Musik
Eine Hipp-Hopp-Band, die keinen Hip-Hop spielt
5. November 2015, 16:00 Uhr aktualisiert am 5. November 2015, 16:00 Uhr
15 Schlagzeuger und ein Keyboarder - eine außergewöhnliche Besetzung für eine Band. Außergewöhnlich auch die Tatsache, dass an den Instrumenten ausschließlich Menschen mit geistiger Behinderung sitzen und stehen. Und dann ist da noch der Name: Das kleine Orchester nennt sich zwar "Hipp-Hopp-Band", spielt aber keinen Hip-Hop. Alles in allem eine ungewöhnliche Percussion-Band mit einer wunderbar positiven Ausstrahlung.
Leon aus Wackerling gehört seit fünf Jahren zur Band. Der 15-Jährige leidet unter dem Down-Syndrom. Als "Lausbua mit einem schelmischen Grinsen" hat ihn Johann Reitmeier, der die Gruppe seit 15 Jahren leitet, kennen- und schätzengelernt. Er ist derzeit der einzige Jugendliche in der Band, die anderen Mitglieder sind älter, sie sind - dem Alter nach - erwachsen. Doch letztlich seien sie Kinder geblieben, weiß Reitmeier. "Menschen mit Behinderung sind Kinder in Erwachsenenkörpern!"
"Nach einer Stunde brennt die Luft"
Mit Begeisterung trommelt Leon mit seinen Filzschlägern im Keller des Gebäudes der Volkshochschule in Furth im Wald im Landkreis Cham auf die Bongos. Drei große Schlagzeug-Sets, Tambourins, kleinere Drumsets, Kuhglocken und ein Keyboard sind hier aufgebaut. Einmal die Woche, immer am Freitagnachmittag, kommen die derzeit 16 Bandmitglieder aus der östlichen Oberpfalz und Niederbayern zur Probe. Nach einer Eintrommel-Phase geht es richtig los. "Nach einer Stunde brennt die Luft!", beschreibt Reitmeier die Stimmung in der Band. "Meine Hipp-Hopper haben rote Backen, strahlende und glänzende Augen. Sie freuen sich einfach, auf der Welt zu sein!" Johann Reitmeier hat in seinem Leben schon mit vielen Bands zusammengearbeitet, doch "diese irrsinnige Leidenschaft und Begeisterung" machen die Hipp-Hopp-Band zu etwas Besonderem. 15 Schlagzeuger in einem kleinen Raum - wie hält man das aus? "Mit Ohrstöpseln, ohne die geht gar nichts", erzählt Reitmeier und grinst. "Und du brauchst einen großen Vorrat an Sticks, wenn manchmal das Temperament durchgeht!" Eine Tüte voller zerbrochener Sticks steht inzwischen bei Reitmeier zu Hause. "Daraus bastle ich irgendwann einmal ein gigantisches Kunstwerk."
Leidenschaft und Temperament auf der Bühne
Für Leon, wie für alle anderen Bandmitglieder, gilt: Sie werden dort abgeholt, wo sie stehen. Auch wenn sie musikalisch kaum einen Beitrag leisten können, findet Reitmeier das passende Instrument. "Wichtig ist, dass sie mit Leidenschaft dabei sind." Es komme nicht darauf an, eine möglichst perfekte Vorstellung abzuliefern. Viel wichtiger sei die Live-Präsentation. Von der ungemein fröhlichen Ausstrahlung und der temperamentvollen, lebensfrohen und mitreißenden Performance haben sich in den 20 Jahren seit Bestehen der Band bei unzähligen öffentlichen Auftritten bereits tausende Zuhörer überzeugt. Die Bilder ähneln sich: Die anfängliche Verblüffung und das Staunen des Publikums - weil man gemeinhin geistig Behinderten diese Leistung nicht zutraut - wandeln sich schnell in Begeisterung.
