Ihr Sound ist der weichste von allen. Das an einem Mittag oder Frühnachmittag, dazu eine Mass und vielleicht ein Kaas und eine Brezn: Freunde, wer möchte mehr erwarten von einem schönen Tag auf dem Volksfest?
Ich mag auch die Volksfestmusikanten im Wenisch. Sie sind gewaltig. Die Volksfestmusikanten können alles spielen, bayerisch-böhmisch, den etwas härteren Sound altbayerischer Blasmusik, dazu ganze Opern-Ouvertüren und außerdem den Florentiner Marsch von Julius Fucik, der unbestritten eine der gewaltigsten Kompositionen ist, die je für ein großes Blasorchester ersonnen wurden.
Konzentriert, hingebungsvoll, glücklich
Immer dann, wenn im Wenisch der Florentiner Marsch erklingt, hört ein Freund von mir mitten im Satz mit dem Reden auf, egal, was grade Thema ist. Ruckartig wendet er sich ab, Kopf hin zur Bühne, und dann lauscht er nur noch, konzentriert, hingebungsvoll, glücklich.
Der Florentiner Marsch beginnt mit einer Trompetenfanfare, Dadada! Dadada! Dadada! Dann kommt eine Querflöte, und dann geht es richtig ab. Wenn der letzte Ton vorbei ist, springt mein Freund auf. Dann klatscht er wie verrückt, dreht sich zurück zum Tisch und unterhält sich ganz normal weiter, als ob nichts gewesen wäre. So geht es vielen im Wenisch.
Das Publikum dort ist äußerst fachkundig, es kommt gezielt zu den Volksfestmusikanten, so wie man ins Konzert geht. Die Volksfestmusikanten und ihr Publikum sind ein Erlebnis, ein Highlight, und ich liebe das. Bei den Felsnstoanern ist das ganz anders, aber das liebe ich fast noch mehr. Weil der Sound so weich ist. Und dann passiert das:
Man sitzt in einem Bierzelt und unterhält sich, und plötzlich stellt man ganz überrascht fest, dass man schon die ganze Zeit fast am Schunkeln ist. Die ganze Zeit schon wiegst du dich zur Musik sanft hin und her, leicht wie ein Weizenfeld im sanften Sommerwind.
Das liegt daran, weil die Fels‘nstoana nicht donnernd laut sind; sie sind laut genug, um sie zu hören, aber nicht so laut, dass ein Gespräch leidet. Das ist perfekt. Und dann noch diese Art von Gesang: Wie die „Ich denke oft und gerne an den Böhmischen Wind“ singen, der noch weht, wenn wir längst nicht mehr sind, und die Geschichte vom Franz, der auf die Vogelwiese ging, weil er gern einen hebt, und was dann dort erlebt, und dann, das Schönste von allen: Der Böhmische Traum.
Man denkt ja immer, dass Der Böhmische Traum vor mindestens 100 Jahren in Böhmen komponiert worden ist, in Krumau vielleicht oder Pilsen oder in Klattau, weil er so dermaßen böhmisch klingt. Aber das stimmt nicht. Der Komponist ist heuer erst 58 Jahre alt geworden und stammt aus Weingarten, das ist nicht weit vom Bodensee. Er ist ein Schwabe und heißt Norbert Gälle, und den Böhmischen Traum hat er 1997 komponiert, ein echtes Meisterwerk. In diesem Jahr wird dieses Meisterwerk 25 Jahre alt.
Seit 2019 versucht DJ Ötzi den Böhmischen Traum zu zerstören, wie er schon viele Werke zerstört hat. Meine erste Begegnung mit der Ötzi-Version war auf einer Autofahrt. Im Radio haben sie gesagt, dass DJ Ötzi einen neuen Song hat, der ganz sicher ein Wiesnhit wird und „Der hellste Stern“ heißt, und dass sie das jetzt spielen.
