Interview zum Weltvegetariertag
"Fleischlose Ernährung ist nicht automatisch gesünder"
1. Oktober 2019, 11:53 Uhr aktualisiert am 1. Oktober 2019, 18:23 Uhr
Rotes Fleisch steht seit vielen Jahren im Verdacht, gesundheitsschädlich zu sein. Umso überraschter fielen Anfang dieser Woche die Reaktionen auf eine internationale Studie aus, über die etwa die New York Times berichtete. Demnach lässt sich kein direkter Zusammenhang zwischen dem Verzehr von rotem Fleisch und Auswirkungen auf die Gesundheit feststellen. Ist Fleischessen also völlig unbedenklich? Anlässlich des heutigen Weltvegetariertages haben wir bei Prof Dr. Hans Hauner vom Wissenschaftszentrum Weihenstephan nachgefragt. Er ist dort Professor für Ernährungsmedizin und überzeugt, dass eine komplett fleischlose Ernährung nicht zwangsläufig auch gesünder ist.
Professor Hauner, vegetarische Ernährung genießt einen guten Ruf, gilt gemeinhin als besonders gesund. Zu Recht?
Prof. Dr. Hauner: Es ist zutreffend, dass eine fleischlose Ernährung gesünder ist als die "durchschnittliche" Ernährung heutzutage. Das liegt aber auch einfach daran, dass wir heute deutlich zu viel Fleisch essen. Statistisch gesehen isst jeder Deutsche - vom Säugling bis zum älteren Menschen - 60 Kilo Fleisch pro Jahr. Das ist zu viel und auch gesundheitsgefährdend. Deswegen plädieren wir schon länger für einen geringeren, vernünftigen Fleischkonsum. Die DGE [Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Anm. der Red.] sagt dazu, 300 bis 600 Gramm Fleisch und Wurst pro Woche reichen völlig aus. Aber wir essen im Durchschnitt mehr als doppelt so viel. Was die vegetarische Ernährung angeht, gibt es aber auch Studien, wonach wir in etwa auf die gleiche Gesundheit kommen, wenn man kleine Fleischmengen bei insgesamt gesunder Ernährung konsumiert. Das ist ungefähr vergleichbar. Vegetarisch ist also nicht unbedingt besser als vernünftige kleinere Fleischmengen.
Wie sieht es mit Veganern aus, die komplett auf tierische Produkte verzichten?
Prof. Dr. Hauner: Hier sieht es etwas anders aus, denn die vegane Ernährung ist rein pflanzlich, hier fehlen zum Beispiel auch Eier und Milchprodukte. Hier wird es teilweise knapp mit einigen wichtigen Nährstoffen - vor allem Vitamin B12. Das ist normalerweise nur in Fleisch enthalten. Der Mensch braucht es aber für die Blutbildung und sein Nervensystem. Wer sich vegan ernährt, muss also unbedingt dieses Vitamin supplementieren, etwa durch Tabletten. Es gibt aber auch noch andere etwas kritische Nährstoffe, zum Beispiel bestimmte B-Vitamine oder Zink und Eisen. Auch die Qualität des Eiweiß ist bei einer rein veganen Ernährung nicht so leicht sicherzustellen. Deswegen ist es wichtig für Veganer, dass sie unterschiedliche Eiweißsorten mischen - etwa aus Soja, Hülsenfrüchten oder Getreide. Sie müssen sich also sehr bewusst ernähren. Problematisch ist hier in meinen Augen, dass vegane Ernährung mittlerweile "modern" geworden ist. Es gibt immer mehr fleischlose Ersatzprodukte, die für Veganer entwickelt werden, etwa für Käse oder Wurst. Das halte ich eher für fragwürdig. Bei der Herstellung solcher Ersatzprodukte werden viele Zusatzstoffe verwendet, sie sind oft relativ fettreich, quasi veganes "Fast Food". Diese Produkte würden wir also nicht unbedingt empfehlen.
Ist eine vegane oder vegetarische Ernährung denn für jeden geeignet? Oder gibt es hier Risikogruppen?
Prof. Dr. Hauner: Durchaus. Bei Säuglingen oder auch älteren Menschen sollte man vorsichtig sein, hier ist eine streng vegane Kost nicht so günstig. Auch in der Schwangerschaft empfehlen wir keine rein vegane Kost, weil einfach zu viele Mikronährstoffe nicht optimal enthalten sind. Es gab zuletzt wieder etwas mehr Berichte über Säuglinge oder Kleinkinder mit Entwicklungsstörungen, körperlicher und geistiger Art, die wahrscheinlich auf Vitamin-B12-Mangel zurückzuführen sind. Vitamin B12 ist gerade in der Schwangerschaft und im Säuglingsalter sehr wichtig für die neurologische Entwicklung der Kinder. Hier kann es wirklich sein, dass es zu Entwicklungsstörungen oder sogar bleibenden Schäden kommt. Teilweise mussten Kinder auch schon ihren Eltern weggenommen werden, die sie einseitig vegan ernährten. Säuglinge brauchen Vitamin B12 und deshalb ist es wichtig, dass Eltern darauf achten. Das kann auch schon in der Schwangerschaft selbst ein Problem sein, wenn sich die Mutter vegan ernährt. Deswegen empfehlen wir Schwangeren, die sich vegan ernähren, dringend, dass sie Vitamin B12 supplementieren. Es ist aber durchaus möglich, sich gesund und vegan zu ernähren - wenn man es bewusst tut und einige Dinge beachtet. Wenn man hier als Verbraucher unsicher ist, sollte man keine Scheu haben und sich beraten lassen - und nicht unbedingt auf Internetforen hören, bei denen oft finanzielle Interessen dahinterstehen.