Interview

Obdachlosigkeit in Straubing: „Wir sind die letzte Anlaufstelle für diese Menschen“


So sieht die Obdachlosenunterkunft für Männer im Schanzlweg aus. In ihr finden bis zu neun Menschen Unterschlupf.

So sieht die Obdachlosenunterkunft für Männer im Schanzlweg aus. In ihr finden bis zu neun Menschen Unterschlupf.

Wenn die Temperaturen nachts unter den Gefrierpunkt sinken, wandern sie wieder verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit: Obdachlose. Auch in Straubing gibt es Menschen, die kein eigenes Dach über dem Kopf haben. Doris Wölfl, die in Straubing für die Obdachlosenfürsorge zuständig ist, erklärt im Interview mit idowa, wo Obdachlose in Straubing Hilfe finden können und wie der Alltag in einer Unterkunft aussieht.

Frau Wölfl, ist Obdachlosigkeit in Straubing ein großes Problem?

Doris Wölfl: Ich glaube, nicht größer als in anderen Städten auch. Wir haben eine Obdachlosenunterkunft für Männer und eine für Frauen. Diese Unterkünfte sind aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung nach dem Landesstraf- und Verordnungsgesetz zur Gefahrenabwehr dringend erforderlich und auch gut ausgelastet. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl gibt es in Straubing aber vergleichsweise wenig Obdachlose.

Können Sie konkrete Zahlen nennen?

Wölfl: In der Männerunterkunft haben wir neun Betten, bei den Frauen sind es sechs. Dann haben wir noch eine kleine Wohnung für Frauen mit Kind und eine für Familien. Beide sind auch komplett ausgestattet mit Küche, Tisch, Stühlen, Waschmaschine und so weiter. Damit einfach sofort jemand einziehen könnte, sollte es notwendig sein.

Wie läuft das genau ab?

Wölfl: Jeder, der in Straubing kein Dach über den Kopf hat, kann zu uns kommen. Die Obdachlosenunterkunft kommt aber immer erst dann in Frage, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Das heißt, wir versuchen zuerst in einem ausführlichen Gespräch herauszufinden, wer noch Angehörige, Freunde oder Arbeitskollegen hat, die ihn bei sich unterbringen könnten. Leider ist es aber oft so, dass diejenigen, die in Frage kämen, diese Menschen nicht bei sich haben wollen. Andere Obdachlose haben gar keine sozialen Kontakte. Für solche Menschen sind wir die letzte Anlaufstelle.

Können Sie kurz beschreiben, welche Menschen bei Ihnen Zuflucht suchen?

Wölfl: Es sind grundsätzlich mehr Männer als Frauen - das ist fast immer so. Wir haben viele junge Menschen da, der Großteil zwischen 18 und 25. Viele von ihnen hatten in der Vergangenheit mit familiären Problemen zu kämpfen und sind deswegen nicht richtig ins Leben gestartet. Einige haben auch mit Suchtkrankheiten wie Alkohol oder Drogen zu kämpfen. Aber auch einige Ältere der Generation 50+ leben bei uns. Bei ihnen ist es oft so, dass der Ehepartner gestorben ist und die Miete für sie allein dann zu teuer wurde.

Wie lange können Obdachlose in der Unterkunft bleiben?

Wölfl: Unser Ziel ist, dass diese Menschen wieder ein eigenes Zuhause bekommen. Sie sollen sich also bemühen, selbst eine Wohnung oder Arbeit zu finden. Wer in der Unterkunft leben möchte, braucht daher einen Berechtigungsschein von der Obdachlosenfürsorge. Dieser ist immer nur eine Woche gültig und muss dann verlängert werden. Die Menschen müssen sich also regelmäßig bei uns melden. So reißt der Kontakt nicht ab und wir fragen dann auch immer nach ihren Bemühungen in der vergangenen Woche.

Wie erfolgreich sind Sie damit? Erfahren Sie, was mit diesen Menschen passiert, sobald sie die Unterkunft verlassen?

Wölfl: Ganz viele sind weg und ich weiß nicht wo. Ich kann es leider nicht anders sagen, weil ich keine Rückmeldung mehr von diesen Menschen bekomme, sobald sie die Unterkunft verlassen. Da ist der Kontakt einfach abgerissen. Es gibt aber auch einige "Dauerkandidaten", die immer wieder mal verschwinden, zum Beispiel eine Zeit lang bei einem Freund oder Bekannten unterkommen, später dann aber doch wieder in der Unterkunft auftauchen.

Gibt es so etwas wie einen geregelten Tagesablauf in der Unterkunft?

