Straubing
Die gute Seele der Disko: Eine Klofrau erzählt
9. Juni 2019, 7:00 Uhr aktualisiert am 6. April 2023, 19:48 Uhr
Mit 62 Jahren geht Helga Bauermann immer noch öfter in die Disco, als so mancher 20-Jährige: Die Mitterharthausenerin arbeitet seit 2011 als Toilettenfrau im "Stars" in Straubing. Die kleinen (und manchmal auch größeren) Dramen des Nachtlebens erlebt sie jedes Wochenende hautnah mit. Nun hat sie darüber sogar ein Buch geschrieben.
"Toilettenfrau für Diskothek bei guter Bezahlung gesucht" - mit dieser Annonce in der Zeitung fing alles an. "Ich habe sie gesehen und dachte mir: Ja, das wäre etwas für mich", erzählt Helga Bauermann. Das war 2011, sie war damals 54. Wo andere langsam an die Rente denken, wollte die Mitterharthausenerin noch einmal etwas Neues ausprobieren. "Ich bin nicht die typische Oma, die zuhause sitzt - ich will rauskommen. Und wenn ich dabei noch was dazuverdienen kann, umso besser." Bauermann wusste, worauf sie sich einlässt: Sie hatte davor schon mehrmals auf dem Gäubodenvolksfest als Klofrau gearbeitet. "Das hat mir im Vorstellungsgespräch sehr geholfen. Kaum hatte ich es erwähnt, hatte ich die Stelle", erzählt die 62-Jährige.
Dabei war sie bis dahin nicht ein einziges Mal im "Stars", wie sie freimütig zugibt. "Ich hatte keine Ahnung, dass die Disco so groß ist", sagt sie. "Ich habe mich im Team aber sofort gut aufgehoben gefühlt." Eine große Umstellung waren nur die Arbeitszeiten: Von 22 bis 6 Uhr morgens ist Helga Bauermann jeden Freitag und Samstag im Einsatz. "Auch daran gewöhnt man sich", so die 62-Jährige. Ihre Arbeit geht dabei weit über das Pensum einer einfachen Reinigungskraft heraus: So musste sie auch schon Kummerkasten, Ertsthelferin oder Security spielen. Als Toilettenfrau bekommt sie jedes Wochenende die kleinen Dramen des Nachtlebens hautnah mit. "Gerade für die Mädels musste ich schon oft die Mutter Theresa spielen", erzählt die 62-Jährige lachend. "Wenn sie den eigenen Freund beim Tanzen mit einer anderen erwischen - das ist der Klassiker. Dann können auf der Toilette schon mal die Tränen kullern. In so einem Fall gehe ich hin und versuche, zu trösten." Ist das auf Dauer nicht anstrengend? "Nein", sagt Helga Bauermann. "Man muss die Jugend einfach so nehmen, wie sie ist."
"Man darf halt nicht auf's Maul gefallen sein"
Der 62-Jährigen fällt das nicht schwer: Sie hat selbst drei Kinder und zehn Enkel. Und oft genug trifft sie ihre eigenen Enkelkinder am Wochenende in der Disko. "Die finden das super, dass ich hier arbeite. Für sie bin ich einfach die coole Oma", erzählt sie. Generell kommt Helga Bauermann mit den "Jungen" oft besser aus als den Älteren. "Jugendliche sind vielleicht manchmal unverschämt, aber man kann sie noch erziehen. Wenn sie blöd daherreden, gebe ich ihnen passend raus. Das wirkt fast immer. Man darf halt nicht auf's Maul gefallen sein."
