Der Bundestrainer im Interview

Marco Sturm: "Wir können die großen Nationen schlagen"


Freut sich auf die Olympischen Spiele: Bundestrainer Marco Sturm.

Freut sich auf die Olympischen Spiele: Bundestrainer Marco Sturm.

Olympia ist das Allergrößte für einen Sportler. Das gilt auch für die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft, die sich für das anstehende olympische Turnier im südkoreanischen Pyeongchang qualifiziert hat. In der vergangenen Woche hat Marco Sturm seinen 30-Mann-Kader vorgeschlagen, den er am Dienstag auf 25 Spieler reduzieren muss. Im idowa-Interview spricht der Bundestrainer aus Niederbayern über seine Vorfreude auf Olympia, die Talentförderung im deutschen Eishockey und die Entwicklung von Straubings Jung-Nationalspieler Stefan Loibl, den er am Freitag beim DEL-Heimspiel der Tigers gegen Berlin noch einmal persönlich in Augenschein nahm.

Herr Sturm, Olympia steht kurz bevor. Wie groß ist die Vorfreude bereits?
Marco Sturm: Man merkt, dass die heiße Phase beginnt - mit der Nominierung, aber auch schon davor. Das Turnier kommt immer näher und natürlich steigt da die Vorfreude.

Vergangene Woche haben Sie den vorläufigen 30-Mann-Kader nominiert. Wo lag hier der Fokus bei Ihrer Entscheidung?
Sturm: Zum einen musste ich beachten, dass wir keine richtige Vorbereitung haben, sondern nur ein paar Tage in Füssen und ein Vorbereitungsspiel in der Schweiz. Deshalb brauche ich natürlich Spieler, die mein System und meine Spielstruktur kennen. Ein anderer Grund war auch unsere Gruppe. Wir haben Skandinavier als Gegner, die sind einfach läuferisch und taktisch sehr gut.

Es ist immer schwierig, Spielern zu sagen, dass sie nicht dabei sind. Kommt da über die Jahre dennoch eine Routine rein?
Sturm: Leider nicht. Es war dieses Mal wieder genauso schwer, weil ich ganz genau weiß, wie hart jeder einzelne Spieler arbeitet für dieses Event. Aber das ist eben mein Job.

Eine für viele überraschende Personalie ist Marcel Müller, der als aktueller deutscher Topscorer in der DEL nicht mit dabei ist. Was sind hierfür die Gründe?
Sturm: Er war in den letzten Jahren zu wenig dabei. Er hat auch letzte Saison nicht gut gespielt. Heuer spielt er viel besser. Im Deutschland-Cup war er ganz ok, aber da habe ich auch gesehen, dass er in der Vergangenheit nicht so oft dabei war. Deswegen hat mein Bauchgefühl gesagt, dass die anderen eine Stufe besser waren. Wir haben genügend Spieler, die die Tore machen können. Marcel kann ich mir gut bei der WM vorstellen, dass er sich da präsentieren und seine Chance nutzen kann.

Sie sprechen das Bauchgefühl an. Wie wichtig ist das für Ihre Entscheidungen?
Sturm: Das gehört dazu, bei den Entscheidungen hängt vieles zusammen. Bisher habe ich da immer ein gutes Händchen gehabt und hoffe, dass es jetzt bei Olympia und in der Zukunft genauso ist.

Eine weitere Position, die diskutiert wurde, sind die Torhüter. Hier setzen sie ebenfalls auf erfahrenere Kräfte, statt zum Beispiel Dustin Strahlmeier nach einer bisher starken Saison zu nominieren. Was sind hier die Gedanken?
Sturm: Ich sehe Torhüter wie Niederberger schon noch ein bisschen vor ihm. Nicht unbedingt im Spielerischen, eher generell. Er war schon ein paar Mal dabei und hat bereits Länderspiele absolviert. Bei den Torhütern bin ich ganz vorsichtig. Ich habe in Nordamerika die Erfahrung gemacht, dass die Torhüter erst mit 26 oder 27 Jahren explodiert sind. Natürlich gibt es da auch Ausnahmen. Dustin Strahlmeier und auch die Torhüter in Nürnberg spielen eine klasse Saison und sollen auch genauso weitermachen. Aber ich denke, sie brauchen noch eine gewisse Zeit.

