Bayern
Halbzeit für Grün-Rot: Katrin Habenschaden wieder in den Startlöchern
29. März 2023, 18:22 Uhr aktualisiert am 29. März 2023, 18:22 Uhr
München - Quizfrage: Welchen Treffpunkt schlägt eine grüne Bürgermeisterin einer Reporterin in München vor? Es ist kein Park, kein Radweg, kein Bio-Laden. Es ist der Ort, wo München, sonst als Dorf belächelt, wie eine Großstadt wirkt: der Interims-Gasteig in Sendling, wo aus einer über 100 Jahre alten Halle ein Kulturbau wurde, eigentlich alles bloß provisorisch. Doch inzwischen scheinen sich alle einig zu sein, dass das so bleiben soll. Hier will Münchens Grüne Bürgermeisterin Katrin Habenschaden über ihre Bilanz der vergangenen drei Jahre im Rathaus sprechen.
Bei der Kommunalwahl 2020 trat Habenschaden als OB-Kandidatin an, doch sie schaffte es nicht in die Stichwahl. Grund zum Feiern hatten die Grünen trotzdem: Ihre Fraktion wurde stärkste Kraft im Stadtrat. Und die stolze SPD, die seit über 75 Jahren nur mit einer Ausnahme alle Oberbürgermeister stellte, schaffte es bloß auf Platz 3. Allerdings wollten fast drei Viertel der Wähler Dieter Reiter als OB behalten.
"Wir können sehr zufrieden sein mit unserer Bilanz"
Bis Anfang des Jahres gingen die Grünen davon aus, dass sie beim nächsten Mal keinen Wahlkampf gegen Reiter mehr führen müssen. Denn für Oberbürgermeister gilt in Bayern eine Altersgrenze von 66 Jahren bei Amtsantritt, Reiter wäre damit zu alt. Dann plötzlich kündigte Reiter an, dass er doch noch mal kandidieren wolle. Und nun, nicht ganz ein Jahr später, hat die bayerische Regierung beschlossen, die Altersgrenze aufzuheben. Dass der Landtag zustimmt, gilt als sicher. Was heißt das für Habenschaden? Will sie überhaupt noch einmal den Wahlkampf von 2020 wiederholen?
In diesem Jahr wolle sie mit ihrer Familie und der Partei sprechen und dann entscheiden, sagt Habenschaden. Münchner Oberbürgermeisterin zu sein, sei ein "Traumjob". Habenschaden klingt nicht so, als hätten ihr Mann und ihre beiden Kinder im Teenager-Alter etwas dagegen. Und in ihrer Partei gilt sie als unangefochten. Es gibt bisher sonst niemanden, der Ambitionen zeigt.
"Ich hätte ihr große Chancen zugetraut, Oberbürgermeisterin zu werden”, sagt Sylvia Hladky. Sie engagiert sich für ein verkehrsberuhigtes Westend und sitzt im Klimarat, ein Gremium, das Entscheidungen der Stadt zum Klimaschutz kritisch begleitet. "Aber jetzt, wo Dieter Reiter wohl wieder antritt, hat sie wahrscheinlich keine Chancen." Hladky findet das schade.
Sie nennt Reiter einen netten Menschen, bei dem sie aber nicht erkennen könne, für welches Thema er wirklich brennt. Bei Katrin Habenschaden sei das anders, glaubt die Aktivistin. In Barcelona und in Paris drängen schließlich auch zwei Bürgermeisterinnen Autos aus den Innenstädten.
Und München? Ist die Stadt mit der grünen Mehrheit grüner geworden? "Angesichts der Krisen - von Corona bis zum Ukraine-Krieg - können wir sehr zufrieden sein, was wir alles auf den Weg gebracht haben”, sagt Katrin Habenschaden. Sie ist eine, für die das Glas immer halb voll ist: Habenschaden lobt, dass in München doppelt so viel Photovoltaik auf die Dächer kommt wie vor der Legislatur. Während andere darauf hinweisen, dass das Doppelte von sehr wenig immer noch wenig ist. Alle Münchner Solaranlagen decken gerade mal 1,5 Prozent des Strombedarfs. Auf keinem einzigen Parkplatz wurde ein Baum gepflanzt und keiner der 40 Radwege, die der Stadtrat eigentlich bauen wollte, ist fertig.
Unfair würde Hermann Hofstetter diese Analyse wohl nennen. Er ist für das Umweltmanagement in der Erzdiözese München zuständig und sitzt auch im Klimarat. Er beschreibt Katrin Habenschaden als fleißig und ehrlich bemüht, die Stadt zu verbessern: "Aber von heute auf morgen können die Hebel nicht umgestellt werden." Es müssten schließlich erst Prozesse geschaffen werden. "Der Eindruck, dass da nichts passiert, täuscht. Es wurden gewaltige Dinge aufgestellt", meint er. Auch die Grünen-Vorsitzende Svenja Jarchow betont, dass München die ambitioniertesten Klimaziele aller deutschen Großstädte habe: Bis 2035 will München klimaneutral werden, in Berlin ist ein Volksentscheid für mehr Klimaschutz gerade gescheitert. Schon eineinhalb Jahre bevor der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck mit der Idee aufkam, neue Öl- und Gasheizungen zu verbieten, nahm sich München vor, solche Heizungen in Neubaugebieten nicht mehr zu erlauben.
