Favoritenschreck im AZ-Check
Keiner mag Lyon: Das ist der Halbfinal-Gegner des FC Bayern
19. August 2020, 8:56 Uhr aktualisiert am 19. August 2020, 8:56 Uhr
Olympique Lyon ist der Überraschungs-Halbfinalist der Champions League 2019/20: nur Siebter in der Liga, aber nach Siegen gegen Juventus Turin und Manchester City nun ein veritabler Favoritenschreck.
München - Das letzte Liga-Spiel? Eine halbe Ewigkeit ist das her: 8. März, ein trauriges 0:1 in Lille. Nur Platz sieben in der Tabelle der als "Bauernliga" verspotteten französischen Ligue 1, ein Punkt hinter Stade Reims und damit noch nicht mal für die Europa League qualifiziert. Quel blamage! Und fünf Monate später wirft dieselbe Truppe die Titel-Aspiranten Juventus Turin und Manchester City aus der Champions League und zieht ins Halbfinale ein? Wer Olympique Lyon diesen Lauf vorhergesagt hätte, den hätte man kürzlich wohl noch zum Arzt geschickt.
Dabei gehört OL, wie der Klub gerne abgekürzt wird, nicht zum ersten Mal zu den Top 4-Klubs in Europa. Im April 2010 ging es gegen den FC Bayern der Ära Louis van Gaal mit Lahm, Schweinsteiger, van Bommel, Robben & Co. Matchwinner war damals jedoch Ivica Olic, der nach dem 1:0 im Hinspiel beim 3:0 im Rückspiel alle drei Treffer erzielte.
Olympique Lyon: Weg zur nüchtern funktionierender Maschine
Überhaupt sind die Bayern nicht gerade der Lieblingsgegner von OL: In acht Spielen gab es nur zwei Siege. Einer davon, das 3:0 im Jahr 2001, veranlasste den damaligen Bayern-Präsidenten Franz Beckenbauer zu einer legendären Wutrede ("Altherrenfußball", "Uwe-Seeler-Traditions-Mannschaft"). Wenig später gewann Bayern die Champions League. Und OL? Wurde erst 1950 gegründet, erreichte 1983 den Tiefpunkt der Klubgeschichte: Abstieg in Liga zwei. Dort blieb man sechs Jahre. 1987 übernahm Jean-Michel Aulas, ein Industrieller aus der Region, der mit Software ein Vermögen gemacht hatte, den angeschlagenen Verein, der zudem - wie fast alle französischen Klubs - unter einem Minderwertigkeitskomplex gegenüber Paris litt.
Aulas, ein ehemaliger Handballer, der dem Klub immer noch vorsteht, verwandelte OL über die Jahre in eine nüchtern funktionierende Maschine. Der Lohn: sieben Meistertitel in Serie, von 2002 bis 2008. In der Königsklasse langte es von 2004 bis 2006 für das Viertel-, 2007 bis 2009 für das Achtelfinale. Aus dieser erfolgreichen Zeit rührt das bis heute bescheidene Image des Klubs: Zu glatt, zu zivilisiert, zu effizient, zu berechnend gingen all diese Erfolge über die Bühne. Herzerwärmende Dramen? Fehlanzeige. Allein die Derbies mit dem lokalen Rivalen AS St. Etienne, dem französischen Rekordmeister mit zehn Titeln, sorgen für etwas anderes als sportliche Schlagzeilen.
OL-Trainer Rudi Garcia: "Unser Selbstvertrauen ist gewachsen"
Die bestimmte in den großen Nuller-Jahren neben Karim Benzema auch der Brasilianer Juninho mit, damals vor allem durch seine legendären Freistöße. Seit dieser Saison ist der Sympathieträger von einst zurück an der Rhone: als Sportdirektor. Es ist nicht wirklich ein Star-Ensemble, das er zusammengestellt hat: Der bekannteste Kicker ist der niederländische Kapitän Memphis Depay, der schon bei PSV Eindhoven kickte und auf den Manchester United eine Rückkaufoption besitzt. Auch dem BVB wird Interesse an Depay nachgesagt.
Sollte es für den ganz großen Coup, einen Sieg im Finale am Sonntag, nicht reichen, wird OL erstmals seit 2015 international nicht vertreten sein. Kein Wunder, dass die Truppe rennt, als ginge es um ihr Leben: Gegen ManCity spulten Lyons Kicker fast zehn Kilometer mehr ab als Pep Guardiolas Ballstreichler. OL-Trainer Rudi (sein radsportbegeisterter Vater taufte ihn nach Rudi Altig) Garcia, der seine Laufbahn ausgerechnet bei St. Etienne begonnen und Marseille 2018 ins Europa-League-Finale geführt hatte, meinte zur jüngsten Siegesserie: "Der Appetit kommt beim Essen. Unser Selbstvertrauen ist gewachsen", bleibt aber bescheiden: "Wir sind die Außenseiter gegen Bayern. Jetzt ist ein weiteres Kunststück nötig."
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