Marco Sturm über das Besondere an Olympia und die deutschen Ziele

Sie waren als Spieler bei drei olympischen Spielen aktiv dabei. Was macht Olympia aus Ihrer Sicht so besonders?
Sturm: Man kann es gar nicht vergleichen mit Weltmeisterschaften oder Playoffs. Es ist etwas ganz Besonderes. Jede einzelnen olympischen Spiele waren eine tolle Erfahrung für mich. Es war nicht immer leicht, weil wir wussten, dass wir gegen richtig harte Nationen spielen und wahrscheinlich auch verlieren. Deswegen hoffe ich, dass es wegen der fehlenden NHL-Spieler in diesem Jahr ein bisschen anders ist. Die Chance, bei Olympia dabei zu sein, bekommt man vielleicht nur einmal im Leben und deshalb sollen die Jungs das auch genießen. Aber der Fokus liegt trotzdem auf dem Sport. Wir sind wegen des Eishockeys dort und werden alles versuchen, dass wir die eine oder andere große Nation ein bisschen ärgern.

Macht es Olympia auch so besonders, dass viele Sportler aus verschiedenen Sportarten an einem Ort unter sich sind?
Sturm: Ich finde schon. Es wird so aufgeteilt, dass die deutschen Sportler meist in einem Haus sind. Das heißt, über uns ist dann zum Beispiel der Eiskunstlauf oder der Eisschnellauf. Das ist dann schon schön, wenn man jeden Tag zusammenkommt. Man lernt sich kennen, tauscht sich aus, erlebt die Höhen und Tiefen miteinander und unterstützt sich auch gegenseitig. Der Zusammenhalt untereinander ist schon gewaltig. Das bekommt man nirgends anders in dieser Form.

Sie haben auch die fehlenden NHL-Spieler schon angesprochen. Sehen Sie das als Vorteil für Ihre Mannschaft?
Sturm: Das wird man sehen. Fakt ist, dass Schweden und Finnland einfach auf einem anderen Level sind als wir - egal ob mit oder ohne NHL-Spieler. Aber Fakt ist auch, dass wir die großen Nationen schlagen können. Wir werden einfach alles versuchen. Ich hoffe, dass der Unterschied nicht so groß ist wie bei meinen letzten olympischen Spielen. Wir haben eine gute und solide Truppe, die alles geben wird.

Als Trainer ist Olympia für Sie eine Premiere. Worauf werden Sie besonders achten?
Sturm: Wichtig ist, dass wir genauso agieren wie in den letzten Turnieren. Olympia ist etwas Besonderes, aber dennoch muss der Fokus auf dem Eishockey liegen. Wir müssen unser Spiel, die Leidenschaft und den Stolz genauso aufs Eis bringen wie zum Beispiel in der Olympia-Qualifikation oder bei der Weltmeisterschaft in Deutschland.

Wann ist Olympia aus Ihrer Sicht ein Erfolg?
Sturm: Unser Ziel ist die Zwischenrunde. Dafür müssen wir drei oder vier Punkte erreichen - das wäre ein toller Erfolg. Aber wir konzentrieren uns jetzt einfach auf Spiel eins, das wird hart genug gegen die Finnen. Es ist ja schon ein schöner Erfolg, dass wir überhaupt dabei sind. Jetzt wollen wir den nächsten Schritt machen.

Marco Sturm über seine Zeit als Bundestrainer und die Nachwuchsförderung im deutschen Eishockey

Sie sind nun im dritten Jahr Bundestrainer. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Sturm: Sehr positiv, es macht mir unheimlich viel Spaß. Es gab fast nur schöne Momente. Mein Start mit dem Deutschland Cup, die Weltmeisterschaft in Russland, die Heim-WM, die Olympia-Qualifikation. Da haben wir gut gespielt und deshalb ist der Trainer natürlich zufrieden. Auch das ganze Drumherum macht Spaß. Es haben alle mitgezogen, die Spieler, der Verband und auch die Fans. Wir halten zusammen und nur so können wir Erfolge feiern.

