Gefahr für Sozialsystem?
Gehen die Babyboomer in Rente, dann gibt es ein Problem
15. Oktober 2019, 6:20 Uhr aktualisiert am 15. Oktober 2019, 6:20 Uhr
Experten warnen vor einer Gefahr für die Sozialsysteme und die Wirtschaft, wenn die 50er- und 60er- Jahrgänge in Rente gehen. Frauen sollten deshalb mehr arbeiten.
München - Ab in die Rente! Die Zahl derjenigen Deutschen, die altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausscheiden, steigt Jahr für Jahr. Allein heuer werden sich etwa 340.000 Menschen in den Ruhestand verabschieden. Wenn erst die Babyboomer der Jahrgänge 1957 bis 1965 die Altersgrenze erreichen, dürften die Zahlen in die Höhe schnellen, schätzt Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Im Jahr 2030 etwa, so prognostizieren Experten, gehen fast eine halbe Million Menschen mehr in Rente als ins Berufsleben starten. Das alles hat gravierende Folgen für den Arbeitsmarkt, weil unter anderem Millionen Fachkräfte fehlen.
Können Migranten in der Situation helfen?
Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) allerdings sieht die Lage nicht ganz so düster. "Vorhersagen, dass der demografische Wandel den Wirtschaftsstandort bedroht - solche düsteren Szenarien werden so dramatisch nicht eintreten", sagt BiB-Direktor Norbert Schneider.
Um die Lücke zu schließen, die durch die Babyboomer entsteht, muss Deutschland laut einer neuen BiB-Studie nur die vorhandenen Erwerbspotenziale besser als ausschöpfen. Man bräuchte dabei nicht mal eine verstärkte Zuwanderung, sondern nur eine "moderate" von etwa 200.000 Migranten pro Jahr, heißt es in der Studie.
Optionen, die Potenziale stärker zu nutzen, sind laut der Studie, dass etwa 60- bis 64-Jährige im Schnitt vier Stunden pro Woche mehr arbeiten. Auch Frauen müssten ihre Wochenarbeitszeit ausweiten. So könnte man die Gesamtsumme aller geleisteten Arbeitsstunden, die 2017 bei rund 1,45 Milliarden Wochenstunden lag, im Jahr 2030 trotz Verrentung der Babyboomer auf gleichem Niveau halten.
Unternehmen müssen auf altersgerechte Arbeitsplätze setzen
Für längeres Arbeiten von Frauen - die Frage ist, ob diese das überhaupt wollen - und Über-60-Jährigen "müssen Gesellschaft und Politik heute die Weichen entsprechend stellen", fordert BiB-Chef Schneider. Er spricht sich etwa dafür aus, die Vereinbarkeit von Beruf und oder Pflege von Angehörigen zu verbessern. Unternehmen müssten mehr auf altersgerechte Arbeitsplätze setzen und mehr in die Gesundheitsprävention investieren.
Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden pro Kopf in Deutschland ist bereits in der Vergangenheit erheblich angestiegen - bei den 60- bis 64-Jährigen beispielsweise hat sich die Zahl der Wochen-Arbeitszeit zwischen 2004 und 2017 im Schnitt von 11,2 auf 21,6 Stunden fast verdoppelt.
Die Tatsache, dass mehr Menschen in den Ruhestand gehen, wirkt sich auch auf die gesetzliche Rente aus: Weniger Beitragszahler müssen für mehr Empfänger aufkommen. Das Verhältnis der Rente zu den Löhnen sinkt. Zwar sichert die Regierung das Rentenniveau bis 2025 bei 48 Prozent ab, danach dürfte es aber sinken - Prognosen zufolge bis 2030 auf 45,8 Prozent. Vorausgesetzt, die Politik steuert nicht gegen.
Rente mit 70 ist ein "No go"
2020 will eine Kommission im Auftrag der Regierung Vorschläge machen. Private Vorsorge könne die Rentenlücken nicht ausgleichen, das gesetzliche System müsse stärker stabilisiert werden - so lautet das Credo der Gewerkschaften.
Was ist zu tun für später, für die Zeit ab 2025? Wenn die Rente stärker abgesichert werden soll, ohne dass die Beiträge massiv steigen, geht das nur über mehr Steuermittel oder durch eine Anhebung des Rentenalters über 67 hinaus.
DGB-Vorstand Annelie Buntenbach verkündet schon mal, was ein Renteneintrittsalter mit 70 aus Gewerkschaftssicht ist: ein "No go".
AZ-Kommentar zum Thema: Zukünftige Rentenpolitik - Mehr Ideen, mehr Mut
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