Doch nun steckt offenbar auch dieser Beschluss - so wie die über 40 Pläne zu neuen Radwegen - irgendwo im Rathaus fest. Auch Grüne sind über das Tempo frustriert - und viele Aktivisten sind es erst recht.
"Sie ist eben relativ konservativ für eine Grüne"
Über die Frage, ob sie Katrin Habenschaden wählen würde, muss eine Aktivistin von "Fridays for Future" erst einmal kurz nachdenken. Dann antwortet sie: "Jaa. Ich denke schon." Enthusiasmus klingt anders. "Es hängt davon ab, wie ambitioniert sie noch wird. Sie ist eben relativ konservativ für eine Grüne.”
Die Aktivistin findet: Habenschaden hätte sich mehr gegen den Tunnel, den die Stadt im Hasenbergl bauen will, wehren sollen. Er soll die Neubaugebiete im Norden, aber auch die Fabrik von BMW besser an die Autobahn anbinden. Die Grünen stimmten gegen die Planungen, allerdings duldeten sie, dass sich ihr Koalitionspartner, die SPD, für diese Abstimmung mit der CSU zusammentut.
Die Klimaaktivistin hätte sich mehr Konfrontation von Habenschaden gewünscht. Und sie sagt: "Es fällt auf, dass von ihr manche Dinge größer gemacht werden, als sie wirklich sind.” Sie denkt da an die paar Meter grünen, breiten Radweg beim Lenbachplatz, die Habenschaden im Herbst eingeweiht hat.
Dass Habenschaden eine ist, die sich gut inszenieren kann, hört man häufiger, wenn man sich im Rathaus umhört. Sie lädt lieber zur Pressekonferenz auf die Dachterrasse von Kustermann, weil das Haushaltswarengeschäft wegen des Denkmalschutzes keine Solaranlage aufstellen darf.
Anstatt laut zu kritisieren, dass die städtischen Wohnungsbaugesellschaften zwischen 2020 und 2022 gerade mal zwei Dächer mit Photovoltaik ausgestattet haben. Habenschaden sei eine, die jedem alles verspricht und nichts hält, schimpfen manche auch.
"Ach", meint Sylvia Hladky da bloß. "Da darf man nicht zu streng sein. Sie ist eben eine Politikerin, auf die viele mit persönlichen Wünschen zukommen." Und als solche habe sie die bequemste Politiker-Standard-Antwort gelernt. "Ich nehm's mal mit, heißt: Ich geb's der Verwaltung weiter. Und die findet dann vielleicht 1000 Gründe, warum Dinge nicht gehen." Hladky klingt ziemlich desillusioniert. Und trotzdem betont sie, dass ihr Habenschaden lieber wäre als Dieter Reiter.
Auch wenn Habenschaden für Bosse von BMW bequemer ist, als für jene, die für das Klima auf die Straße gehen. Habenschaden hat früher bei der Stadtsparkasse gearbeitet, sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern am Stadtrand in Aubing, sie geht gern in die Berge, sie braucht sogar ein Auto. Wie die "Bild"-Zeitung enthüllte, fährt Habenschaden mit ihrem Dienstwagen mehr als 16 000 Kilometer im Jahr, doppelt so viel wie Dieter Reiter - aber sie wohnt eben auch viel weiter vom Rathaus weg. Ernsthaft hat sich darüber außer der "Bild" aber auch keiner aufgeregt.
"Ein schönerer Max-Joseph-Platz ist ihr Verdienst"
Trotzdem bekommt der Nimbus, dass an Habenschaden alles abperlt wie Wasser von frisch imprägnierten Wanderschuhen, Risse. Im Herbst musste sie das Dieselverbot alleine verkünden - und als es ein halbes Jahr später in Kraft trat, war immer noch nicht klar, für wen es alles Ausnahmen geben sollte.
Und auch die Suche nach einem Investor für den Gasteig an der Rosenheimer Straße scheiterte. Weil die Baukosten mit dem Krieg explodierten, fand sich keiner, der den Kulturbau für 450 Millionen Euro sanieren wollte. Die Stadt will bis Herbst überlegen, wie es weiter geht. Klar ist schon jetzt: Es wird teurer. Habenschaden hat sich das Investoren-Modell nicht selbst ausgedacht. Allerdings wollte die SPD eher eine kleiner Lösung. Und Habenschaden ist als Chefin des Aufsichtsrats verantwortlich.
Möglichst bald soll im Gasteig eine kulturelle Zwischennutzung einziehen. Dass einer der größten Kulturbauten Europas mitten in der Stadt nicht über Jahre hinweg leer steht, sei Habenschadens Verdienst, meinen viele.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Mona Fuchs ist überzeugt: Dass der Max-Joseph-Platz vor der Oper nun grüner und schöner werden soll (s. S. 5) , liegt auch an Katrin Habenschaden. Sie veröffentlichte vor Weihnachten ein Bild des Platzes voller Stauden und Pflanzen auf ihrem Instagram-Kanal. Bloß eine Visualisierung, entstanden am PC, klar. Aber vielleicht setzte das eine Idee in Gang: dass Dinge besser werden können als sie heute sind - zumindest ein bisschen.