Deutschland-Cup 2024
Eishockeyfamilie feiert in Landshut und trinkt am Samstag das Stadion leer
10. November 2024, 15:51 Uhr
Im Advent veröffentlichen wir jeden Tag eine Plus-Geschichte aus dem Jahr 2024 kostenlos in voller Länge. Hinter jedem Türchen wartet eine der Top-Geschichten des Jahres! Wenn Ihnen gefällt, was Sie lesen, schließen Sie doch ein Schnupperabo ab! Als Plus-Abonnent lesen Sie unsere besten Reportagen, Multimedia-Storys und exklusiven Meldungen aus Ihrer Region das ganze Jahr über in voller Länge auf www.idowa.de
Im Video erzählt Ingmar Schweder aus der Landshuter Stadtredaktion, wie die Geschichte hinter diesem Türchen entstanden ist.
Video zum Thema:
Das schwarz-weiß gestreifte Schiedsrichterleibchen hängt Harald Gabler (66) nach dem Eishockeyspiel Slowakei gegen Österreich an den Kleiderhaken und schlüpft in das Trikot des Deutschen Eishockeybundes (DEB) - endlich: "Wenn Deutschland nicht auf dem Eis steht, trage ich immer ein neutrales Trikot", sagt er über seine Marotte.
Schiedsrichter ist er ohnehin nicht, umso mehr glühender Fan. Zurück im Camper auf der Grieserwiese, wo der pensionierte Polizist und seine Frau Andrea (66) ihr Wohnmobil abgestellt haben, wollen sie vor dem Abendspiel Deutschland gegen Dänemark in der Landshuter Fanatec Arena eine Pause einlegen. Dort, wo das Berliner Eisbärenmaskottchen "Bully" dieser Tage ausnahmsweise allein regiert und Besuchern von Fußmatten, Kissen, Schals und Mützen frech entgegenbrüllt.
Die Rasanz im Spiel begeistert
Bereits am Dienstag, also am Tag vor Beginn des Eishockey Deutschland-Cups (D-Cup), dem Heimturnier des DEB (6. bis 10. November), war das Ehepaar aus dem Berliner Stadtteil Buckow die rund 550 Kilometer nach Landshut gefahren, um sich einen Stellplatz zu sichern. "Den Camper haben wir vor zwölf Jahren gekauft", sagt Harald Gabler.
Seitdem tuckern sie als Auswärts- oder eben DEB-Fans durch Deutschland und Europa immer dorthin, wo Eishockeystars Pucks in Maschen versenken. Etwa zu Weltmeisterschaften nach Prag und Ostrava. Nur einen D-Cup haben die Gablers ausgelassen - in Krefeld. Zu campingunfreundlich, finden die beiden. Dauerkartenbesitzer bei den Eisbären Berlin sind sie ohnehin schon lange, aber es sind die Auswärtstouren, die sie besonders reizen. "Wir lernen viele interessante Leute kennen", sagt Andrea Gabler. "Vor allem ausländische Fans. Was wir da schon Schals getauscht haben."
Die 66-Jährige war bereits als junge Frau beim Berliner Schlittschuh-Club im Stadion, den EV Landshut erlebte sie als großen Bundesligakonkurrenten mit. Und Harald? "Der hatte ja mit Sport nur wenig am Hut", sagt sie. Dann schenkte er ihr Karten für ein Heimspiel und begleitete sie. "Ich habe ihn nicht mehr wiedererkannt."
Es ist die Rasanz im Spiel, die die Gablers am Eishockey besonders fasziniert. "Da geht's zur Sache oder wie der Berliner sagt: auch mal auf die Fresse. Natürlich im Rahmen", so die 66-Jährige. Auf den Rängen gehe es dafür umso friedlicher zu. "Wir sitzen auswärts immer mitten in der Arena zwischen den anderen Fans. Wir werden nie blöd angequatscht oder diskriminiert", sagt Harald Gabler. Stattdessen kommen sie ins Gespräch, knüpfen Freundschaften. Das mache die Fanszene eben aus. Von Landshut als Austragungsort sind sie begeistert. "Die Stadt ist wunderschön, die Organisation stimmt, deshalb: Eishockeystadt Landshut: Bitte noch mal bewerben!", sagt Harald Gabler. Andrea ergänzt: "Es wäre aber schön, wenn noch mehr Fans zu solchen Events hinfahren würden."
Rund 1.500 Fans aus ganz Deutschland haben sich dieses Jahr zum D-Cup nach Landshut aufgemacht, schätzt am Freitagmorgen Günter Vogel beim Fan-Frühschoppen im Gasthaus "Zollhaus" im Landshuter Stadtteil Achdorf die Lage ein. Mehr als 13.000 besuchten an allen fünf Turniertagen das Stadion. Im Gasthaus müssen Kellner Tische anbauen, weil immer mehr zum Treff erscheinen, den der Fanbeauftragte des DEB organisiert. Von Frust am Morgen nach der Niederlage gegen Dänemark ist nichts zu spüren. Stattdessen wird sich herzlich begrüßt und umarmt. Die deutsche Eishockeyfan-Elite sitzt bei Hellem und Weißwürsten in ihren Farben getrennt, im Herzen vereint an den Tischen zusammen.
