Ex-Keeper des FC Bayern

Deutsches Torhütertief: Bayern-Legende kritisiert Manuel Neuer


Schwierige Phase beim FC Bayern: Torhüter Manuel Neuer, der mit der deutschen Nationalmannschaft auf Russland und die Niederlande trifft.

Schwierige Phase beim FC Bayern: Torhüter Manuel Neuer, der mit der deutschen Nationalmannschaft auf Russland und die Niederlande trifft.

Von Selim Aydin

Was ist los auf der einstigen Paradeposition im deutschen Fußball? Im Nachwuchs drängen sich keine Toptalente auf, ter Stegen patzt - und Neuer schwächelt: "Ihm fehlt die Ausstrahlung", sagt der einstige FC-Bayern-Torwart Jean-Marie Pfaff.

Leipzig/München - Die Länderspielwoche begann für Manuel Neuer, den Torhüter und Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, mit einer Zeitreise. Zusammen mit seinen Kollegen Leroy Sané, Timo Werner und Julian Brandt sowie Teamdirektor Oliver Bierhoff besuchte Neuer am Dienstag eine Oberschule in Leipzig, es war die Fortsetzung der DFB-Charmeoffensive nach dem blamablen WM-Aus - und die Gelegenheit, in der vollen Aula ein paar Details über die Kindheit des Keepers zu erfahren.

So verriet Neuer auf Nachfrage eines Schülers, dass er früher beim Vokabeln lernen "nie so hinterher" gewesen sei. In Englisch habe er zwar "keine Probleme" gehabt - aber Französisch und Italienisch? "Das war nichts für mich", sagte der Kapitän der Bayern. Er grinste. Im Rückblick sind das doch ganz angenehme Problemchen gewesen, damals in der Schule. Aktuell hat der 32-Jährige deutlich größere Herausforderungen zu bewältigen.

Marco Reus war überrascht von Manuel Neuer

Am Samstag, nach dem 2:3 im Topspiel bei Borussia Dortmund etwa, wurde schon wieder über Neuer diskutiert. Der Bayern-Torhüter war Dortmunds Marco Reus vor dem Treffer zum 1:1 elfmeterreif in die Seite gerauscht, das hatte sogar Reus verwundert. "Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass ich an den Ball komme. Ich habe gemerkt, wie Manu etwas gezögert hat. Am Ende kam er dann doch raus", schilderte der BVB-Star die Szene.

Nach Jahren der absoluten Souveränität und der ständigen Erfolge ist Neuer zu einem Torhüter geworden, der nun auch mal zögert. Das kannte man so nicht von ihm. Und damit steht Neuer symbolisch für das deutsche Torhütertief, das derzeit zu beobachten ist.

Das Land der Maiers, Schuhmachers und Kahn vor einem Torwartproblem?

Denn auch Neuers Vertreter Marc-André ter Stegen, der das Testspiel gegen Russland (am Donnerstag in Leipzig) sowie die Nations-League-Partie gegen die Niederlande (am Montag in Gelsenkirchen) aufgrund von Schulterbeschwerden absagte, spielt beim FC Barcelona keine fehlerfreie Saison.

Bei der 3:4-Niederlage der Katalanen gegen Betis Sevilla am Wochenende patzte der 26-Jährige schwer. Vor dem 1:3 ließ er einen Ball durch die Finger flutschen. Hat Deutschland, das Land der Maiers, Schumachers, Kahns und Neuers ein Torhüterproblem?

Jean-Marie Pfaff: "Ein fitter Neuer kann viel leisten"

"Nein!" - sagt Jean-Marie Pfaff in der AZ. Die belgische Torhüter-Legende, von 1982-'88 für den FC Bayern zwischen den Pfosten, hält ter Stegen für einen "tollen Torhüter. Er spielt bei einem der besten Vereine der Welt. Es wird für Joachim Löw schwer, bei der EM 2020 zwischen ihm und Neuer zu wählen."

Auch dem Bayern-Schlussmann traut Pfaff zu, noch mal auf sein altes Topniveau zu kommen. "Er ist 32. Ich bin mit 34 Jahren erst zum besten Torwart der Welt geworden. Wenn Neuer fit ist, kann er noch viel leisten."

Spielte einst für den FC Bayern: Jean-Marie Pfaff.

Spielte einst für den FC Bayern: Jean-Marie Pfaff.

Keine Torhüter im Nachwuchsbereich

Gleichwohl hat Pfaff registriert, dass Neuer gerade eine "schwere Zeit" durchmacht. Was abgewehrte Schüsse angeht, gehört Neuer zu den schwächsten Keepern der Bundesliga. Nach mehreren Fußbrüchen in der Zeit vor der WM 2018 fehle dem Torhüter noch "der Rhythmus", sagt Pfaff: "Ein Torhüter muss vor allem dann gut sein, wenn sein Team schlecht spielt. Das gelingt Neuer aktuell nicht immer. Er wird zum ersten Mal in seiner Bayern-Zeit von seinen Abwehrleuten richtig im Stich gelassen." Deshalb müsse Neuer nun "lauter werden", so Pfaff: "Ich finde, ihm fehlt so ein bisschen die Ausstrahlung. Er muss die Mannschaft führen, dirigieren. Ein Torhüter ist wie ein zweiter Trainer."

In den Partien gegen Russland und die Niederlande wird Neuer wohl im deutschen Tor stehen, als Ersatzleute hat Bundestrainer Löw Kevin Trapp (Eintracht Frankfurt) und Bernd Leno (FC Arsenal) nominiert. "Gute Torhüter", sagt Pfaff, "aber sie sind nicht Weltklasse." Ohnehin stellt sich die Frage, wer irgendwann einmal folgen soll. Im Nachwuchsbereich drängen sich kaum Toptorhüter auf.

Oliver Kahn: "Deutschland hat kein Ausnahmetalent"

"Ich sehe im Moment hinter Neuer und ter Stegen nicht das absolute junge Ausnahmetalent, das schon Spielpraxis auf hohem Niveau sammelt", sagte Oliver Kahn jüngst dem "Kicker". "Wir haben anscheinend keinen wie den 19-jährigen Gianluigi Donnarumma in Italien."

Neuer war einst so ein Riesentalent, als er 2006 im Alter von 20 Jahren für den FC Schalke in der Bundesliga debütierte. Zuvor hatte er übrigens das Fußball-Teilinternat Berger Feld in Gelsenkirchen erfolgreich mit der Fachholschulreife abgeschlossen - trotz bekannter Vokabelschwäche.

Am Dienstag scherzte Neuer nicht nur mit den Kids - er blickte auch auf die kommenden Spiele voraus. "Wir wollen das nicht positive Jahr gut zu Ende bringen. Wir wollen zwei Spiele gewinnen, das ist das klare Ziel", forderte er. Über seine eigene Verfassung müsse man sich keine Sorgen machen. "Ich bin in guter Form", sagte Neuer: "Ich bin mit mir im Reinen."