Gibt es einen Moment, der Ihnen ganz besonders in Erinnerung geblieben ist?
Sturm: Das ist schon die Olympia-Qualifikation in Riga. Was die Mannschaft da gespielt hat, das war schon erste Klasse. Die zwei Spiele gegen Japan und Österreich zu null und dann das für mich mit Abstand beste Spiel, das Deutschland seit langem gemacht hat, gegen Lettland. Das entscheidende Spiel mit 3:2 in einem Krimi zu gewinnen, das war schon das Schönste für mich.

Viele Eishockeyfans und auch der Verband wünschen sich, dass Sie Bundestrainer bleiben. Noch zögern Sie aber mit der Verlängerung. Woran liegt das?
Sturm: Ich würde nicht sagen, dass ich zögere. Es gibt einfach mehrere Punkte, die man durchgehen muss. Dass das nicht von heute auf morgen funktioniert, ist normal. Wir arbeiten daran. Das Gute ist, dass der Verband und auch ich weiter zusammenarbeiten wollen. Es muss aber auch passen und es muss auch die eine oder andere Änderung kommen. Wir sind auf einem guten Weg. Ob es bald klappt oder später oder vielleicht auch nicht, das muss man abwarten. Da bin ich ganz locker.

Was sind Punkte, die sich Ihrer Meinung nach verändern müssen?
Sturm: Das größte Problem sind einfach die jungen Spieler. Wir haben mit "Powerplay 26" und dem Fünf-Sterne-Konzept wirklich etwas Gutes gestartet. Von unten kommt wieder etwas nach. Das Problem sind die 17- bis 23-Jährigen, die eine zu schlechte Ausbildung bekommen. Das schadet nicht nur der Liga, sondern auch der Nationalmannschaft und dem gesamten deutschen Eishockey.

Blicken wir in diesem Zusammenhang auf die U20-Nationalmannschaft, die bei der zurückliegenden WM den Aufstieg in die Top-Division verpasst hat. Sieht man daran, dass es aktuell im Nachwuchsbereich einfach hapert?
Sturm: Absolut. Das ist nichts Neues, sondern geht schon länger so. Das ist jetzt das Ergebnis davon. Wir sind genau da, wo wir hingehören - und das ist leider in der zweiten Division. Wenn ich mir die U20-A-WM anschaue, dann muss ich sagen, dass wir weit davon entfernt sind. Man muss die Realität sehen und die ist, dass wir da oben nichts zu suchen haben. Deshalb muss in Zukunft mehr kommen, damit wir wieder mit der U20 und der U18 die großen Nationen schlagen können.

Hier sind vor allem die Vereine gefordert. Sehen Sie bei den Clubs den absoluten Willen zur Nachwuchsförderung und Talententwicklung?
Sturm: Im Nachwuchsbereich finde ich schon. In den Vereinen, in denen ich war, war es gut. Es ist eine Euphorie da, es gibt mehr Kinder, die zu den Vereinen kommen, das merkt man schon. Das Problem sehe ich derzeit eher im Profibereich. In der DEL, in der DEL2 und teilweise auch in der Oberliga spielen einfach zu wenig junge deutsche Spieler. Wir haben Spieler, die oben mitspielen können, die aber einfach noch nicht die Chance bekommen. Das ist das Problem. Deshalb muss man daran arbeiten und ich hoffe, dass in naher Zukunft etwas passiert.

Hier sind wir aber bei einem Punkt, den der DEB wenig beeinflussen kann, weil hier die Clubs und die DEL gefordert sind, den Spielern entsprechend Einsätze und Eiszeit zu geben und auf Sicht vielleicht auch die Zahl der Ausländerstellen zu reduzieren.
Sturm: Ja, das stimmt. Wir als Verband müssen natürlich auch unsere Hausaufgaben machen. Das heißt, dass die Trainer im U-Bereich die Spieler besser ausbilden. Bei der Teambetreuung können wir noch aktiver und besser werden. Was die Ausländerregelung in der DEL angeht, da können wir nur Vorschläge machen. Im Endeffekt muss dann die Liga selbst entscheiden, wo das Ziel im deutschen Eishockey überhaupt hingehen soll. Da bin ich mir einfach noch ein bisschen unklar.

