Heiligenschein der Sünde

Alle Hexen haben rote Haare und Sommersprossen sind die Male des Teufels?


Judith Kiese (17) hat bei der letzten Staffel "Germany's next Topmodel" Barbara Meier fleißig die Daumen gedrückt, auch wenn das viele nicht verstehen können.

Judith Kiese (17) hat bei der letzten Staffel "Germany's next Topmodel" Barbara Meier fleißig die Daumen gedrückt, auch wenn das viele nicht verstehen können.

Von Judith Kiese

Große blaue Augen, schneeweiße Haut, makellose Gesichtszüge und als Krönung eine kupferrote Haarmähne. "Die Rote aus der ProSieben - Show!" Nicht gerade charmant, aber richtig. "Die Rote aus der ProSieben-Show" heißt Barbara Meier, ist 21 und wurde im Juni letzten Jahres zum neuen Topmodel Deutschlands gekürt. By Heidi Klum. Und die muss es bekanntlich ja wissen. Trotzdem waren einige Fans der Show über Klum's Wahl entsetzt.


Soll denn eine Frau, die früher wegen ihrer Haarfarbe als Hexe verbrannt worden wäre, jetzt Deutschland auf den Laufstegen dieser Welt vertreten? Da hilft selbst der trockene Humor von Stefan Raab nicht, der nach der Entscheidung in "TV-Total" witzelte: "Hurra, hurra, das Model mit dem roten Haar...". Na ja, dieses Hurra teilt wohl nur die Hälfte aller Zuschauer, die andere Hälfte versinkt in Verständnislosigkeit und hält sich weiter an die klischeehaften Vorurteile betreffend rothaariger Frauen, die von Untreue bis Übersensibilität die skurrilste Kreativität zu Tage fördern.

Die Macht der Schönheit
Barbara Meier gehört mit ihrer auffälligen Naturhaarfarbe zu den zwei Prozent der Menschheit, die durch eine Mutation des Gens MCR1 rote Haare, blasse Haut und Sommersprossen haben. Ihre Optik ist, wie die der meisten anderen Rotschöpfe, Geschmacksache. Entweder man verehrt oder verflucht sie. Aus dem Grund haben es wahrscheinlich erst wenige rothaarige Models auf den Catwalk geschafft. Sie kommen zu einem Casting und der Kunde springt entweder begeistert in die Luft oder schickt sie schon in der Türe wieder rückwärts hinaus, zusammen mit dem Satz: " Keine roten Haare!" Die Laufstege werden ebenso wie die Werbeplakate bis dato eben noch von Blondinen und Brünetten dominiert, die entweder mit liebenswürdiger Erscheinung oder samtbrauner Haut punkten können.

Was sich durch das Ergebnis des Schönheitsmusters von Lori Roggman im Jahre 1990 auch ganz simple belegen lässt: "Schöne Gesichter sind Durchschnittsgesichter." Und was den Durchschnitt betrifft, so können wir Rothaarigen nicht ganz mithalten. Unsere Haut ist nicht samtbraun, sondern voller Sommersprossen und unser Haar keine "liebenswürdige Erscheinung", sondern ein Ausnahmezustand. Zu auffällig, um klassisch schön sein zu können. Aber mal ehrlich: Wenn Schönheit gleich Durchschnitt gleich unauffällig bedeutet, können wir, so glaube ich, mit einer "Ästhetik des Hässlichen" gut leben.

"Rote Haare, Sommersprossen, sind des Teufels Artgenossen"
Fragt man ein Kind danach, wie es sich eine böse Hexe vorstellt, kommt die Antwort meistens im Sekundentakt. "Bucklig, mit einer Warze auf der Nase und flammendroten Haaren." Die Antwort auf die Frage, wie denn die Märchenprinzessin aussieht, ist ebenso wenig überraschend: "Blaue Augen und lange blonde Haare. Schön eben." Na dann, Prost Mahlzeit.

Übrigens, nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene, sind leuchtende Haare der Inbegriff von Hexerei und Zauberei. Rot ist die Farbe von Eifer, Wein, Fieber und Blut. Rot signalisiert Gefahr. Das wussten bereits die Damen und Herren des finsteren Mittelalters, dort, wo die Hexenverfolgungen- und Prozesse begannen und sich bis ins 18. Jahrhundert fortgesetzten. Hexen: das waren größtenteils Frauen mit medizinischen Kenntnissen und Interesse an übernatürlichen Dingen. Solche, die man gerne für die schlechte Ernte oder das erkrankte Kind verantwortlich machte. Ob jene Frauen allerdings rothaarig waren, wird in der Geschichte weder be- noch widerlegt.

Die Lasterhaftigkeit, die Gier nach Macht und die Grausamkeit, die man den Hexen im Mittelalter nachsagte, zieht sich in den Chroniken allerdings bis in den zweiten Weltkrieg und erscheint dort - wie könnte es anders sein - in der Gestalt einer rothaarigen Frau. "Die Hexe von Buchenwald", erzählt von der Geschichte der Ilse Koch, der Frau eines KZ-Kommandanten, die mit potenzieller Boshaftigkeit und Aggressivität in Form von Peitschen und Schikanen gegen die Häftlinge vorging. "Die Hexe von Buchenwald" wurde nach Ende des Krieges zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt und 1967 erhängt in ihrer Gefängniszelle aufgefunden.

Redheads International
Auch wenn es manchmal nicht so aussieht, nach wie vor gibt es einige wenige echte Rothaarige auf der großen weiten Welt. Viele von ihnen engagieren sich für die Rechte der Rotschöpfe, sind Teil der von Stephen Douglas gegründeten weltweiten Bewegung "Redheads International", die sich für rothaariges Selbstbewusstsein einsetzen. Und zudem beweist die Geschichte, dass es Menschen mit loderndem Haarschopf ebenso weit bringen können wie die Durchschnittsblondine oder die samtbraune Dunkelhaarige. Man nehme Elizabeth I., Englands Verfechterin gegen die Spanier, Boris Becker oder Nicole Kidman.

Ich persönlich habe meinen Frieden als Rothaarige mit Sommersprossen gefunden. Keine braungebrannten Südländerinnen als Vorbilder mehr, ausreichend Sonnencreme und ein charmantes Selbstbewusstsein wie Pippi Langstrumpf es schon hatte: "Aber wenn sie vielleicht irgendwelches Zeug hereinbekommen sollten, von dem man noch mehr Sommersprossen kriegt, dann können sie mir sieben bis acht Dosen zuschicken!"

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