Interview
Dr. Peter Wendl forscht zum Thema Fernbeziehung
13. August 2020, 15:23 Uhr aktualisiert am 13. August 2020, 17:40 Uhr
Dr. Peter Wendl forscht seit 20 Jahren zum Thema Fernbeziehung. Er selbst führte sieben Jahre lang eine Partnerschaft über mehrere Hundert Kilometer. Im Interview erzählt er, was wichtig ist, damit Liebe aus der Ferne glücklich macht und hält.
Ab wie vielen Kilometern spricht man von einer Fernbeziehung?
Dr. Peter Wendl: Es geht gar nicht um die Entfernung, sondern darum, wie oft man sich sehen kann. Wenn jemand pro Woche mehr Tage getrennt ist, als er mit dem Partner zusammen ist, dann führt er im Grunde schon eine Fernbeziehung. Deshalb kann man auch eine Fernbeziehung führen, wenn man in derselben Stadt lebt und sich eigentlich öfter sehen könnte.
Wie viel Prozent der Deutschen leben in etwa in einer Fernbeziehung?
Dr. Peter Wendl: Es sind viel mehr, als wir es erfassen können. Ich denke, wenn wir davon ausgehen, dass mindestens jede siebte Beziehung in Deutschland auf Distanz geführt wird, dann ist das ziemlich realistisch.
Was ist wichtig für eine erfüllende Fernbeziehung?
Dr. Peter Wendl: Es gibt vier wichtige Säulen. Die erste ist: Es muss geklärt werden, warum man überhaupt eine Fernbeziehung führt. Die Vorteile einer Fernbeziehung müssen auf Dauer die Nachteile mindestens ausgleichen. Und zwar für beide. Das kann zum Beispiel sein, dass der Partner im Ausland viel mehr Geld verdient als zuhause und man sich dadurch mehr gemeinsam leisten kann.
Generell ist eine Fernbeziehung für den Partner viel einfacher zu akzeptieren, wenn er weiß: Der andere kann nicht anders. Weil er zum Beispiel Pilot ist und deshalb oft wegmuss.
Die zweite Säule ist die Frage: Wie lange wollen beziehungsweise müssen wir eine Fernbeziehung führen? Fernbeziehungspaare brauchen einen Plan, also wie oft sie sich sehen, und eine Perspektive. Wenn der Partner zum Beispiel zum Studieren weggeht, dann weiß der andere: "Okay, das dauert jetzt drei Jahre." Und selbst wenn der Pilot das bis zur Rente machen muss, weiß der andere: "Okay, das muss bis zur Rente so gehen." Der Mensch ist immer dann dazu im Stande, etwas gut zu ertragen, wenn er weiß, wie lange es gehen wird.
Die dritte Säule ist: Das Paar muss es schaffen, alleine einen erfüllenden Alltag führen zu können. Natürlich darf man den anderen mal vermissen - aber man muss es schaffen, auch die Zeit alleine zu genießen, zum Beispiel mit Freunden. Die müssen dann aber auch akzeptieren können, dass der Freund an den Wochenenden keine Zeit hat, weil er dann mit seinem Partner zusammen ist.
Die vierte Säule ist: Eine Fernbeziehung ist immer abhängig von der biografischen Situation. Wenn ein Paar zum Beispiel Ende 30 ist und einen akuten Kinderwunsch hat, dann möchte man seinen Partner einfach an seiner Seite haben.
All diese Punkte müssen für beide Seiten stimmen. Es darf keinen Verlierer geben. Sonst klappt es nicht.
Wie wichtig ist, dass man an den Tagen, an denen man sich nicht sieht, in Kontakt ist?
Dr. Peter Wendl: Es ist sehr wichtig, sich an diesen Tagen auszutauschen. Darüber, wie es mir geht und was ich erlebt habe. Es ist auch wichtig, sich am Telefon streiten zu können oder über wichtige Dinge zu reden. Denn wenn ich das nicht tue, weiß ich überhaupt nicht, wer da am Freitag nach Hause kommt: Was belastet ihn gerade? Nach was sehnt er sich? Denn am Wochenende ist oft zu wenig Zeit, um all das aufzuholen.
Gibt es in Fernbeziehungen mehr Eifersucht und Misstrauen?
Dr. Peter Wendl: Fernbeziehungen sind für eifersüchtige Personen schon schwerer auszuhalten.
Bleiben Fernbeziehungen länger frisch, weil man sich nicht jeden Tag sieht?
Dr. Peter Wendl: Ja, das kann man tatsächlich sagen. Fernbeziehungen bleiben länger frisch, geheimnishaft und spontan, aber sie kosten mehr Kraft. Man muss mehr dafür tun, reisen, Geld investieren ...
"Fremdeln" viele Fernbeziehungspaare erst mal, wenn sie sich dann wieder sehen?
Dr. Peter Wendl: Ja, das ist ganz normal. Wer am Freitagabend plötzlich voreinander steht, braucht Zeit, um wieder eine gemeinsame Welt entstehen zu lassen. Um zu verstehen: Warum reise ich so weit, um diesen einen Menschen zu sehen?
Manche sagen, dass Fernbeziehungen oft erst dann scheitern, wenn beide zusammenziehen und sich plötzlich jeden Tag sehen.
Dr. Peter Wendl: Das ist absolut richtig. Die Verliebtheitsphase, diese besondere Euphorie, hält für etwa sechs Monate nach dem Zusammenziehen. Dann tritt eine Desillusionierung ein und es zeigt sich, ob das Paar alltagstauglich ist.
Warum ist das so?
Dr. Peter Wendl: Weil wir Menschen sehr gut funktionieren, wenn wir investieren müssen, damit etwas hält. Wenn wir einen Aufwand betreiben müssen. Durch das Zusammenziehen kommt eine gewisse Endgültigkeit. Dann werden auch banale Dinge lästig, die man davor nicht mitbekommen hat. Der Klassiker sind bei der Frau die Haare im Abfluss und beim Mann die Socken, die auf dem Sofa liegen bleiben. Man sollte sich, wenn es möglich ist, zusammen eine neue Wohnung suchen und nicht einfach zum anderen ziehen. Denn wenn ich einfach beim Partner einziehe, bleibe ich irgendwo der Eindringling. Da sind die Tassen da eingeräumt, wo sie es schon immer waren. Bei einer neuen Wohnung kann man gemeinsam eine neue Welt entstehen lassen.
Was geben Sie Fernbeziehungspaaren mit auf den Weg?
Dr. Peter Wendl: Bei jedem Lebensentwurf gibt es Vor- und Nachteile. Es kommt darauf an, aus den Nachteilen etwas Positives zu machen. Also bei Fernbeziehungen etwas Positives aus der Distanz und der Freiheit zu machen, die man hat. Wenn mir das nicht gelingt, dann werde ich diese Dinge nur als Nachteile empfinden und ich werde unglücklich oder sogar krank. Dann sollte man sich besser trennen oder eben zusammenziehen.