"Wollten die Leute aufmerksam machen"
Jugendbündnis spricht über Brief
16. Mai 2019, 16:14 Uhr aktualisiert am 16. Mai 2019, 16:51 Uhr
Ein offener Brief erhitzt seit Wochen in Straubing die Gemüter: Das "Jugendbündnis Straubing" hatte sich in dem Brief an die Wirtsleute der Straubinger Gaststätte "Zum Bayerischen Löwen" gewandt. Die Vertreter von Linksjugend, Jusos und Grüner Jugend baten die Wirte, den für Anfang Mai von der Alternative für Deutschland (AfD) geplanten Stammtisch abzusagen. Andernfalls werde man "die öffentlichen Auftritte der AfD nicht unkommentiert lassen". Wirtin Petra Bittner kritisierte daraufhin in einem Interview mit der Onlineredaktion idowa.de das Vorgehen des Jugendbündnisses, sagte den Stammtisch aber ab. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Corinna Miazga, Mitglied des Kreisverbandes AfD Straubing-Regen, warf dem Jugendbündnis prompt "Nazi-Methoden" vor. Rechtspopulistische Blogs heizten die Stimmung weiter an, sprachen von der "Angst" und "Einschüchterung" der Gastwirte durch den "linksradikalen Drohbrief" und fantasierten über mögliche künftige Taten wie eingeschlagene Fenster und beschädigte Autos. Doch was hatten die Verfasser des Briefes eigentlich im Falle eines weiteren AfD-Stammtisches vor?
Wir sprachen mit den Vertretern des Jugendbündnisses, Matthias Ernst (Grüne Jugend), Melanie Demmelhuber (Linksjugend 'solid) und Marvin Kliem (Jusos Straubing)
Ihr Protestbrief an die Wirtsleute des "Bayerischen Löwen" hat heftige Reaktionen hervorgerufen. Warum war es Ihnen so wichtig, dass der AfD-Stammtisch abgesagt wurde?
Matthias Ernst: Nach der bundespolitischen Entwicklung der AfD zu einer immer weiter rechts stehenden Partei mit Entgleisungen in Parlamenten und von bekannten Personen wie Alexander Gauland und Björn Höcke haben wir als Jugendbündnis überlegt, was man auf lokaler Ebene tun kann. Wir meinen, dass man überall dort, wo die AfD auftritt, auch klar machen sollte, dass man damit nicht einverstanden ist. Unser Ziel war es, die Wirtsleute zum Nachdenken anzuregen, ob sie es mit ihren Werten vereinbaren können, dass sie der AfD ihre Räume geben.
Melanie Demmelhuber: Wir wollten mit dieser Aktion ein Zeichen setzen, gegen die AfD, die für uns das Aufleben eines Neofaschismus darstellt. Ebenso wollten wir ein Zeichen setzen gegen Rassismus, gegen Sexismus, gegen Homophobie und gegen Inter- und Transphobie. All das, finden wir, hat keinen Platz in Straubing. Der zweite Grund war, dass wir das öffentliche Interesse wecken wollten: Die AfD versucht, salonfähiger zu werden beziehungsweise ist sie das schon in Straubing. Wir wollten die Leute aufmerksam machen und ihnen einen Denkanstoß geben.
Marvin Kliem: Uns ist es extrem wichtig, dass wir in Straubing - gerade in Anbetracht dessen, dass die AfD bei der Landtagswahl ein so starkes Ergebnis geholt hat und wir auch eine Bundestagsabgeordnete haben - aufstehen und sagen: Ja, Straubing ist nicht nur AfD, Straubing ist bunt, offen und tolerant.
Und da haben wir überlegt, in die Öffentlichkeit zu gehen mit so einem Brief, um deutlich zu machen, dass wir nicht wollen, dass die AfD in Straubing Fuß fasst, denn die AfD ist eine antidemokratische Partei, eine Partei, die jede Möglichkeit nutzt, um gegen Geflüchtete und gegen Minderheiten zu hetzen. In dem Zusammenhang ist es uns besonders wichtig, dass wir in keinster Weise den Gastwirten schaden wollen, im Gegenteil: Wir wollen nur sagen, dass wir weiterhin gegen die AfD aufstehen werden.
Der Stammtisch im Bayerischen Löwen wurde mittlerweile abgesagt. Würden Sie sagen, Sie haben Ihr Ziel erreicht?
