Straubing

Pfauenstraße: Zu Weihnachten ist alles leer


Die Balkone bleiben leer: Zu Weihnachten werden die letzten Bewohner das Hochhaus in der Pfauenstraße verlassen haben.

Die Balkone bleiben leer: Zu Weihnachten werden die letzten Bewohner das Hochhaus in der Pfauenstraße verlassen haben.

In den kommenden Jahren soll mit der Generalsanierung für das Hochhaus in der Pfauenstraße in Straubing ein neues Kapitel aufgeschlagen werden. Ohne Zweifel hat das Haus bessere Zeiten gesehen - die Sanierung soll wieder Leben in das Gebäude bringen, das so markant in der Straubinger Skyline steht.

Dieses Haus klingt anders. Die Schuhe machen auf dem Boden ein eigenartiges Klacken, das der Besucher nicht von anderen Bodenbelägen kennt. Die leeren Korridore werfen den Schall auf eine besondere Art zurück, die den leichten Schauer beim Blick in die langen Gänge noch verstärkt. Klack, klack, klack. Im Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss tickt eine Uhr an der Wand. Sie geht eine Stunde vor, weil sie immer noch auf Sommerzeit steht. Der Zeit voraus ist die Pfauenstraße nicht. Eher scheint die Zeit hier stehen geblieben zu sein. Tick, tick, tick.

Dieses Haus und vor allem seine Gänge haben einen seltsamen und sehr eigenen Klang.

Dieses Haus und vor allem seine Gänge haben einen seltsamen und sehr eigenen Klang.

Verfall. Jeder Mauerriss deutet daraufhin. Kaum ein Eck, keine Kante, die nicht angeschlagen ist, die Glasflächen der Einhausung am Eingang sind von dicken Sprüngen durchzogen. Pünktlich zu Weihnachten sollen die letzten Mieter das Haus verlassen haben. Eine letzte Mietpartei gibt es bis dahin noch. Eine Letzte von ehemals 149.

Die Leere ist bedrückend. Alles scheint nur noch irgendwie und "gerade noch so" zu funktionieren. An diesem Eindruck ist durchaus etwas dran, sagt Günther Krailinger, der Geschäftsführer der Städtischen Wohnungsbau Gesellschaft (WBG): "Energetisch ist das Haus katastrophal. Wir hatten eine Heizungssituation, bei der wir Glück hatten, die Winter zu überleben, von der Technik her. Der Energieverbrauch war jenseits von Gut und Böse. Zudem mussten wir immer Angst haben, dass einmal die Heizung ausfällt."

Unter der angeschlagenen Plattenfassade liegt so gut wie keine Außenwandisolierung.

Unter der angeschlagenen Plattenfassade liegt so gut wie keine Außenwandisolierung.

Mit der nur minimalen Außenwandisolierung hätten sich die Wohnungen in kürzester Zeit in Kühlschränke verwandelt. Dass in der Pfauenstraße permanent zum Fenster hinaus geheizt wurde, war unter Umweltgesichtspunkten untragbar. Gewichtiger dürften die Folgen für die Mieter in den Wohnungen gewesen sein: "In den letzten Jahren waren die Nebenkosten buchstäblich die zweite Miete. In diesem Fall hat diese Redensart fast zugetroffen", sagt Günther Krailinger.

Das Haus beherbergte bis vor einiger Zeit noch viele Menschen - Menschen, für die an Weihnachten alles leer ist. Wenig oder keine Verwandtschaft. Wenige oder keine Freunde. Das machte den großen Leerzug vor der Sanierung nicht leichter, sagt Günther Krailinger: "Das ist ein Gemeinschaftswerk von vielen Leuten, man musste sehr viele Gespräche führen. Das waren oft 80, 85-jährige Frauen mit Rollator, die schon ewig drin wohnen. Ich bin selbst oft erstaunt, wie uns solche Projekte gelingen. Aber es geht irgendwie." Während der großen Umzugsaktion wanderte jede gekündigte Wohnung bei der Städtischen Wohnungsbau, die die Inhaberin des Wohnkomplexes ist, in den "Pfauenstraße-Pool". Mietpartei um Mietpartei wurde auf die anderen Liegenschaften verteilt. Geholfen habe außerdem die Israelitische Kultusgemeinde, zu der viele der ehemaligen Bewohner gehörten, die Malteser sowie das Altenheim Sankt Nikola. Die Städtische Wohnungsbau organisierte zuweilen die Umzugshelfer.

Nicht viel geblieben vom Schick der frühen Jahre: Einrichtung, Technik und Infrastruktur im Haus wirken marode und unmodern.

Nicht viel geblieben vom Schick der frühen Jahre: Einrichtung, Technik und Infrastruktur im Haus wirken marode und unmodern.

