Sensationsgeilheit statt Erste Hilfe

Das makabere Schauspiel mit den Toten - Wie bekommt man Gaffer in den Griff?


Nordrhein-Westfalen geht als erstes Bundesland neue Wege: Dieser mobile Sichtschutz soll Gaffer fernhalten. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Nordrhein-Westfalen geht als erstes Bundesland neue Wege: Dieser mobile Sichtschutz soll Gaffer fernhalten. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Von Matthias Jell und Redaktion idowa

Überall da, wo es kracht, sind sie meist nicht weit: Gaffer. Nordrhein-Westfalen geht deshalb jetzt einen neuen Weg. Ein mobiler Sichtschutz soll der hässlichen Fratze der Gesellschaft nun die Stirn bieten. Ein Modell auch denkbar für Bayern?

Wer Zeuge eines Unfalls wird, sollte erst einmal Erste Hilfe leisten. Sollte. Die Realität sieht mittlerweile häufig anders aus: Smartphone raus, Foto machen und dann sofort Likes auf Facebook sammeln. Nordrhein-Westfalen hat deshalb als erstes Bundesland ein Pilotprojekt gestartet, um die Gafferproblematik irgendwie in den Griff zu bekommen. Sichtschutzwände sollen Unfallopfer abschirmen und den Rettungskräften vor Ort Schaulustige vom Leib halten.

Tatsächlich hat der Gaffertourismus in den letzten Jahren drastisch zugenommen. "Schaulustige hat es schon immer gegeben, nur gab es damals eben noch keine Smartphones und kein Facebook", begründet Frank Schlenz, Sprecher der Polizei Niederbayern, diese Entwicklung. Diese Entwicklung geht sogar so weit, dass sie bisweilen höchst makabere Züge annimmt. "Man mag es kaum glauben, aber es gibt Gaffer, die gerne Leichen und Leichenteile fotografieren und diese Bilder dann auf Facebook hochladen", berichtet Schlenz. Er war selbst viele Jahre bei Unfällen im Einsatz und sagt: "Ich bin froh, wenn ich keine Toten sehen muss, aber bei einem Großteil der Gesellschaft ist nicht nur die Hemmschwelle gesunken, sondern diese makabere Sensationsgeilheit immer mehr angestiegen."

Problem hierbei: Laut Schlenz habe ein Toter "keine Persönlichkeitsrechte mehr". Wo kein Richter, da kein Kläger. Lediglich die Angehörigen könnten hier noch intervenieren. Grundsätzlich sei es nicht verboten, eine Unfallstelle zu fotografieren. Nur wird hierbei eben oft die Arbeit von Polizei und Rettungskräften massiv behindert. "Wir hatten mal einen Fall, wo wir einen Gaffer vorübergehend in einem Polizeiauto einsperren mussten, weil er nicht von der Unfallstelle fernzuhalten war", berichtet Frank Schlenz. Auch ein tragischer Unfall im März diesen Jahres verdeutlichte einmal mehr die hässliche Fratze der Gesellschaft. Damals kam in Mainburg ein 14-jähriger Junge ums Leben. Etliche Schaulustige versammelten sich binnen Minuten vor Ort. "Wir mussten einige Platzverweise aussprechen, damit der Rettungshubschrauber überhaupt auf einem angrenzenden Sportplatz landen konnte", ärgerte sich Sebastian Kern, stellvertretender Dienstgruppenleiter der Mainburger Polizei, damals.



Ein mobiler Sichtschutz nach dem Modell Nordrhein-Westfalens könnte also zumindest dabei helfen, dass sich die Rettungskräfte am Unfallort auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können. "Bei so einem Unfall sind meist nur vier bis sechs Polizisten vor Ort. Da reicht die Manpower einfach nicht, um sich auch noch um Gaffer zu kümmern", erklärt Schlenz. Man könne zwar mit Platzverweisen und Bußgeldern drohen, diese würden aber lediglich die Auswirkungen bekämpfen, nicht aber die Ursachen. Darüber hinaus gibt der Sprecher der Polizei Niederbayern zu bedenken, dass so ein Sichtschutz zwar keinesfalls schlecht wäre, aber bei dem Fortschritt der Technik bald neue Probleme auftauchen würden: "Ich rechne damit, dass bald mal einer auf die Idee kommt, und an einer Unfallstelle eine Drohne aufsteigen lässt, um Luftaufnahmen von Verletzten und Toten zu bekommen."

Im März kam in Mainburg ein 14-jähriger Junge bei einem Unfall ums Leben. Auch damals hatte die Polizei mit etlichen Schaulustigen zu kämpfen. (Foto: Archiv)

Im März kam in Mainburg ein 14-jähriger Junge bei einem Unfall ums Leben. Auch damals hatte die Polizei mit etlichen Schaulustigen zu kämpfen. (Foto: Archiv)