Matthias Ernst: Ja und nein. Natürlich ist es erst einmal für uns positiv, dass der Stammtisch nicht stattfindet, weil es dann ein Termin weniger ist, bei dem die AfD-Inhalte verbreitet werden können. Andererseits ist das Ziel auch nicht erreicht, denn ein Nachdenkprozess hat offensichtlich nicht stattgefunden. Es war ja sofort eine reflexhafte Abwehrhaltung - vor allen Dingen auch mit der Begründung, dass es uns nicht zustehe, so einen Brief zu schreiben. Aber da wurde komplett verkannt, dass das Treffen einer Partei in einem Wirtshaus eben ein politischer Akt ist. Leider haben die Wirtsleute ihr Wirtshaus auch nicht als politischen Raum verstanden, der er einfach ist. Und das ist schade. Da ist uns die Sensibilisierung nicht gelungen.
Melanie Demmelhuber: Wir finden, wir haben mit dieser Aktion das Ziel erreicht - einerseits. Andererseits hat die Wirtin die AfD aus den aus unserer Sicht falschen Gründen hinausgeworfen. Wir wollten, dass die Wirtin darüber nachdenkt und die Gründe für unseren Protest sieht.
Marvin Kliem: Es ist erfreulich, dass die Gastwirte den Stammtisch nicht mehr bei sich machen, auf der anderen Seite sind wir als Jusos doch ein wenig darüber enttäuscht, dass keine Einsicht herrscht und man sich selbst bedroht fühlt, was nicht der Sinn der Sache war.
Die Wirtin hat in einem Interview gesagt, sie habe "Aufmärsche" vor ihrem Wirtshaus befürchtet, sich bedroht gefühlt und deshalb den Stammtisch abgesagt. Wie hätte der Protest des Jugendbündnisses ausgesehen?
Matthias Ernst: Wir reden von Protesten in der Art, dass drei oder fünf Leute mit einem Banner auf der Straßenseite gegenüber stehen.
Melanie Demmelhuber: Unser Jugendbündnis gibt es ja nun schon länger - und wir sind nie aufgefallen mit irgendwelchen Aufmärschen oder sonst irgendwas. Unser Protest hätte wahrscheinlich so ausgesehen, dass sich ein paar Einzelne von uns mit einem Transparent gegenüber vom Lokal aufgestellt hätten. Wir hätten darauf aufmerksam machen wollen, dass die AfD dort ihren Stammtisch abhält und das mit einem kleinen Protest kundgetan. Eine weitere Variante wäre gewesen, Flyer gegen die AfD zu verteilen. Das Ganze hätten wir sachgemäß bei der Stadt angemeldet. Das wäre es schon gewesen mit dem Protest. Wir machen auch keine Sachbeschädigungen oder ähnliches.
Marvin Kliem: Der Protest wäre insofern gewesen, dass es mehr als genügend Leserbriefe gegeben hätte. Wir hätten - ich spreche jetzt für die Jusos - öffentlich Infostände organisiert. Wir hätten generell alles gemacht, was möglich ist in einem demokratischen Diskurs. Den Vorwurf der Drohung weise ich in aller Deutlichkeit zurück. Wir sind in keinster Weise daran interessiert, Gewaltaufrufe zu organisieren. Wir haben schon immer dafür gekämpft, dass wir im öffentlichen demokratischen Diskurs in die Meinungs-Auseinandersetzung gehen und das haben wir auch hier vor.
Manche Kommentatoren in den Sozialen Medien werfen Ihnen vor, mit der Kritik am AfD-Stammtisch selbst "undemokratisch" gehandelt zu haben. Messen Sie mit zweierlei Maß?
Matthias Ernst: Nein - in einer Demokratie muss jede Partei mit Widerspruch zu ihren Positionen rechnen und diesen Widerspruch auch aushalten. Und wenn eine Partei beschließt, soweit nach rechts zu rücken, dass sie aus dem demokratischen Diskurs austritt, dann muss sie auch mit Leuten rechnen, die "Halt, stopp mal" sagen. Von der AfD ist die rote Linie überschritten worden und dann hat eben auch jede Person das Recht zu sagen: Das kann ich nicht mehr mittragen.
Melanie Demmelhuber: Wir messen natürlich mit zweierlei Maß. Wir finden es generell gut, wenn Wirtinnen und Wirte ihr Lokal für Parteistammtische zur Verfügung stellen. Das ist auch notwendig, Parteien brauchen einen Ort, um sich zu treffen. Doch sobald eine Partei selbst andere diskriminiert, undemokratisch, menschenfeindlich und menschenverachtend ist, und dies in Form von Hetzpropaganda verbreitet, sehen wir keinen Grund dafür, der Partei weiter einen öffentlichen Raum zu bieten.
