Tiere

Ohr halb ab: Hundehalterin akzeptiert Strafe für Kind

Fröhlich hüpft der Sechsjährige in den Gerichtssaal. Unter seinen dunklen Haaren versteckt sich ein Ohr, dem der obere Teil fehlt - es wurde abgebissen. Nach einem zähen Verhandlungstag akzeptiert die Hundehalterin ihre Verantwortung.


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Eine angeklagte Frau hält im Landgericht eine Maulschlaufe von ihrem Hund in den Händen.

Es bedurfte vieler Zeugen, einer unmissverständlichen Gutachterin und des eindringlichen Zuredens von Staatsanwalt und Richterin, bis eine Münchnerin am Donnerstag die Strafe für eine Attacke ihres Hundes auf ein Kind akzeptiert hat. Der Hund hatte einem damals Vierjährigen die Hälfte eines Ohres abgebissen. Nach einer umfangreichen und konfrontativen Beweisaufnahme zog die 58-Jährige vor dem Amtsgericht München ihren Einspruch gegen den Strafbefehl zurück, der dem Verfahren zugrundelag. Damit ist nun eine Bewährungsstrafe von acht Monaten rechtskräftig.

Diese Freiheitsstrafe ist für zweieinhalb Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem muss die Chirurgin dem Kind 10.000 Euro Schadenswiedergutmachung plus 5000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen. Der Hund hatte im Beisein der Frau bereits mehrfach Kinder angegriffen und zum Teil auch schwer verletzt. Inzwischen darf sie "Dalmi" nicht mehr halten.

Dass ihr Liebling auch dem heute Sechsjährigen schweren Schaden zugefügt hat, wollte die Frau vor Gericht zunächst partout nicht einsehen. Unterstützt von ihrem Verteidiger beharrte sie vehement darauf, dass der Hund das Kind im September 2021 zwar angesprungen habe - "aber er hat das Kind nicht berührt". Die Verletzung müsse vorher geschehen sein, etwa als der Bub vom Fahrrad fiel.

Dabei war die Halterin nur wenige Wochen vor diesem Vorfall wegen fahrlässiger Körperverletzung von zwei Kindern rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Außerdem hatte sie zum Zeitpunkt des Angriffs bereits die Auflage, ihren Hund nur mit einem speziellen Kopfhalfter und nur im nüchternen Zustand auszuführen. Doch ein Atemalkoholtest bei der Hundehalterin ergab an dem Abend rund zwei Promille. "War nicht so eine glorreiche Idee", kommentierte die Richterin trocken.

Laut Anklage hatte die Mutter des Kindes gerade ihren ohne größere Folgen vom Rad gestürzten kleinen Sohn fertig getröstet, als der an einer Leine geführte Rüde den damals Vierjährigen ansprang und ihm durch die Kapuze seines Pullis die obere Hälfte des rechten Ohres abbiss. Die Hundehalterin beharrte hingegen auf ihrer Version. Den hohen Alkoholwert erklärte sie durch wiederholtes Händedesinfizieren.

Die Richterin begann daraufhin mit einer umfangreichen Beweisaufnahme. Fröhlich und aufgeräumt folgte auch der heute Sechsjährige der Richterin zur Befragung, die ohne Öffentlichkeit stattfand. Wegen seiner längeren Haare werde er wegen des betroffenen Ohres zwar nicht gehänselt, schilderte im Anschluss seine Mutter als Zeugin. "Er sagt nicht, dass er hässlich ist. Aber er möchte nicht, dass das jemand sieht." Vier Operationen seien nötig, um das Ohr eines Tages eventuell zu rekonstruieren.

Die Direktorin der Klinik für Kinderchirurgie der Berliner Charité, Karin Rothe, legte sich als Sachverständige zum Ende des vollen Verhandlungstages in einer aufgeheizten Stimmung fest: "Die Verletzung, so wie sie auch dokumentiert ist, und da gehe ich auch keinen Schritt zurück, stammt eindeutig von einer Hundebissverletzung." Nach dieser Aussage und der Erinnerung der Richterin, dass ein etwaiges Urteil wegen des mangelnden Geständnisses und der Vernehmung des Buben härter ausfallen würde als der Strafbefehl, knickte die Angeklagte dann ein.

Wie viele Kinder oder Erwachsene in Deutschland jedes Jahr von einem Hund gebissen werden, weiß niemand. Es gibt keine zentrale Statistik, und vielerorts wie etwa in Bayern werden die Angriffe überhaupt nicht offiziell erfasst. Dazu kommt ein großes Dunkelfeld, weil rund Dreiviertel aller Attacken auf Kinder im familiären Umfeld geschehen - und entsprechend gar nicht erst angezeigt werden.

Dennoch lassen sich die Dimensionen erahnen: Das Statistische Bundesamt weist für Deutschland nach den jüngsten Daten für 2020 und 2021 sechs beziehungsweise fünf Todesfälle durch Gebissen- oder Gestoßenwerden durch einen Hund aus. Und allein Berlin zählt in der Hundebiss-Statistik für das Jahr 2021 knapp 460 Leicht- und 70 Schwerverletzte. In Deutschland leben rund neun Millionen Hunde.

"Kinder sind häufig die Opfer, die am schlimmsten verletzt sind, weil das Kindergesicht auf Höhe des Hundekopfes ist", erläutert die auf Verhaltenstherapie von Hunden spezialisierte Tierärztin Constanze Pape von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Und auch sonst gelte: "Hunde und Kinder passen nicht gut zusammen." Hohe, quietschende Laute, schnelle Bewegungen, ungewohnte Reaktionen - "Kinder machen viele Dinge und Geräusche, die den Hund zum Beispiel animieren, hinterherzurennen, zu zwicken und zu beißen, und er meint das gar nicht böse."

Und zwar unabhängig von der Rasse: "Jeder Hund kann beißen", betont Pape. In einigen Bundesländern in Deutschland besteht daher eine generelle Leinenpflicht für Hunde, in anderen für bestimmte Rassen oder für bestimmte Orte wie Kinderspielplätze oder Volksfeste.

Etwa ein Drittel der Besitzer sichert sich nach Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft mit einer Hundehaftpflichtversicherung ab, obwohl das nur in sechs Bundesländern Pflicht ist. Pro Jahr übernehmen die Versicherungen mehr als 80 000 Schädensfälle, die von den Hunden verursacht wurden. Jeder Fall kostet im Schnitt rund 1000 Euro. "Allerdings gibt es pro Jahr etwa 100 Unfälle, die 50 000 Euro und mehr kosten", erläuterte ein Sprecher.