Prozess

Hundehalterin verneint Verantwortung für verletztes Kind

Fröhlich hüpft der Sechsjährige in den Gerichtssaal. Unter seinen dunklen Haaren versteckt sich ein Ohr, dem der obere Teil fehlt. Verantwortlich dafür soll eine Hundehalterin sein, die ihr Tier wieder einmal nicht im Griff hatte. Aber diese verneint das vehement.


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Eine Statue der Justitia hält eine Waage und ein Schwert in der Hand.

Hat ein bereits für Attacken auf Kinder bekannter Dalmatiner einem Sechsjährigen in München einen Teil des Ohres abgebissen? Die angeklagte Hundehalterin hat am Donnerstag vor dem dortigen Amtsgericht vehement darauf beharrt, dass ihr Tier den damals Vierjährigen nicht verletzt habe. Der Hund habe ihn im September 2021 zwar angesprungen - "aber er hat das Kind nicht berührt". Die Verletzung müsse vorher geschehen sein, etwa als der Bub vom Fahrrad fiel. Für die Chirurgin geht es um viel: In dem der Anklage zugrundeliegenden Strafbefehl war eine Freiheitsstrafe auf Bewährung vorgesehen. Und die Richterin machte eindringlich klar, dass die Strafe bei einer etwaigen Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung höher ausfallen würde.

"Dalmi" hatte schon zuvor Kinder angegriffen. So wurde die Halterin nur wenige Wochen vor dem Vorfall wegen fahrlässiger Körperverletzung von zwei Kindern rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt. Außerdem hatte sie zu diesem Zeitpunkt bereits die Auflage, ihren Hund nur im nüchternen Zustand auszuführen. Doch ein Atemalkoholtest bei der Hundehalterin ergab an dem Abend rund zwei Promille. "War nicht so eine glorreiche Idee", kommentierte die Richterin trocken.

Laut Anklage hatte die Mutter des Kindes gerade ihren ohne größere Folgen vom Rad gestürzten kleinen Sohn fertig getröstet, als der an einer Leine geführte Rüde den damals Vierjährigen ansprang und ihm durch die Kapuze seines Pullis die obere Hälfte des rechten Ohres abbiss. Die Hundehalterin behaarte hingegen darauf, dass die Verletzung auf andere Weise entstanden sein müsse. Den hohen Alkoholwert erklärte sie durch wiederholtes Händedesinfizieren.

Die Richterin begann daraufhin mit einer umfangreichen Beweisaufnahme. Fröhlich und aufgeräumt folgte auch der heute Sechsjährige der Richterin zur Befragung, die ohne Öffentlichkeit stattfand. Wegen seiner längeren Haare werde er wegen des betroffenen Ohres zwar nicht gehänselt, schilderte im Anschluss seine Mutter als Zeugin. "Er sagt nicht, dass er hässlich ist. Aber er möchte nicht, dass das jemand sieht." Mindestens vier Operationen seien nötig, um das Ohr eines Tages eventuell zu rekonstruieren.

Wie viele Kinder oder Erwachsene in Deutschland jedes Jahr von einem Hund gebissen werden, weiß niemand. Es gibt keine zentrale Statistik, und vielerorts wie etwa in Bayern werden die Angriffe überhaupt nicht offiziell erfasst. Noch dazu kommt ein großes Dunkelfeld, weil rund drei Viertel aller Attacken auf Kinder im familiären Umfeld geschehen - und entsprechend gar nicht erst angezeigt werden.

Dennoch lassen sich die Dimensionen erahnen: Das Statistische Bundesamt weist für Deutschland nach den jüngsten Daten für 2020 und 2021 sechs beziehungsweise fünf Todesfälle durch Gebissen- oder Gestoßenwerden durch einen Hund aus. Und allein Berlin zählt in der Hundebiss-Statistik für das Jahr 2021 knapp 460 Leicht- und 70 Schwerverletzte. In Deutschland leben rund neun Millionen Hunde.

"Kinder sind häufig die Opfer, die am schlimmsten verletzt sind, weil das Kindergesicht auf Höhe des Hundekopfes ist", erläutert die auf Verhaltenstherapie von Hunden spezialisierte Tierärztin Constanze Pape von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Und auch sonst gelte: "Hunde und Kinder passen nicht gut zusammen." Hohe, quietschende Laute, schnelle Bewegungen, ungewohnte Reaktionen - "Kinder machen viele Dinge und Geräusche, die den Hund zum Beispiel animieren, hinterherzurennen, zu zwicken und zu beißen, und er meint das gar nicht böse."

Und zwar unabhängig von der Rasse: "Jeder Hund kann beißen", betont Pape. In einigen Bundesländern in Deutschland besteht daher eine generelle Leinenpflicht für Hunde, in anderen für bestimmte Rassen oder für bestimmte Orte wie Kinderspielplätze oder Volksfeste.

Etwa ein Drittel der Besitzer sichert sich nach Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft mit einer Hundehaftpflichtversicherung ab, obwohl das nur in sechs Bundesländern Pflicht ist. Pro Jahr übernehmen die Versicherungen mehr als 80.000 Schädensfälle, die von den Hunden verursacht wurden. Jeder Fall kostet im Schnitt rund 1000 Euro. "Allerdings gibt es pro Jahr etwa 100 Unfälle, die 50.000 Euro und mehr kosten", erläuterte ein Sprecher. Im Fall des verletzten Kindes in München fordern die Eltern 10.000 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz. Wann das Urteil fällt, war zunächst offen.