Marvin Kliem: Mit dem Vorwurf will man bewusst die linken Organisationen bezichtigen. Aber was in der Diskussion vonstatten geht, was uns an Beleidigungen und Drohungen entgegengeschwappt ist, ist ja auch antidemokratisches Verhalten. Für uns ist ein demokratisches System, dass man in die Auseinandersetzung geht und um politische Inhalte kämpft.
Wir sehen die AfD als eine Partei, die eben nicht auf den Grundfesten unserer Demokratie steht: Diese Partei ist zwar demokratisch gewählt, das heißt aber nicht, dass sie demokratisch organisiert ist, gerade wenn man schaut, was sie in der Öffentlichkeit für Argumente raushaut, wie sie gegen Minderheiten und Geflüchtete hetzt.
Sie erhielten Drohungen auf Ihren Brief?
Matthias Ernst: Es gab einerseits die Facebook-Kommentare, da unser Post in rechten Gruppen geteilt wurde, mit der Aufforderung, diesen zu kommentieren. Wenn man öffentlich etwas gegen Rechts sagt, dann handelt man sich im Gegenzug einen Shitstorm ein. Ich lasse mich davon nicht beeindrucken. Ganz häufig sind das Menschen, die nicht in Straubing wohnen - die sind irgendwo in Deutschland. Ich glaube, eine E-Mail kam aus dem Ausland. Deswegen sehe ich noch keine reale Bedrohung für mich, aber natürlich nimmt einen das auch mit, Formulierungen wie "geht sterben" oder "Ich hoffe inständig, dass ihr gekillt werdet von der politischen Oberfläche". Aber dann muss man sich sagen, für eine inhaltliche Debatte ist es wichtig, weiterhin kritisch zu sein.
Melanie Demmelhuber: Wir haben den Brief auf unserer Facebook-Seite veröffentlicht, mittlerweile haben wir darauf rund 500 Kommentare bekommen. Besonders in Erinnerung habe ich da einen Kommentar, da dieser sehr verstörend war: "Wir kommen mit Baseballschlägern und Kanthölzern: Wir haben auch Zahnärzte dabei. Spezialisten für betonierte Kauleisten." Wir stellen uns ja der Diskussion, das ist kein Problem. Aber wir sollten natürlich auch auf einer sachlichen Ebene bleiben.
Marvin Kliem: Wir waren uns darüber bewusst und im Klaren, wir wissen auch um verschwörerische Hetzseiten im Internet wie zum Beispiel PI-News, die sind auch recht AfD-nah gestrickt. Wir haben damit gerechnet, dass so eine Welle kommt, aber dass es derart ausgestaltet sein wird, hatten wir nicht erwartet - also Morddrohungen und Drohungen auf verschiedenste Art. Ich persönlich habe keine Morddrohungen erhalten, aber der SPD-Untervorsitzende Olaf Sommerfeld. Die anderen Vertreter der Jugendorganisationen haben, soweit ich weiß, ähnliche Drohungen erhalten, und so etwas ist einfach unmöglich.
Gab es auch positive Reaktionen auf Ihren Brief?
Matthias Ernst: Ja, schon. Sowohl bei den Facebook-Diskussionen als auch unter www.idowa.de oder beim Straubinger Tagblatt habe ich positive Kommentare gesehen, die auch die Kritik an der AfD unterstützt haben und da selbst noch Punkte hinzugefügt haben. Sie haben auch gesagt, dass ein offener Brief gut ist und es gab etliche, die meinten, dass sie in keinster Weise eine Bedrohung herauslesen können.
Melanie Demmelhuber: Wir haben sehr viel Unterstützung bekommen. Faktisch gesehen haben wir auf den sozialen Medien mehr positive Rückmeldungen bekommen als negative. Die Positivkommentare waren meist lokale Kommentare, das fanden wir schon sehr toll. Bei unserer Demonstration als Linksjugend gegen den "III. Weg" kamen auch ganz viele Leute auf uns zu und sagten "Super, das war schon längst überfällig". Leute aus jeder Altersklasse sind gekommen, das hat uns ziemlich gefreut.
Marvin Kliem: Ja, auch von sehr vielen jungen Leuten. Man sieht, dass die jungen Leute deutlich positiver dem bunteren Straubing gegenüberstehen. Mir gegenüber haben sehr viele Leute gesagt, dass wir uns nicht einschüchtern lassen sollen und dass es extrem wichtig ist, gegen den nationalistischen Tunnelblick in unserer Gesellschaft aufzustehen. Und die unterstützen das sehr stark, vor allem junge Leute, die bisher nicht parteipolitisch aktiv sind.
