Anstieg der Fehltage

Krankmeldungen: Macht die Dauerkrise krank?

Die Krankenkasse DAK hat die Krankmeldungen in Bayern der vergangenen Monate analysiert und stellt die Ergebnisse vor. Ein Anstieg der Fehltage befeuert derweil die Diskussion um telefonische Krankschreibungen.


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Für ein warmes drittes Quartal gab es nach Daten der Krankenkasse DAK in diesem Jahr ungewöhnlich viele Atemwegserkrankungen.

Die Arbeitnehmer in Bayern sind zwar gesünder als ihre Kollegen im Rest der Bundesrepublik, aber auch sie kränkeln immer öfter. Das ist der jüngsten Analyse der Krankenkasse DAK Gesundheit zu entnehmen. In Bayern stieg die Zahl der Krankmeldungen in den vergangenen Sommermonaten um 9,9 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Die Zahlen befeuern die Debatte ums Blaumachen und die telefonische Krankschreibung.

Die Fakten: Von Juli bis September registrierte die drittgrößte Krankenkasse Bayern mit 753.000 Versicherten einen Krankenstand von 4,4 Prozent. Das bedeutet, dass an jedem Tag im dritten Quartal im Durchschnitt 44 von 1.000 Arbeitnehmern im Freistaat krankgeschrieben waren. Im Bundesdurchschnitt lag der Krankenstand mit 5,0 Prozent noch höher.

Die meisten Fehltage wurden psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen zugeschrieben (78 Fehltage je 100 Versicherte). Fast ebenso viele Fehltage wurden mit Muskel-Skelett-Erkrankungen wie Rückenproblemen (76 pro 100 Versicherte) begründet. Verwundert zeigte sich die DAK über die hohe Zahl von Krankmeldungen aufgrund von Atemwegserkrankungen (54 Fehltage je 100 Versicherte). Für ein Sommerquartal mit vielen warmen Tagen sei dies "eher ungewöhnlich".

"Der hohe Krankenstand in Deutschland ist ein Problem"

Einen Lichtblick gab es für die bayerischen Arbeitgeber, welche die Krankmeldungen betrieblich und finanziell aufzufangen haben. Die durchschnittliche Dauer eines Falles ging auf 10,1 Tage zurück (Vorjahresquartal: 11,1 Tage), sodass der gesamte Arbeitsausfall von Juli bis September in etwa dem des Vorjahresquartals entsprach.

Wie ein Teil der Unternehmerschaft die Entwicklung bewertet, demonstrierte das Management des Tesla-Werks in Grünheide in Brandenburg: Wer sich bei Elon Musks deutschem Betrieb krankmeldet, muss mit einem Hausbesuch rechnen. "Der hohe Krankenstand in Deutschland ist ein Problem für die Unternehmen", wurde Mercedes-Chef Ola Källenius zitiert. Und Allianz-Vorstandschef Oliver Bäte machte im "Handelsblatt" die kränkelnden Arbeitnehmer für die Rezession in Deutschland verantwortlich: "Ohne den enorm hohen Krankenstand wäre die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr nicht um 0,3 Prozent geschrumpft, sondern um knapp 0,5 Prozent gewachsen". Wobei offen blieb, was Bäte als "normalen" Krankenstand betrachtet.

Am meisten zu schaffen macht die Psyche

Am meisten macht den Arbeitnehmern in Deutschland ihre Psyche zu schaffen. 2023 zählte das Barmer-Institut für Gesundheitsforschung 409.000 depressive Menschen im Alter von fünf bis 24 Jahren – 30 Prozent mehr als 2018. Trotz Ende der Corona-Pandemie ist die Zahl nicht etwa zurückgegangen, sondern weiter gestiegen.

Es komme nicht von ungefähr, dass gerade in Branchen mit hohem Fachkräftebedarf und entsprechend hohen Arbeitsbelastungen wie etwa bei den Pflegeberufen mit die höchsten Krankenstände zu verzeichnet seien, sagt Herbert Hartinger, Sprecher des DGB Bayern. Wer die hohen Krankenstände auf die telefonische Krankschreibung schiebe, mache es sich viel zu einfach. "Die Arbeitgeber täten gut daran, ihren Beschäftigten in dieser Frage stärker zu vertrauen", so der DGB-Sprecher: "Statt Krankmeldungen, ganz gleich welcher Art, anzuzweifeln, sollten Arbeitgeber lieber ein Umfeld schaffen, in dem die Gesundheit der Beschäftigten höchste Priorität hat."

