Bayern
Hitler als Denkmalpfleger
8. Januar 2023, 14:39 Uhr aktualisiert am 8. Januar 2023, 14:39 Uhr
Die farbige Fotografie aus dem Frühjahr 1944 ist einzigartig. Sie zeigt die durch Bomben beschädigte neugotische Doppelturmfassade der Klosterkirche St. Anna im Lehel nach einem Luftangriff. Neugotische Doppelfassade? An der ältesten Rokoko-Kirch Altbayerns?
Ja, das stimmt tatsächlich. Um die Kirche in die großbürgerliche Bebauung des Lehels einzubinden, war die doppeltürmige Fassade vor dem Rokoko-Juwel 1852/53 errichtet - und nach dem Krieg, obwohl leidlich stehengeblieben, komplett abgetragen worden.
Doch zurück zum Farbfoto. Denn dieses offenbart eine ganz besondere Geschichte: Wie ein Führerbefehl von 1943 letztlich dem Denkmalschutz und Wiederaufbau nach dem Krieg in Deutschland zugutekam - vorzüglich nachgezeichnet von Stephan Klingen für die App "Munich Art to go".
Dieses Bild ist nämlich das letzte aus einer Serie mit Farbaufnahmen, die die Fotografin Eva Bollert von der Klosterkirche im Frühjahr 1944 aufgenommen hatte. Die Anfertigung dieser Aufnahmen geschah im Auftrag und auf Kosten des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, das damit einen "Führerauftrag", also einen direkten Befehl Adolf Hitlers, umsetzte.
Der Führerauftrag Monumentalmalerei erging im Frühjahr 1943, als nach der Niederlage bei Stalingrad immer mehr deutsche Städte zum Ziel für Luftangriffe der Alliierten wurden. Mit Hilfe des für die Olympischen Spiele in Berlin neu entwickelten Farbdiafilms der Firma Agfa sollten - so wörtlich - "im Hinblick auf die durch die feindlichen Luftangriffe hervorgerufenen Zerstörungen, von sämtlichen wertvollen Deckengemälden, in alten Kirchen usw. Farbfotos angefertigt werden. Bisher sind durch Bombenangriffe schon viele unersetzliche Gemälde verlorengegangen, die nur schwer restauriert werden können, da von ihnen lediglich Schwarz-Weiß-Aufnahmen existieren".
Beteiligt war an diesem Großauftrag, der in der zweiten Jahreshälfte 1943 ins Rollen kam, fast die gesamte fotografische Elite des Deutschen Reichs. Die Fotografen wurden nicht nur außerordentlich gut vom Propagandaministerium bezahlt, ein Engagement für den "Führerauftrag" war darüber hinaus auch verbunden mit einer "Unabkömmlichkeitsstellung" vom Kriegsdienst oder einem Einsatz in der Rüstungsindustrie.
Die fotografischen Arbeiten fanden nachts statt, ausgeleuchtet wurde mit starken Filmscheinwerfern. Unter diesen schwierigen Bedingungen fertigte Eva Bollert von den Fresken im Innenraum der Klosterkirche mehr als sechzig farbige Diapositive an. Die Folge der Fresken Cosmas Damian Asams setzte ein mit dem "Tod der Heiligen Anna" über dem Eingang, gefolgt vom großen zentralen Deckenbild mit der "Aufnahme der Heiligen Anna in den Himmel" und schloss mit der Darstellung der "Tugenden der Heiligen Anna" über dem Hauptaltar.
Die belichteten Diafilme mussten zur Entwicklung an die Firma Agfa gesendet werden und wurden anschließend - von den Fotografen gerahmt und beschriftet - an das Propagandaministerium in Berlin zur Abnahme gesendet.
Die Serie der Aufnahmen Eva Bollerts war wohl gerade noch rechtzeitig fertig geworden als, wie sie selber in der Rückschau berichtet, "das Kirchlein im April 1944 durch einen Luftangriff fast völlig zerstört wurde".
Heute befindet sich der größte Bestand an Aufnahmen des Führerauftrags "Monumentmalerei" im Depot des Zentralinstituts für Kunstgeschichte, wohin sie nach einigen Irrwegen in den 50er Jahren als Teil einer Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland gelangten.
Wenn man heute die Kirche durch den Eingang der rekonstruierten Rokokofassade betritt, bietet sich dem Auge ein harmonisches und stimmiges Raumensemble. Allerdings beruht dieser Eindruck weitgehend auf einer Rekonstruktion - immerhin auf der Grundlage von historischen Fotografien. Durchgesetzt durch bürgerschaftliches Engagement - gegen den erklärten Willen der Denkmalschützer - und mit Hilfe einer kollektiv organisierten Finanzierung durch den Franziskaner-Orden.
Dieser hatte nämlich das Deckenfresko in Parzellen geteilt - und diese dann an Spender sprichwörtlich "verkauft". Ein Verfahren, das übrigens auch Jahrzehnte später im Alten Peter zur Anwendung kam: Angeregt von Stadtpfarrer Herbert Kuglstatter wurde die Spenden-Aktion reaktiviert - und der Himmel auch hier verkauft. Mit Erfolg. Im Jahr 2000 konnte Freskant Hermenegild Peiker das große Deckenfresko im Langhaus vollenden.
In einer neuen AZ-Serie stellen wir einige dieser kunst- und kulturhistorischen Stadtrundgänge vor - hier etwa zur Klosterkirche St. Anna. Im Internet: municharttogo.zikg.eu/ oder im App-Store: MunichArtToGo