Jahrelang wurde jungen Menschen Politikverdrossenheit und Hedonismus vorgeworfen. Jetzt organisieren sich Jugendliche und junge Erwachsene für den Kampf gegen den Klimawandel und gegen Rechts - und es gibt wieder Kritik. Wundert Sie das? Und glauben Sie, dass hier eine neue Jugendbewegung entsteht?
Matthias Ernst: Ja, ich habe das Gefühl, dass eine neue Jugendbewegung entsteht und eine komplette Generation wieder auf die Straße geht. In den letzten Jahren hat politisches Engagement mehr im Netz stattgefunden. Und jetzt stellen viele junge Menschen fest, dass ein bisschen ihre Zukunft verspielt wird. Das sehen wir ja bei den Fridays-for-Future-Protesten, wo es einfach darum geht, dass es in 30 oder 40 Jahren noch eine Erde gibt, auf der man leben kann. Viele junge Menschen vermissen die Perspektive einer langfristigen Politik, die auf 30 Jahre ausgerichtet ist - und zwar in jeglicher Hinsicht, zum Beispiel auch beim Thema Rente. Aus diesem Gefühl heraus treibt es die Leute wieder auf die Straße. Kritik daran kommt leider vor allem aus konservativen Kreisen, da wird jungen Menschen erst einmal die Mündigkeit abgesprochen: Die sind ja gar nicht informiert genug. Ich würde aber sagen: Die jungen Leute sehen die wirklichen Konsequenzen. Daher sollten sie einfach drüber stehen und sich nicht entmutigen lassen. Denn natürlich wünscht sich die etablierte Politik, dass der Protest bald wieder abflacht. Aber ich glaube, da muss man zeigen: Nein, das beruhigt sich nicht.
Melanie Demmelhuber: Mich persönlich verwundert das ehrlich gesagt nicht. Ich verstehe nicht, wieso man immer kritisieren muss. Ich meine, man könnte einfach mal sagen, es ist toll, dass sich diese Jugendlichen für das Klima einsetzen. Es ist toll, dass sich diese Jugendlichen gegen Rechts stark machen. Ich denke, das ist eine persönliche Sache bei manchen Menschen. Sie sehen sich gefährdet darin, dass sie beispielsweise ihren Billigstrom künftig nicht mehr beziehen können, weil jetzt diese jungen Menschen für den Kohleausstieg sind. Ich denke, dass viele ältere Menschen einfach noch nicht so offen dafür sind, dass junge Leute auch sinnvolle Ideen haben. Gerne behaupten die Älteren dann, die Jugendlichen wissen das noch nicht oder sie denken nicht so weit. Doch auch junge Leute können sich mit Politik auskennen, auch uns betrifft die politische Lage, die aktuellen Themen.
Marvin Kliem: Ich sehe sehr wohl, dass eine Jugendbewegung entsteht, in Straubing, aber auch im ganzen Land. Es werden immer mehr junge Leute aktiv, sie wollen sich politisch engagieren und etwas bewegen. Ich sehe Potenzial auch für Straubing, auch für das Jugendbündnis: Wir haben uns bewusst im letzten Jahr zur Landtagswahl zusammengeschlossen, um gegen das Polizeiaufgabengesetz zu demonstieren. Jetzt wollen wir überlegen, wie wir das Jugendbündnis weiter gestalten können. Da wäre es auch sinnvoll, Fridays for Future ins Boot zu holen und nicht nur von politischen Jugendorganisationen dominiert zu sein, sondern generell eine politische Stimme der Jugend sein zu können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die einzelnen Interviews führten Franziska Meinhardt, Chris Sternitzke und Florian Kronfeldner.
Das "Jugendbündnis Straubing" hat sich 2018 als Zusammenschluss der Gruppen Linksjugend 'solid Straubing, den Jusos Straubing-Bogen und der Grünen Jugend Straubing gegründet. Im Jugendbündnis sind junge Menschen unter 30 aktiv. Das gemeinsame Ziel ist es, sich für ein offenes, buntes und lebenswertes Straubing einzusetzen. Die erste Aktion war eine Demonstration gegen das verschärfte Polizeiaufgabengesetz im Herbst letzten Jahres. Alle interessierten jungen Leute können im Jugendbündnis aktiv werden, die Mitgliedschaft in einer Partei ist nicht notwendig. Interessierte schreiben dafür eine der drei Jugendorganisationen bei Facebook an.