Web-Tipp

"E-Boys" erobern über TikTok das Netz


"Sway LA" zelebrieren den "E-Boy"-Style und das professionell. Die jungen Influencer werden von einer Agentur vertreten. Foto: TalentX

"Sway LA" zelebrieren den "E-Boy"-Style und das professionell. Die jungen Influencer werden von einer Agentur vertreten. Foto: TalentX

Ihr Blick ist oft melancholisch, sie tragen enge Hosen, übergroße T-Shirts und erobern ihre Fans auf TikTok. "E-Boys" sind der Trend in den Sozialen Medien. So neu, dass die Seite urbandictionary.com unkt: "Sie leben ausschließlich im Internet. Wenn du einen auf der Straße triffst, schätze dich glücklich, denn das ist nahezu unmöglich."

Auch, wenn dieser Satz natürlich als Scherz zu verstehen ist - ohne das Soziale Netz gäbe es die "E-Boys" wohl nicht. Denn das, was sie tun, um Follower und Likes abzugrasen, ist eher banal. Sie inszenieren sich in verführerischen Posen, posten darunter tiefsinnige Sprüche, tanzen vor der Kamera und bewegen ihre Lippen zum Liedtext. Ganz wichtig dabei: immer die Haare schön und wild ins Gesicht geschwurbelt haben. Nichts, was man nicht auch vor dem Spiegel tun würde - nur, dass den "E-Boys" Millionen Fans zusehen.

Der typische Style von "VSCO-Girls". Screenshot: Instagram/@vscosurfin

Der typische Style von "VSCO-Girls". Screenshot: Instagram/@vscosurfin

Das macht einige von ihnen zu richtigen Stars. Zum Beispiel die Gruppe "Sway LA" - sechs junge Typen, die in einem Haus wohnen und sich dabei für ihre 1,2 Millionen Follower auf TikTok filmen. Hinter ihnen und gut drei Dutzend weiteren TikTok-Stars steht übrigens die Agentur TalentX Entertainment, die sich auf junge Influencer spezialisiert hat.

Gab's die nicht schon mal?

Recherchiert man, wer die "E-Boys" erfunden hat, wird man bei dem 30-jährigen Musiker Matty Healy fündig, dem Sänger der Band "The 1975". Selbstbewusst behauptet er das zumindest von sich - und von seinem Aussehen her könnte es sogar wahr sein. Ältere Leser werden sich jetzt vermutlich am Kopf kratzen. Hübsche Jungs mit dunklen Haaren und traurigen Augen - gab's das nicht schon mal? Stimmt! Tatsächlich blickt der "E-Boy" auf eine lange Tradition zurück. Schon in den 1980er-Jahren malten sich Gothics und New Waver die Augen schwarz an, hüllten sich in dunkle Klamotten und blickten trüb in die Welt.

Der Stil verfeinerte sich in Japan beim "Visual Kei", von wo aus er dann in den 2000ern als "Emo" zurück in unsere Breiten schwappte. Bekanntestes Aushängeschild damals: Bill Kaulitz. Die "E-Boys" sind quasi der jüngste Spross dieser langen Geschichte der traurigen Blicke. Sie präsentieren sich aber in vielem lockerer als ihre Vorfahren. Schwarze Fingernägel? Cool, muss aber nicht sein. Klamotten? Dunkel geht, aber melancholisch kann man auch in zerrissenen Bluejeans schauen. Musik? Billie Eilish geht immer - lustigerweise kann man ihre Musik auch als Weiterentwicklung der Sounds sehen, zu denen Gothics tanzen.

Daneben gilt als Vorbild - wieder einmal - Asien, dieses Mal Korea. Sieht man sich die K-Pop-Jungs an, die dort die Herzen ihrer Fans brechen, trifft man auf ganz ähnliche Typen wie bei den "E-Boys".

In einem Punkt sind die "E-Boys" aber ganz modern: "feminin" und "maskulin" sind nur noch Wörter, mit denen sie spielen. Haben Gothics und Emos auch getan, dort war es aber noch Ausdruck ihrer Rebellion. Für die "E-Boys" ist es dagegen ganz normal, sich Schritte aus Billie-Eilish-Songs abzuschauen und für ihre Fans auf TikTok zu tanzen. Das zeigt: Egal, wie sehr die Alten über alte Geschlechterrollen streiten, für die Jungen ist das Spiel mit ihnen alltäglich geworden.

Neuer Trend: "VSCO-Girl"

Wichtig für die "E-Boys" ist, dass die Fans ihre Videos mögen. Das haben sie mit den sogenannten "VSCO-Girls" gemeinsam. Zunächst stand dieser Begriff für junge Frauen, die über ihre Instagram-Bilder einen der beliebten Retro-Filter der VSCO-App legten. Mittlerweile hat sich daraus eine eigene Subkultur entwickelt, die sich durch Birkenstock-Sandalen, Wasserflaschen, zerrissene Jeans und Freundschaftsarmbänder auszeichnet. Aussehen ist Trumpf, politische Ansichten eher selten. Obwohl: Nachhaltigkeit geht immer. Immerhin: Mittlerweile hat TikTok einen eigenen "VSCO-Girl"-Filter eingeführt. Sebastian Geiger