Bayern
Expertin: "München, die Mafia-Hochburg"
4. Mai 2023, 18:17 Uhr
München - Drogenhandel, Geldwäsche, bandenmäßige Steuerhinterziehung: Im Rahmen eines europaweiten Anti-Mafia-Einsatzes haben 130 Polizisten auch in München und Umgebung Wohnungen und Firmen durchsucht. Vier Personen wurden verhaftet. Sie stehen im Verdacht, Clanmitglieder der kalabrischen Mafia Ndrangheta zu sein und unter anderem im großen Stil mit Kokain gehandelt zu haben.
Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass sich in Bayern 80 Mitglieder der Ndrangheta niedergelassen haben. Die AZ sprach mit der renommierten Mafiakennerin und Autorin Petra Reski darüber, wie die kriminellen italienischen Clans in München und Bayern agieren.
AZ: Frau Reski, Bayerns Innenminister Herrmann hat den europaweiten Einsatz am Mittwoch als empfindlichen Schlag gegen die Ndrangheta bezeichnet. Wie beurteilen Sie ihn?
PETRA RESKI: Empfindlicher Schlag ist ein Gemeinplatz. Der bayerische Innenminister hat auch behauptet, dass Bayern ein Ruheraum wäre für die Ndrangheta. So etwas zu behaupten - nachdem die Mafia seit 60 Jahren in Deutschland aktenkundig ist ... Ich würde sagen, er ist am falschen Platz.
Wenn Bayern kein Ruheraum für Mafiosi ist, was ist es dann?
Es ist ein Aktionsraum. Hier werden genau die gleichen Verbrechen begangen wie auch in Italien. Es wird Geldwäsche betrieben, es wird Drogenhandel betrieben und es werden auch Leute ermordet.
Ein Schwerpunkt des Einsatzes war München. Hat die Stadt eine besondere Bedeutung für die Ndrangheta?
Das Ruhrgebiet, Stuttgart und München sind traditionell die Hochburgen der Mafia, die in den 60er Jahren im Gefolge der Gastarbeiter nach Deutschland kam.
Was macht München interessant?
Anfangs war es die Automobilindustrie, wo es Arbeit gab. Danach war München interessant, weil es eine wohlhabende Stadt ist, wo man Pizzerien eröffnen und Immobilien kaufen konnte. In den Berichten des BKA gibt es Berichte über Mafiosi, die sich schon vor Jahrzehnten in München ganze Straßenzüge gekauft haben.
Namen?
Um Gottes Willen, da werde ich sofort verklagt. Aber ich kann aus meinem Buch "Von Kamen nach Corleone" zitieren.
Bitte.
"Etwa der italienische Handelsvertreter von Textilien, über den im BKA-Bericht zu lesen war: Der Textilvertreter reiste 1981 nach München ein, meldete ein Gewerbe an und heute macht sein sogenanntes Familienunternehmen einen Jahresumsatz von 665 Millionen Euro. Ihm gehören Immobilien und Einkaufspassagen in München und in Ostdeutschland, und er wird verdächtigt, für die Mafiaorganisation aus Apulien, die Sacra Corona Unità, Geld zu waschen. Er gibt in München Partys, an denen die Münchener Society gerne teilnimmt."
Immobiliengeschäfte sind ja nach wie vor geeignet, Geld zu waschen.
Ja. Die Beweislast, dass es sich um sauberes Geld handelt, liegt in Deutschland bei den Behörden - in Italien beim Investor. Die Mafia investiert seit Jahrzehnten schmutzige Millionen in deutsche Immobilien, Firmen und Energieanlagen, um am Ende saubere, legale Gewinne einzustreichen. Und sie verfügt über ganz andere finanzielle Mittel, kann Konkurrenten ausstechen.
Sagen Ihnen die Namen der vier Personen, die jetzt in München verhaftet worden sind, etwas?
Ja, alle Verhafteten gehören im Wesentlichen zu den zwei großen Ndrangheta-Clans aus San Luca und Africo, das sind die tonangebenden Mafiagruppierungen in Deutschland, die seit Jahrzehnten auch in München angesiedelt sind.
Einer betrieb seit 2005 in München Autowaschbetriebe in Einkaufszentren. Mit was für Firmen tarnen sich Mafiosi noch?
Das kann alles sein: eine Eisdiele, eine Autowaschanlage, ein Restaurant, die Immobilienbranche. Die Riem Arcaden sind übrigens schon vor Jahren in den Mafia-Berichten des Bundeskriminalamtes aufgetaucht. Für mich sind die Namen auch persönlich interessant.
Warum?
Ich habe über sie bereits 2008 in meinem Buch "Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern" geschrieben: Die sie betreffenden Passagen mussten damals auf Geheiß des Oberlandesgerichts München geschwärzt werden. Zu meinen Unterlagen gehörte auch die Operation Fido, bei der die deutsche und italienische Polizei 2001 gegen diese Gruppe ermittelte. Die Ermittlung wurde ganz plötzlich von deutscher Seite abgebrochen. Das ist jetzt Gegenstand des thüringischen Untersuchungsausschusses. Wir reden hier also über Leute, die seit Jahrzehnten im Visier der Ermittler standen. Die deutschen Gesetze hätten nicht ausgereicht, um sie zu verhaften. Es liegt immer nur an italienischen Gesetzen, dass diese Leute festgenommen werden können.
Immerhin ist es der bayerischen Polizei gelungen ein Kryptohandy zu knacken. Die abgehörten Gespräche haben dazu beigetragen, dass es jetzt zu den Verhaftungen kam.
Ja, aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Dadurch wird sich nichts ändern. Diese Personen werden sofort durch unauffälligere ersetzt. Und die Clans werden eruieren, welche Fehler sie gemacht haben.
Woran liegt es denn, dass Mafiosi teils Jahrzehnte ungestört bei uns schalten und walten können?
In der Regel können sie hier nur festgenommen werden, wenn man ihnen ganz konkret den Handel mit Drogen nachweisen kann. In Italien reicht schon die Zugehörigkeit zu einem Clan. Auch Geldwäsche kannst du dort viel leichter nachweisen.
Was ist München dann für Mafioso? Und Deutschland?
Deutschland und auch München ist ein Paradies für die Mafia. Das sagen alle italienischen Staatsanwälte. Sie sagen, wenn ich Mafioso wäre, würde ich nach Deutschland gehen.
Was muss sich ändern bei uns im Kampf gegen die Mafia?
Der politische Wille muss sich ändern. Es muss klare Ansagen geben. Die deutschen Politiker betrachten ja die Investitionen der Mafia als ein Konjunkturankurbelungsprogramm. Die Geldwäschegesetze sind noch viel zu lasch. Die Zweiteilung der Zuständigkeit zwischen Polizei und Zollbehörden funktioniert auch nicht.