Beim ersten Takt war mir klar: O mein Gott. Furchtbar. Er zerstört den Böhmischen Traum. Er macht ihn kaputt. Er ist ein Barbar, ohne Sinn für Schönheit, nur einfältiger Bumm-Bumm-Rhythmus, Ballermann-Skihütten-Partysound, ganzganzganz furchtbar. Dieser ganz eindeutig vor nichts außer Geld und Erfolg Respekt habende Mensch hat aus einem Traum einen Alptraum gemacht.
„Servus! Samma wieder do!“
Dass ein Tiroler imstande ist, so etwas zu tun, ist erschütternd. Man denkt ja immer, Tiroler haben für schöne Blasmusik mehr Sinn als etwa die Menschen in Hamburg, Bremen oder Flensburg-Handewitt. Aber vielleicht ist das ein Vorurteil, und vielleicht sollte man selbst im wirklich Wut weckenden Wirken des DJ Ötzi noch Positives suchen.
Denn wenn überhaupt irgendetwas gut war an der Tatsache, dass wir zwei Jahre ohne Volksfest sein haben müssen, dann ist es das, dass keine Partyband die Chance hatte, den Ötzi-Cover-Alptraum ihrerseits zu covern und ein Meisterwerk zu infantilisieren. Die Fels‘nstoana-Version dagegen: Pure Schönheit. Pure Harmonie. Und dann gibt es noch etwas, das ich vermisst habe.
Dort, wo ich immer sitze, arbeitet seit vielen Jahren immer dasselbe Servicepersonal, und was soll ich sagen: Sie sind unter all den vielen freundlichen und guten Kräften in den Zelten die freundlichsten und besten. Umsichtig, bemüht und schnell, gut gelaunt, freundlich halt. Es war schon immer ein schöner Moment, wenn wir am Volksfestbeginn zum ersten Mal zu diesem Tisch sind und „Servus! Samma wieder do!“ gesagt haben, oder so etwas in der Art.
Ich erinnere mich auch noch genau an jedes Wort, das wir am letzten Montag vor drei Jahren zum Abschied gewechselt haben, nicht wissend, dass es zwei Jahre lang kein „Servus! Samma wieder do!“ geben wird. Ich habe ein bisserl Angst, dass sie vielleicht nicht mehr da sein könnten, drei Jahre sind eine lange Zeit, es kann sich vieles verändern in drei langen Jahren.
Man hatte ja zeitweise den Eindruck in diesem Land, dass alles nach „Veränderung“ schreit, weil „Veränderung“ als eine Art Heilsbringer galt. Aber das wäre eine Veränderung, die nicht sehr schön wäre, und deshalb hoffe und glaube ich eigentlich auch, dass sie auch in diesem Jahr wieder da sind.
Dann werden wir, wie immer am ersten Freitag, schon ziemlich früh zu diesem bestimmten Tisch gehen, der im ganzen Volksfest der beste ist. Wir werden sagen: „Servus! Samma wieder do!“ und dazu recht fröhlich dreinschauen. Wir werden die erste Mass trinken wie immer, dazu einen Kaas essen wie am ersten Tag immer, und wir werden uns freuen wie entweder die Schneekönige oder die kleinen Kinder, und möglicherweise sogar wie beide.
A guade Musi is ja alloa scho a hoiwada Rausch
Nur die Fels‘nstoana werden noch nicht dabei sein. Die spielen ja nicht an Wochenenden und Feiertagen, sondern nur unter der Woche, von 11 Uhr bis 17 Uhr, fünf Mal in diesem Jahr insgesamt, und das seit so vielen Jahren, dass diese Kapelle diejenige Kapelle ist, die die meisten Auftritte auf unserem Volksfest hat, in diesem Jahr fünf, und es waren schon bis zu acht. Wenn es einen würdigen Rekordhalter für so etwas gibt, dann sind es die Fels‘nstoana.
Diese Musik hat mir wirklich gefehlt, weil, wie mir jetzt gerade einfällt: A guade Musi is ja alloa scho a hoiwada Rausch. Und auch die andere Hälfte ergibt sich im Volksfest ja praktisch von selber, und dann bist du mitten im Volksfestglück.