Marco Sturm über Tigers-Stürmer Stefan Loibl und seine Rückkehr ins kalte Niederbayern

Picken wir ein Talent aus Straubing heraus. Stefan Loibl haben Sie für den vorläufigen Olympia-Kader vorgeschlagen. Wie bewerten Sie seine Entwicklung?
Sturm: Ich habe Stefan vor zwei Jahren bei der U20-WM kennengelernt. Er ist ein guter junger Spieler, der auch menschlich einfach passt. Er will und kann auch noch mehr - das ist das Schöne. Ich habe das Vertrauen schon vor zwei Jahren gehabt und das ist auch jetzt wieder so. Obwohl er vielleicht noch nicht ganz so weit ist, ist er vom Kopf her schon weiter wie manch anderer. Es freut mich, dass es geklappt hat. Es war natürlich schade, dass er in den letzten Jahren noch nicht so viel Eiszeit bekommen hat. Aber dieses Jahr bekommt er das Vertrauen und er zahlt es auch zurück - den Tigers genauso wie mir und der Nationalmannschaft. Wir haben leider in der Mittelstürmer-Position in Deutschland nicht so viel Auswahl. Deshalb ist es wichtig, dass wir die jungen Spieler, die wir haben, auch unterstützen.

Stefan Loibl ist in dem 30er-Kader die einzige Überraschung. Ist es auch ein Zeichen, dass Sie in ihm ein besonderes Potenzial sehen und ihm eine große Zukunft zutrauen?
Sturm: Auf jeden Fall. Das Wichtigste ist, dass ich das Vertrauen habe. Auch beim Deutschland Cup musste ich mir keine Sorgen machen, wenn ich ihn aufs Eis geschickt habe. Deswegen sehe ich ihn unter den ersten 30, ganz einfach. Er ist momentan wahrscheinlich auf Abruf dabei. Aber wenn irgendetwas passiert, und das kann schnell der Fall sein, dann ist er der Erste, der nachrückt und dann könnte auch sein Traum wahr werden.

Kommt Loibl auch zugute, dass er sowohl als Center als auch als Außenstürmer spielen kann?
Sturm: Sein Vorteil ist, dass er Mittelstürmer ist. Da macht er seinen Job auch besser wie außen, finde ich. Das war der Hauptgrund. Ich brauche einen Mittelstürmer und hatte bei ihm das beste Gefühl.

Sprechen wir noch über Sie persönlich. Sie haben Ihren Lebensmittelpunkt wieder nach Niederbayern gelegt. Hand aufs Herz: Wie schön ist es, wieder daheim zu sein?
Sturm: (lacht) Ich bekomme viele Fragen, warum wir wieder ins Kalte gezogen sind. Aber wir genießen jeden Tag, auch wenn so ein schlechtes Wetter ist. Wir waren doch lange weg und uns gefällt es. Für die Kinder war es mit der Schule nicht so einfach, aber das haben sie gut weggesteckt. Wir sind glücklich hier, das ist unsere Heimat.

Wie sind die Planungen in Zukunft?
Sturm: Das kommt auch darauf an, wie es bei mir weitergeht. Die Planung ist aktuell, dass wir erst einmal hier bleiben und dann werden wir sehen, wo die Reise hingeht.

Dadurch, dass Sie wieder hier sind, können Sie wohl auch Ihre Stiftungsarbeit wieder intensivieren. Können Sie uns darüber noch etwas erzählen?
Sturm: Ich habe gute Mitarbeiter, die braucht man auch. Es bleibt jetzt wieder mehr Zeit dafür. Aber heuer mit Olympia, der U20 und anderen Sachen war ich trotzdem viel unterwegs. Die ruhigeren Tage werden wieder kommen und dann ist es viel besser für Spenden und die Stiftung, wenn man selbst vor Ort und präsent ist. Das macht mir viel Spaß und deshalb habe ich die Stiftung auch gegründet. Egal mit welchem Betrag - es freut mich jedes Mal, wenn ich Kinder oder Familien glücklich machen kann.