Rechtsdienstleistungen
Dürfen Portale im Kampf gegen Konzerne helfen?
16. November 2019, 13:23 Uhr aktualisiert am 16. November 2019, 13:23 Uhr
Ob Miete zu hoch oder Flug zu spät: Portale machen es Kunden leicht, ihre Rechte durchzusetzen. Aber die Anbieter bewegen sich in einer Grauzone - nun urteilt der BGH.
München - "Wir helfen Mietern. Einfach. Online. Ohne Kostenrisiko." Das verspricht das Internetportal Wenigermiete.de seinen Nutzern. Das Start-up ficht juristische Streitigkeiten mit dem Vermieter aus. Dabei ist umstritten, ob es dafür überhaupt eine rechtliche Grundlage gibt. Seit Kurzem klärt das der Bundesgerichtshof (BGH). Auf sein Urteil Ende November wartet eine ganze Branche.
Was macht Wenigermiete.de?
Der Rechtsdienstleister nimmt Mieterhöhungen, Kündigungen und Renovierungsklauseln unter die Lupe. In dem Fall vor dem BGH geht es um Ansprüche eines Mieters wegen der Mietpreisbremse. Die erste Prüfung läuft über einen Online-Rechner auf der Internetseite: Der Nutzer gibt seine Daten ein, ein Algorithmus ermittelt die ortsübliche Vergleichsmiete. Kommt heraus, dass der Mieter mehr Miete zahlt als erlaubt, kann er Wenigermiete.de mit der Durchsetzung beauftragen. Ein Honorar wird nur fällig, wenn dabei am Ende für den Mieter etwas herausspringt. "Das heißt: keine Vorabzahlung wie beim Anwalt", steht prominent auf der Startseite des Portals.
Wo ist das Problem?
Wer Rechtsdienstleistungen erbringen darf, ist gesetzlich geregelt. Anbieter wie Wenigermiete.de waren damals noch nicht auf dem Markt, für sie sind die Regelungen nicht ausdrücklich gemacht. Die meisten Unternehmen der sogenannten Legal-Tech-Branche behelfen sich deshalb mit einer Inkassolizenz, die zum Einziehen fremder Forderungen berechtigt. Klassischerweise sind das nicht bezahlte Rechnungen. Ob ein Geschäftsmodell wie das von Wenigermiete.de von so einer Lizenz gedeckt ist, ist umstritten und bisher nicht geklärt.
Was heißt das für betroffene Nutzer?
In dem Fall, der nun in Karlsruhe entschieden wird, hat das Berliner Landgericht die Klage gegen den Vermieter abgewiesen. Wenigermiete.de sei nicht befugt, die Ansprüche geltend zu machen. Das Portal sei schwerpunktmäßig gar kein Inkassounternehmen, sondern leiste ohne Erlaubnis Rechtsberatung im Internet. In der Frage besteht aber nicht einmal am Landgericht Einigkeit: Andere Kammern haben mit dem Modell von Wenigermiete.de kein Problem.
Welche Konsequenzen hat das BGH-Urteil für die Branche?
Andere Anbieter, die Fluggastrechte einklagen, Lebensversicherungen rückabwickeln (siehe unten), oder Hartz-IV-Widersprüche durchboxen, stehen vor ähnlichen Fragen. Auch Myright, das im Dieselskandal Zehntausende Autokäufer gegen VW vertritt, beobachtet den Ausgang genau. Wegen der unterschiedlichen Geschäftsmodelle wird man das Urteil nicht verallgemeinern können.
Wie geht es weiter?
In der Verhandlung Mitte Oktober haben die Richter angedeutet, dass sie den Begriff Inkasso großzügig auslegen wollen. Das Urteil soll am 27. November fallen.
Was bedeutet das alles für die Verbraucher?
"Bevor wir am Markt waren, gab es keine Mietpreisfälle. Jetzt gibt es Zehntausende", meint Wenigermiete.de-Gründer Daniel Halmer. Am BGH geht es um knapp 25 Euro weniger Miete im Monat. Nach Halmers Ansicht ist das Justizsystem für solche vergleichsweise kleinen Ansprüche nicht ausgelegt. "Die meisten Verbraucher machen aus diesem Grund ihre Rechte schlicht und ergreifend nicht geltend." Die Bundesrechtsanwaltskammer sieht das anders.
Widerspruchsrecht mangelhaft: Geld zurück bei Lebensversicherungen
Wer zwischen 1994 und 2007 eine Police abgeschlossen hat, kann sie rückabwickeln.
Mancher ist mit seiner Lebensversicherung unzufrieden und möchte sie am liebsten ungeschehen machen. Das geht unter bestimmten Voraussetzungen sogar. Der BGH hatte 2014 entschieden, dass Lebensversicherungen auch noch nach Jahren rückabgewickelt werden können, wenn der Kunde bei Vertragsschluss nicht richtig über sein Widerspruchsrecht aufgeklärt wurde.
Das betraf Versicherungen, die zwischen 1994 und 2007 nach dem Policenmodell abgeschlossen worden waren. Dabei erhielt der Kunde die Unterlagen erst mit dem Versicherungsschein.
Das Internetportal Helpcheck hilft Inhabern von Lebensversicherungen und Rentenversicherungen, die ihre Policen in dieser Zeit abgeschlossen haben, beim Widerruf. Laut "Allianz" könnten 108 Millionen Verträge betroffen sein, sagt Helpcheck-Gründer Peer Schulz der AZ. Er und sein Team haben bereits mehr als 20000 Verträge von Kunden geprüft. Das Ergebnis: In mehr als 80 Prozent der Policen wurde nicht richtig über das Widerspruchsrecht aufgeklärt. Die Geschädigten können dann einen Großteil ihrer Beiträge zuzüglich Zinsen zurückfordern. "Besonders oft finden unsere Anwälte Fehler bei Verträgen von Generali, Aachen Münchener und Clerical Medical", sagt Schulz, der Konzernen den Kampf ansagen und das "Check24 für Rechtsprobleme" werden will.