Seit der Corona-Pandemie gingen die Beschäftigten anders mit dem Thema Krankheit um, meint die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW): "Sie gehen schneller zum Arzt als früher und nutzen verstärkt die telefonische Krankschreibung", sagt Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Dabei könne der Fachkräftemangel "zusätzlich eine Rolle spielen". Ein weiterer Grund sei das neue elektronische Meldeverfahren. Dadurch seien jetzt 100 Prozent aller Krankschreibungen in der Statistik enthalten, was früher nicht der Fall war. Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit, wies ebenfalls auf eine "gewisse Untererfassung" beim Krankenstand vor Einführung des elektronischen Meldeverfahrens: "Durch die elektronische Krankmeldung haben wir eine wesentlich geringere Dunkelziffer und einen noch schärferen Blick auf den wirklichen Krankenstand."

Bundesfinanzminister will telefonische Krankschreibung abschaffen

Einen Grund für den hohen Krankenstand sehen die Arbeitgeber darin, dass es die telefonische Krankschreibung zu leicht mache, dem Arbeitsplatz fernzubleiben. VBW-Hauptgeschäftsführer Brossardt unterstützt den Vorschlag von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), die telefonische Krankschreibung wieder abzuschaffen. Diese Möglichkeit sei zu Corona-Zeiten aus Gründen des Infektionsschutzes richtig und wichtig gewesen. Dass diese Sonderregelung danach verstetigt wurde, sei allerdings nicht nachvollziehbar, so Brossardt: "Zur Vermeidung von Missbrauch ist nach unserer Auffassung eine ordnungsgemäß festgestellte Arbeitsunfähigkeit auf Grundlage einer persönlichen ärztlichen Untersuchung unabdingbar."

Damit stoßen die Arbeitgeber vor allem bei den Ärzteverbänden auf massiven Widerstand. Es bedeute einen hohen Mehraufwand, wenn jeder in die Praxis kommen müsse, der eine banale Erkältung habe und seine Kollegen nicht anstecken wolle, so der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt. Die Beschäftigten nähmen mehr Rücksicht auf ihre Arbeitskollegen und blieben bei Krankheitssymptomen oft schon prophylaktisch zu Hause, häufig auch auf Bitten des Arbeitgebers, um die Belegschaft nicht zu gefährden, räumt Arbeitgebervertreter Brossardt ein. Die telefonische Krankmeldung wollen die Arbeitgeber gleichwohl wieder kippen.

DGB: "Präsentismus das viel größere Problem"

In der Debatte um den Krankenstand sieht der DGB das "viel größere Problem" darin, dass sich viele Beschäftigte sich eben nicht krankmelden, sondern oft auch krank zur Arbeit gehen. Bei einer Beschäftigtenbefragung des DGB gaben im vergangenen Jahr 61 Prozent der Befragten an, trotz Krankheit gearbeitet zu haben. 43 Prozent sind sogar eine Woche und mehr krank zur Arbeit gegangen. "Dieser 'Präsentismus' ist gesundheitlich, betrieblich und gesellschaftlich höchst schädlich", so DGB-Sprecher Hartinger.

Die DAK glaubt nicht an eine Inflation des Blaumachens: Die Anforderungen in der Arbeitswelt mit Digitalisierung und zunehmender Flexibilisierung nähmen zu, während der Personalmangel in vielen Branchen die Situation zuspitze. Wenn weniger Menschen mehr Arbeit verrichten müssten, steige die Gefahr von Überforderung und Stress. "Wir gehen davon aus, dass die neuen strukturellen Bedingungen in der Arbeitswelt den Anstieg psychischer Erkrankungen begünstigen", teilte die DAK mit. Meist entstünden psychische Erkrankungen unter Wechselwirkung privater und beruflicher Faktoren.

Professor Volker Nürnberg, ein Experte für betriebliches Gesundheitsmanagement, mit dem die DAK zusammenarbeitet, formuliert es so: "Wir sehen weiterhin den Zusammenhang zwischen Personalmangel und Krankenstand. Dieser Teufelskreis bekommt durch gravierende Veränderungen in der Arbeitswelt eine zusätzliche Dynamik." Neue strukturelle Bedingungen in der Arbeitswelt begünstigten den Anstieg bei psychischen Erkrankungen. "Schnellschüsse wie die Forderung nach einer Abschaffung der telefonischen Krankschreibung oder eine Blaumacher-Debatte helfen den Betroffenen und den Betrieben nicht weiter", mahnte Rainer Blasutto, Landeschef der DAK-Gesundheit in Bayern.