Dabei ist ihre Arbeit nicht immer ganz ungefährlich. Vor allem eine Situation ist der Toilettenfrau besonders im Gedächtnis geblieben: "Das war schon recht spät, gegen 4 Uhr morgens. Ich habe gerade die Männertoilette sauber gemacht, als zwei betrunkene Herren auf die Idee kamen, mir ihr 'bestes Stück' zu zeigen. Ich habe ihnen gesagt, dass sie sich schleichen sollen. Daraufhin wurde einer von ihnen aggressiv und hat mir einen Kinnhaken verpasst. Da bin ich dann erstmal am Boden gelegen." Die beiden Männer kehrten danach auf die Tanzfläche zurück und feierten weiter, als sei nichts gewesen - bis die Polizei eintraf und sie in Gewahrsam nahm. "Da habe ich dann auch Anzeige erstattet. Mit sowas braucht mir keiner kommen", sagt die 62-Jährige.
Komik und Tragik liegen oft nah beeinander
Zum Glück überwiegen bei ihr aber die lustigen Erinnerungen. Einmal erwischte sie etwa einen jungen Mann in der Herrentoilette beim Knutschen - mit der Wand. Seine Erklärung: Er wolle später noch seine Freundin "flachlegen" und deswegen üben. An einem anderen Abend wollte ein Toilettengänger seine Präzision unter Beweis stellen und pinkelte in sein leeres Glas anstatt in ein Pissoir. Danach stellte er das Glas einfach ab. Noch bevor die 62-Jährige es wegräumen konnte, hatte ein anderer Gast, der die Szene davor nicht mitbekommen hatte, einen Schluck davon genommen. "Er hat es dann aber sofort gemerkt und sich minutenlang den Mund ausgewaschen. Der rührt so schnell bestimmt kein fremdes Glas mehr an", erzählt Helga Bauermann. Generell liegen Tragik und Komik in ihrem Beruf oft nah beieinander: So wollte sich einmal ein junger Mann eine Zigarette anzünden, ließ dabei aber den Inhalt seiner Hosentasche fallen. Beim Aufheben verwechselte er sein Pfefferspay mit dem Feuerzeug - das Ergebnis war nicht sonderlich angenehm.
Diese und viele weitere Erlebnisse hat Helga Bauermann mittlerweile auch in einem Buch niedergeschrieben. Es trägt den Titel "Lassen Sie mich durch - ich bin Klofrau" und ist im April erschienen. Zum Schreiben ermutigt wurde die 62-Jährige von zwei Disco-Kolleginnen, die nebenbei in einem regionalen Verlag arbeiten. "Wir haben uns oft gemeinsam über die Sachen, die wir schon erlebt haben, unterhalten. Und einmal meinten sie zu mir: 'Mensch Helga, schreib doch ein Buch darüber!' Ich habe zuerst gedacht, sie sagen das nur im Scherz. Aber drei Wochen später haben sie mich nochmal darauf angesprochen. Sie hatten in ihrem Verlag von der Idee erzählt - und die Verantwortlichen waren begeistert." Also machte sich Helga Bauermann daran, ihre vielen Erlebnisse zu Papier zu bringen. Schwer gefallen ist ihr das nicht: "Ich habe das fast alles aus dem Gedächtnis aufgeschrieben", berichtet die 62-Jährige. Die ersten Reaktionen auf das Buch sind durchaus vielversprechend: "Allein in meinem Bekanntenkreis haben schon über 70 Leute das Buch gekauft." Des Geldes wegen hat sie es aber nicht geschrieben - sondern einfach nur aus Spaß an der Freude. "Reich werde ich damit nicht", sagt die 62-Jährige lachend. Generell ist sie mit ihrem Beruf als Toilettenfrau völlig zufrieden. "Die Arbeit macht mir Spaß, ich habe sehr nette Kollegen, jeden Abend abwechslungsreiche Musik - ich mache das solange, bis ich wirklich nicht mehr kann", meint sie voller Überzeugung. Und vielleicht ergibt sich bis dahin ja auch noch genügend Material für eine Fortsetzung...
Info:
Helga Bauermanns Buch ist im Isegrim Verlag erschienen und für 9,90 Euro bei jeder gut sortierten Buchhandlung erhältlich.