"Meine Frau hat schon keine Lust mehr zu nähen"
"Es ist genau dieser bunte Haufen, der es mir angetan hat", sagt Monika Boner. Die 57 Jahre alte Schweizerin hatte sich mit ihrem Mann Jean Pierre von Pfäffikon am Zürichsee nach Landshut aufgemacht. Und das, obwohl die Schweizer Nationalmannschaft gar nicht dabei ist. Für das gewisse Schweizer Flair sorgt Boner höchstpersönlich: Mit ihrer sieben Kilogramm schweren Schweizer Kuhglocke unterstützt sie die Teams von der Tribüne aus lautstark - ein beliebtes Fotomotiv, wie sie beim Fanfrühschoppen erzählt: "Manchmal komme ich vor lauter Fotografieren erst eine halbe Stunde nach der Schlusssirene aus dem Stadion." Mit Jean Pierre, den alle nur "Lumpi" nennen, ist sie seit 20 Jahren zusammen, seit zehn Jahren verheiratet. "Ich hatte vor einem Turnier eine Wette abgeschlossen", sagt Jean Pierre. "Wenn die Schweiz was holt, heirate ich die Moni." Für die Eidgenossen würde es damals Silber, für Jean Pierre Gold. Moni sagte nicht Nein.
Thomas Zacke ist ebenfalls am Freitagmorgen dabei, er ist seit 31 Jahren Fan der Kölner Haie. Seine Fan-Geschichte aus drei Jahrzehnten trägt der 51-Jährige wie eine Werbetafel mit sich herum. Unzählige Aufnäher zieren seine Hose und sein Hemd. Anfangs noch selbst genäht, bringt er sein Eishockey-Outfit mittlerweile zu einem kostengünstigen Schneider. "Hauptsächlich für Reparaturen", sagt er. Weltmeisterschaften, besondere Auswärtsfahrten oder Eishockeywitze über den "Erzfeind" Düsseldorf sind auf seiner Kutte verewigt. Seine Regel: "Da dürfen nur Sachen drauf, mit denen ich mich auch identifizieren kann."
"Texas" ist bei jedem Heimspiel dabei
Das gilt auch für die Kutte von Jürgen Kostdei aus Iserlohn, der unter den Eishockeyfans auf den Namen "Texas" hört. Seinen Spitznamen hat er seinem Westernhut zu verdanken. Der 66-Jährige kennt Landshut gut. "Wegen des Eishockeys, wie könnte es anders sein?" Seit 1983 ist er Fan der Iserlohn Roosters - da gab es schließlich schon das eine oder andere Duell. Bei jedem Heimspiel ist er dabei, bei den Auswärtsfahrten auch, wenn es die Arbeit zulässt: Als Berufskraftfahrer ist er viel unterwegs. Früher hatte es ihm der Fußball angetan - Borussia Dortmund. Ein Kollege habe ihn dann mit in die Eishalle genommen. Mit Folgen: "Seitdem kein Fußball mehr, nur noch Eishockey."
Als Eishockeyfan kommt man viel rum - und trifft sich immer wieder: Thomas Engardner (62) ist Supporter der Krefeld Pinguine. "Grundsätzlich ist es mir egal, wo der Deutschland-Cup ist." Hauptsache erstmal nicht in Krefeld, merkt er an, wo der D-Cup schon einige Male ausgetragen wurde. "Da habe ich erstmal keinen Bock mehr drauf, weil die ganze Wohnung immer voll mit befreundeten Fans ist." Seine Liebe zum Eishockey hat ihn über Finnland und Weißrussland bis ins kanadische Vancouver geführt, wo 2010 die Olympischen Spiele ausgetragen wurden. Eine ganz besondere Reise für den 62-Jährigen: "Kanada war wie eine neue Welt für mich."
Engardner gehört wie Ronald "Ronny" Vanbesease zur "Bunte Mischung Deutschland", ein loser Zusammenschluss von Eishockeyfans aus ganz Deutschland. Ihre getragenen Kutten zeugen von unzähligen Stadionbesuchen. Vanbesease, Gründungsmitglied der "Bunte Mischung Deutschland", war immerhin schon in 81 Stadien in 14 Ländern, ist seit 40 Jahren dabei. Wie so viele hier hat der 71-Jährige zwei Kutten: Eine für den Verein - in seinem Fall die Kölner Haie - und eine für die Nationalmannschaft. Der Platz reicht trotzdem nicht: "Meine Frau hat schon keine Lust mehr zu nähen", sagt er.