Wölfl: Nein. Der Hausverwalter ist nur morgens und abends vor Ort und schaut, dass die Unterkunft sauber bleibt. Was die Menschen in der Zwischenzeit machen, bleibt ihnen überlassen.

An welche Regeln müssen sich die Bewohner dabei halten?

Wölfl: Sie müssen die Unterkunft selbstständig sauber halten. Außerdem herrscht dort Alkoholverbot. Im Normalfall fährt unser Hausverwalter immer morgens und abends in die Unterkunft. Er kontrolliert dann, ob alles in Ordnung ist. In den Sommermonaten wird die Unterkunft tagsüber auch zugesperrt, damit die Obdachlosen rausgehen, ihre Anträge stellen und sich unter die Menschen mischen. Wenn sie alle immer drin bleiben, wäre die Chance recht groß, dass gestritten wird oder Konflikte ausarten. Natürlich gibt es aber auch Ausnahmen. Momentan haben wir einen etwas älteren Herrn da, der immer wieder ins Krankenhaus muss. Er muss daher nicht rausgehen, wenn er nicht will. Genauso ist es auch, wenn es draußen regnet oder Minusgrade herrschen. Dann bleibt die Unterkunft offen und die Obdachlosen können selbst entscheiden, ob sie rausgehen oder drin bleiben wollen.

Wie ist denn das Verhältnis der Obdachlosen untereinander? Kommt es oft zu Konflikten?

Wölfl: Wenn wildfremde Menschen auf engstem Raum zusammenleben, ist immer Konfliktpotenzial da. Es kommt daher schon öfter zu Streitereien, aber meist reicht es, wenn der Haushalter ein Machtwort spricht und die Regeln klarstellt Wenn sich jemand wiederholt daneben benimmt, kann der Betroffene aber auch vor die Tür gesetzt werden. Unser Verwalter hat da das Hausrecht auf seiner Seite. Solche Fälle sind zwar schon vorgekommen, bleiben aber eher die Ausnahme. Nur selten eskalieren Konflikte dermaßen, dass jemand die Unterkunft verlassen muss.

Man hört auch immer wieder von Obdachlosen, die gar nicht in Unterkünfte wollen. Sind Ihnen solche Fälle auch schon untergekommen?

Wölfl: Ja, auch solche Fälle gibt es immer wieder. Das sind oft Menschen, die es gar nicht erst probieren wollen. Sie wollen sich oft nicht an die Hausordnung halten oder kommen mit den anderen Bewohnern der Unterkunft nicht aus. Sie probieren es dann doch lieber allein auf der Straße. Aber nicht alle halten das auch durch. Denn nachts müssen sie doch wieder irgendwo schlafen. Dann werden diese Vorbehalte schnell relativiert.

Welches Verhältnis haben Sie persönlich zu den Obdachlosen? Wahren Sie eine gewisse Distanz oder gehen Ihnen ihre oft traurigen Schicksale doch zu Herzen?

Wölfl: Eine professionelle Distanz ist schon wichtig. Ich versuche, einen gewissen Abstand zu wahren und nicht alles an mich ranzulassen. Ich glaube, das gelingt mir auch ganz gut. Nur ganz selten verfolgen mich Fälle bis nach Hause. Bloß ein Fall ist mir besonders ins Erinnerung geblieben, allerdings auf positive Weise: In unserer Unterkunft lebte einmal ein älterer Mann, der schwer alkoholkrank war, das aber lange nicht einsehen wollte. Für seine Tochter und deren Kind hat er dann aber doch eine Therapie gemacht. Sein Enkelkind war für ihn so etwas wie ein Rettungsanker, er wollte unbedingt ein guter Opa sein. Er hat mir aus der Therapie sogar eine Osterkarte geschickt.

Welche Möglichkeiten gäbe es, die Obdachlosenfürsorge zu unterstützen?

Wölfl: Spenden sind natürlich immer gerne gesehen. In der Weihnachtszeit würden sich Sachspenden natürlich anbieten, wenn jemand zum Beispiel einen Plätzchenteller oder Ähnliches vorbeibringen will, gerne. Ansonsten ist es aber eher schwierig. Wichtig ist, dass man weiß, dass es in Straubing die Obdachlosenfürsorge gibt. Wenn Sie jemandem begegnen, der auf der Straße lebt, können Sie ihn zu uns schicken. Niemand muss in Straubing ohne ein Dach über dem Kopf leben.

Info:
Die Obdachlosenfürsorge befindet sich im Sozialen Rathaus Am Platzl 31, die Unterkünfte selbst im Schanzlweg. Frau Wölfl ist telefonisch unter der 09421/944-904 erreichbar.