Doch kann sich das bald ändern? Für die Pfauenstraße sollen bald die Weichen auf Neuanfang gestellt werden. Die Generalsanierung ist für die Jahre 2021/2022 geplant. Kostenpunkt: mindestens 10 Millionen Euro. So sicher wie Kostenvoranschläge in der heutigen Zeit sind. Bausummen verdoppeln sich schon gerne mal im Verlauf eines Projekts. Aber dieses Haus hat auch andere Zeiten gesehen.

Kaum etwas an dem Haus ist nicht angeschlagen oder ramponiert ? so wie auch die Einhausung des Eingangsbereichs.

Kaum etwas an dem Haus ist nicht angeschlagen oder ramponiert – so wie auch die Einhausung des Eingangsbereichs.

Die Sechzigerjahre: Senioren, Azubis, Flüchtlinge

Der Grund, weshalb das 14-geschossige Hochhaus überraschend wenige Auto-Stellplätze hat, findet sich bereits in den Bauplänen von damals: Um die Flächen zu sparen, war der Wohnkoloss als Altenheim deklariert worden. Der Schlüssel für die Parkplätze pro Anwohner war damit ein anderer. Dennoch waren es nicht nur Senioren, die die damals todschicken Wohnungen bezogen: Niederbayerns und Straubings wirtschaftlicher Aufstieg hatte eingesetzt, die zahlreichen Azubis brauchten Platz. Das Klinikum wuchs und damit seine Belegschaft. Aber auch viele Flüchtlinge aus den ehemals deutschen Ostgebieten fanden in der riesigen Wohnlandschaft zum ersten Mal mehr als nur eine Bleibe - ihr erstes echtes Zuhause nämlich.

Als es neu gebaut war, erfüllte das Hochhaus in der Pfauenstraße wahre Wohnträume. Vor allem in energetischer Hinsicht ist das Haus mittlerweile ein Albtraum.

Als es neu gebaut war, erfüllte das Hochhaus in der Pfauenstraße wahre Wohnträume. Vor allem in energetischer Hinsicht ist das Haus mittlerweile ein Albtraum.

Die Mietparteien waren also gut durchmischt - alle mit schmalem Geldbeutel, aber an gänzlich unterschiedlichen Punkten ihrer Biografien. Die folgenden Jahrzehnte hatten der Städtischen Wohnungsbau Recht gegeben bei dem Großprojekt, sagt WBG-Chef Günther Krailinger: "Es hat sicher einen Bedarf in Straubing gegeben. Das Hochhaus war immer ausgelastet. Die längste Zeit waren alle Wohnungen belegt. Die Vermietungssituation war immer hervorragend, bis zum heutigen Tag."

Lesen Sie im zweiten Teil unserer Geschichte, wie der soziale und technische Abstieg des Hochhauses begann - und wie die Städtische Wohnungsbaugesellschaft den aktuellen Zustand ändern will.

Instandhaltungsstau und die "fatale Spirale" - die Neunziger

Wohnungen für den schmalen Geldbeutel sollten es sein. Und diesem Konzept blieb sich die Städtische Wohnungsbau treu. Vielleicht zu treu, wie Günther Krailinger heute sagt: "Wir hatten 2001, als ich gekommen bin, eine Durchschnittsmiete von 2,90 Euro auf den Quadratmeter über den gesamten Bestand an Wohnungen in Straubing. Da können Sie keine großen Brötchen backen. Wir waren lange Zeit das kommunale Wohnungsunternehmen mit den günstigsten Mieten in ganz Bayern. Darauf muss man nicht unbedingt stolz sein, weil man die Miete ja auch braucht, um wirtschaften zu können. Alles auf einmal geht halt nicht."

Nur noch Schatten der Vergangenheit: Zu Weihnachten wird das Hochhaus in der Pfauenstraße gänzlich unbewohnt sein.

Nur noch Schatten der Vergangenheit: Zu Weihnachten wird das Hochhaus in der Pfauenstraße gänzlich unbewohnt sein.

Was vor allem nicht ging, waren Sanierungsmaßnahmen an den größten Bauten im Besitz der WBG: "Der Zahn der Zeit nagt einfach an solchen Gebäuden, die man nicht sukzessive saniert und auf Vordermann bringt. Die Spirale ist immer die Gleiche: Je unschöner so ein Haus wird und je weniger attraktiv, umso schwieriger wird auch das Mieterklientel, das da reinkommt." Irgendwann ziehen nicht mehr Leute ein, die sich den Wohnkomplex als Zuhause auswählen. Nach ihnen kommen die, die keine andere Wahl haben: "Da bedingt eins das andere. Das haben wir früher in der Sedanstraße gesehen. Als die Sedanstraße gebaut worden ist, haben sich dort die Honoratioren der Stadt die Klinke in die Hand gegeben, zum Schluss war es eine komplett heruntergewirtschaftete Situation, die wir dann auch weggerissen haben."

Das Treppenhaus, das die 14 Geschosse miteinander verbindet.