Trommeln als tolles Erlebnis
Stehen sie im Ligabetrieb auf verschiedenen Seiten im Stadion, drängen sie sich beim D-Cup in Landshut gemeinsam in die Kurve. Monika Boner natürlich mit Kuhglocke, andere mit Instrumenten, wie Stefan Zehetmeir (48) und Kathrin Panas (51) aus München. Jeder Schlag auf den mit Unterschriften und Aufklebern übersäten Trommeln hallt durch das Stadion und treibt die Deutsche Mannschaft voran. Als eingespieltes Team trommeln die beiden auch für den EHC Red Bull München in der DEL.
Dass Fans der unterschiedlichsten Vereine für eine Mannschaft sind, mache das Trommeln für die Nationalmannschaft zu einem ganz tollen Erlebnis, betont Panas. Schon im vergangenen Jahr entstanden beim Deutschland-Cup viele Fan-Freundschaften, was sie dazu bewegte, erneut dabei zu sein. "Wir fühlen uns hier in Landshut sehr wohl." Nächstes Jahr wollen sie bei der Weltmeisterschaft in Dänemark und Schweden dabei sein.
Nicht nur sie: 5.000 Tickets haben die DEB-Fanbeauftraten um Günter Vogel, Josef Gothe, Sascha Hartung, Maik Groß und Jens Scheumer organisiert, Hotels ausfindig gemacht, mit den Behörden Kontakt aufgenommen, damit sie gemeinsam als Fan-Zug durch die Straßen von Herning zum Stadion geleitet werden. Knapp eine Viertelmillion Euro veranschlagen diesmal allein die Ticketkosten. "In der Tschechien waren es noch 80.000 Euro", berichtet Vogel. Weshalb sie mit dem DEB-Sponsor "Penny" zusammenarbeiten, der den Betrag vorstreckt und die Tickets auf einem Rutsch bezahlt. Rund 2.500 E-Mails findet der Nürnberger manchmal vor Großturnieren in seinem Posteingang, die er abarbeiten muss. Das macht er ehrenamtlich neben seinem Beruf: "Mit meiner Frau gibt's da schon mal Knatsch."
Verstimmung wegen Gastgeberstadt Landshut
Verstimmt zeigte sich beim Abendspiel Deutschland gegen Dänemark eine Landshuterin. Karin Fischer erzählt, dass sie einen älteren Herrn aus Hamburg im Bus aufgabeln musste, der nicht wusste, wie er das Stadion erreichen kann und wie sie sagt, vom Fahrer über eine falsche Haltestelle informiert wurde. "Man macht so groß Werbung und es sind in der Stadt nicht mal Hinweise da, wo die Fans lang müssen. Wenn schon Deutschland-Cup ist und fremde Leute in der Stadt sind, hätte man da ein bisschen was machen können. Außerdem wird wie immer unter der Woche um 22 Uhr alles zugesperrt, es gibt keine festen Treffpunkte nach dem Abendspiel, das ist schwach."
Feiernde sind in Landshut nach den Spielen trotzdem anzutreffen - und zwar Österreicher bei einem Austropop-Abend in einem kleinen Lokal in der Innenstadt. Franz Teufel (64) aus Ennsdorf kann nicht nur für Stimmung in der Kurve sorgen, singt "I am from Austria". Er hat aus seiner Heimat Österreich einen ganzen Fanclub mitgebracht. Die United Fans Team Austria, deren Präsident er ist, haben im Stadion Fahnen und Trommeln dabei.
"Wir sind eine große Familie"
Ob Kiew, Riga oder zu den Olympischen Spielen nach Sotschi: Für Teufel gibt es nichts Schöneres, als unterwegs zu sein. Bleiben werden sie das ganze Wochenende. "Wir fahren zu allen Spielen, wenn Österreich spielt", sagt er. Ein Eishockeyspiel habe er zum ersten Mal in Linz besucht. "Da bin ich hängengeblieben, wegen der Emotionen." Und wegen der Fairness untereinander. "Eishockeyfans sind super. Wir stehen hier mitten unter den Deutschen und es gibt nix, das ist nicht so wie beim Fußball, dass du Angst haben musst. Wir sind eine große Familie."
"Landshut als Standort für den Deutschland-Cup ist einfach schön", sagt DEB-Fanbeauftragter Vogel. "Die Dimensionen passen, alles ist fußläufig zu erreichen und der Weg zur Halle ist relativ kurz. Hier haben wir eine volle Hütte und es macht Spaß. Es ist sehr schwierig, so etwas zu finden, wo einerseits die Voraussetzungen im Stadion stimmen und gleichzeitig ein eishockeyaffines Publikum vor Ort ist."
Das sehen am Samstagabend im Stadion auch Micha und Olaf so, seit den 1990ern Edelfans der Düsseldorfer EG. Wegen eines Risses im Eis muss das Spiel gegen die Slowakei am Samstagabend für 60 Minuten unterbrochen werden, was die Fans nutzten, um gemeinsam anzustoßen. Helles Bier ist 14 Minuten vor dem Ende ausverkauft - passiert auch mal in Niederbayern.
In Düsseldorf wird der D-Cup 2026 ausgetragen, über 2025 kursieren am Wochenende nur Gerüchte: Dresden, Schwenningen, München - oder doch noch einmal Landshut?