[Frei]stunde!
Dystopia hat längst begonnen
11. November 2011, 15:18 Uhr aktualisiert am 11. November 2011, 15:18 Uhr
Brot und Spiele regieren das Nordamerika, in dem die 16 Jahre alte Katniss lebt. Unter dem despotischen Regime des Kapitols müssen die Menschen Hunger leiden. Doch das ist nicht einmal die größte Bedrohung in der Welt von Katniss. Jedes Jahr werden die "Hungerspiele" ausgetragen, ein Gladiatorenkampf auf Leben und Tod. Aus jedem der zwölf Distrikte werden dafür ein Mädchen und ein Junge zwischen zwölf und 16 Jahren ausgelost. Sieger ist, wer bis zum Ende überlebt.
Das Szenario, das Suzanne Collins in ihren "Tribute von Panem"-Romanen entwirft, ist dabei nicht neu. Ihr Genre ist die Dystopie, eine in der Zukunft spielende Erzählung, die negativ ausgeht. Totale Überwachung und die Unterdrückung der Massen sind Themen, die Autoren schon seit jeher beschäftigen. Dass ihre Romane so viele begeisterte Leser gefunden haben und inzwischen sogar verfilmt werden, hat die Autorin einem anderen Umstand zu verdanken. Im Gegensatz zu den großen Klassikern der Dystopie wie "1984" spricht sie vor allem junge Leser an - und trifft damit perfekt deren Lebensgefühl.
Denn Jugendliche und junge Erwachsene mögen es düster - zumindest, wenn es um ihren Lesestoff geht. Die Welten, die Autoren wie Suzanne Collins kreieren, sind meist totalitäre Überwachungsstaaten, in denen die Gesellschaft nur auf den ersten Blick perfekt und glücklich ist. Dass ausgerechnet der Markt für Jugendliteratur in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom an düsteren Zukunftsvisionen erlebt hat, ist dabei gar keine so große Überraschung, wenn man sich genau umsieht. Flächendeckende Überwachung zum Schutz der Bevölkerung, Eingriffe in den Ernährungs- und Bewegungsplan sowie der ständige Drang, das Richtige tun und den Richtigen kennen zu müssen, sind längst Teil der westlichen Gesellschaft geworden und damit ständige Begleiter der jungen Leser. Und im Gegensatz zum klassischen Big Brother haben die Mächtigen von heute Anstand und Moral auf ihrer Seite. Dabei braucht es nicht einmal den Staat oder die Schule als Kontrollinstanz: Das favorisierte Soziale Netzwerk reicht vollkommen.
Einfach überleben
Haben die jungen Protagonisten erst einmal gemerkt, dass das System, in dem sie leben, ein Alptraum ist, reagieren sie anders, als man es erwarten könnte. Ihre Ziele sind klein und persönlich. Meist geht es nicht einmal darum, den totalitären Staat zu bezwingen - sondern nur darum, die Liebe zu finden oder einfach zu überleben. Kleine Ziele, die aber weitreichende Folgen haben können. Kritiker der Welle an dystopischen Jugendromanen werfen den Autoren gerne vor, dass sie ihre Leser zu Rebellion und Verweigerung aufrufen - und im Grunde haben sie damit recht. Andererseits sind das genau die beiden Tugenden, die die Jugend ohnehin für sich beansprucht.