Das Treppenhaus, das die 14 Geschosse miteinander verbindet.

Erst in den 2000er Jahren erwachten die Immobilien der Städtischen Wohnungsbaugesellschaft aus ihrem Dornröschenschlaf. Ab 2005 wurde massiv saniert und neu gebaut: Schillerstraße, Albrecht-Dürer-Straße, Sudetendeutsche Straße, Paul-Münch-Straße. Der Grund, weshalb die Pfauenstraße immer auf der langen Bank liegen blieb, war die schiere Größe: "Es ist schon richtig, dass all die Jahre nicht so viel passiert ist, wie es sich die Beteiligten vielleicht gewünscht hätten. Dafür haben wir natürlich an anderen Stellen heftig sanieren können. Das Hochhaus Pfauenstraße bindet ein Team wie das der Städtischen Wohnungsbau ziemlich massiv."

Neue Zeiten und das Ende der Leere

Nun aber soll sich einiges ändern. Nachdem das Gebäude voraussichtlich zu Weihnachten endgültig leer steht, soll im Lauf des kommenden Jahres der Bauantrag für die Sanierung eingereicht werden. Am Konzept selbst soll sich laut WBG-Chef Günther Krailinger nicht allzu viel ändern: Wohnungen für ältere Menschen mit schmalem Geldbeutel sollen es werden. Allerdings nicht mehr knapp 150, sondern nur noch etwa 80. Größere Grundrisse, vor allem größere Bäder: "Das ist meistens der Knackpunkt an den alten Wohnungszuschnitten. Die Wohnungen, die wir nach der Sanierung neu vermieten, haben absoluten Erstbezugsstandard, da müssen wir uns vor keinem Bauträger verstecken. Sobald man eine ansprechende Fassade vorschaltet, sieht das Ganze auch wieder etwas gleich. Ähnlich wird das auch in der Pfauenstraße werden", erklärt Günther Krailinger.

Gute Aussichten? Der Blick aus den oberen Stockwerken fällt auf weitere sanierungsbedürftige Wohngebäude.

Gute Aussichten? Der Blick aus den oberen Stockwerken fällt auf weitere sanierungsbedürftige Wohngebäude.

Die Plattenfassade soll nach der Sanierung der Vergangenheit angehören, das Haus auch von außen "ein anderes Gesicht" bekommen: eine neue Gestaltung mit Farbkonzepten und einer Photovoltaikanlage auf dem Dach. In der obersten Etage ein Café als Treffpunkt für die Bewohner und eine Metzgerei oder ein anderer Nahversorger im Erdgeschoss - diese Dinge sind zumindest zum jetzigen Zeitpunkt Teil der Planung. Die Erfahrung aus anderen WBG-Projekten macht Günther Krailinger zuversichtlich: "Man glaubt gar nicht, was man aus alten, nahezu verkommenen Immobilien machen kann."

Vor allen Dingen aber soll die Infrastruktur im Haus in Zukunft für mehr Wohnqualität sorgen: Geplant seien Gemeinschaftsräume zwischen den Ebenen: "Gerade, wenn Besuch da ist, würde man in einer kleinen Wohnung aufeinandersitzen und sich auf die Nerven gehen. Deshalb werden wir Gemeinschaftsbereiche installieren, wo man dann auch mal miteinander Kaffee trinken kann. Das ist unser Ansatz: Die Bewohner müssen nicht das Haus verlassen, um Unterhaltung und Ansprache zu haben. Das von der SPD-Fraktion angedachte Bürgerhaus deckt sich sowieso mit unseren Vorstellungen. Wie man es konkret umsetzt, darüber müssen wir uns noch klar werden."

Nicht viel geblieben vom Schick der frühen Jahre: Einrichtung, Technik und Infrastruktur im Haus wirken marode und unmodern.

Nicht viel geblieben vom Schick der frühen Jahre: Einrichtung, Technik und Infrastruktur im Haus wirken marode und unmodern.

Also Lebensqualität, die auch die Leere füllt. Und zumindest nach den Vorstellungen der SPD-Fraktion, die die Idee vom Bürgerhaus im Erdgeschoss in der Pfauenstraße angestoßen hat, klingt das neue Konzept so wie der hoffnungsvolle Neuanfang, für den das Hochhaus in der Pfauenstraße ganz zu Beginn einmal symbolhaft stand: "Aus meiner Sicht ist großes Potenzial in der Sanierung", sagte jüngst bei einem Ortstermin an der Pfauenstraße der SPD-Stadtrat Peter Stranninger: "Denn wir brauchen einfach bezahlbaren Wohnraum, mehr denn je. Sowohl für die Studenten, als auch für Senioren, als auch für Familien, als auch für Flüchtlinge und Migranten." Bis auf die Studenten klingt die Zusammenstellung fast wie der damalige Erstbezug vor nunmehr über 50 Jahren.