Ein eineinhalbstündiges Programm hat Reitmeiter mit seinen Percussionisten im Laufe der Jahre auf die Beine gestellt: Schlager wechseln sich mit Rock-Titeln und volkstümlichen Stücken ab. Lauter bekannte Titel, aber in eigenen Arrangements: "Rock Around The Clock", "Go West", Stimmungskracher wie "Viva España", "Schützenliesl" oder "Mir san vom Woid dahoam" und natürlich der "Anton aus Tirol". Keyboarder Gerhard spielt die Melodie. "Er ist ein fantastisches musikalisches Talent: Du spielst ihm einen Titel vor und er spielt ihn mit sämtlichen Akkorden nach." Was der Band bislang noch fehlt, ist der Gesang, doch "wir arbeiten daran", meint Reitmeier. Unter seiner Leitung sind inzwischen auch zwei CDs entstanden - allerdings nicht für den öffentlichen Verkauf, sondern "für uns selber". Eine eigene CD sei eine Anerkennung der Leistung und eine Aufwertung des Selbstbewusstseins.
"Wir können mehr, als ihr uns zutraut!"
Leon trommelt weiter mit Enthusiasmus auf die Bongos. Er ist zwar der Jüngste der Band, ist aber von allen anerkannt. In der Band fühlt er sich wohl - so wie auch alle anderen. Niemand verlässt die Band, alle bleiben dabei. "Nach der Sommerpause können sie es kaum erwarten, bis die Proben wieder beginnen. Sie brennen lichterloh", versucht Reitmeier die Leidenschaft und den Zusammenhalt innerhalb der Gruppe zu beschreiben. Doch wenn Leon zusammen mit der Band den Probenraum verlässt und vor großem Publikum spielt, geht es nicht nur um den Spaß an der Freude. "Wir wollen die Menschen mit Behinderung an die Öffentlichkeit bringen. Sie sollen die Möglichkeit bekommen, sich mit ihrer eigenen Leistung als kreativ zu präsentieren. Das ist äußerst wichtig für ihr Selbstbewusstsein", spricht Reitmeier über den Sinn dieses musikalischen Projektes. Die Botschaft lautet: "Schaut her, wir können ganz viel, was ihr uns vielleicht gar nicht zugetraut hättet!" Zahlreiche Auszeichnungen sprechen für sich: Kulturpreis des Kulturvereins Bayerischer Wald, (Kultur-)Botschafter für den Landkreis Cham, regelmäßige Förderungen durch die Josef-Stanglmeier-Stiftung. Die Bandmitglieder rücken von der Einsamkeit der eigenen vier Wände in eine Gemeinschaft, die an die Öffentlichkeit geht. Und sie danken es mit einer grundehrlichen Freude und Leidenschaft: "Man darf sich nicht wundern, am Ende einer Probe oder eines Auftritts niedergeschmust zu werden", so Reitmeier. Doch genau das macht dieses Projekt zu einer schönen Aufgabe.
Info: Die Hipp-Hopp-Band aus Furth im Wald
Die Hipp-Hopp-Band gründete sich im Jahre 1995. Mit der Musikrichtung Hip-Hop hat das Programm der Band nichts zu tun. Den Namen gaben sich die ausschließlich geistig behinderten Mitglieder der Band, weil sie ihn einfach schön und frisch fanden. Die Gruppe ist Aushängeschild und Sympathieträger der "Further Kontaktgruppe für behinderte/nichtbehinderte Menschen" unter der Leitung von Wera Müller und unter der Trägerschaft der Volkshochschule. Ihr Ziel ist, behinderte Menschen in die Gesellschaft zu integrieren und ihr Selbstbewusstsein zu stärken.
Etwa zehn bis fünfzehn öffentliche Auftritte absolviert die Band jährlich in Bayern und in Tschechien. Einige Beispiele: "drumherum-Volksmusikfestival" in Regen, Aktionstage "Zweites Leben" in Regensburg, Jahresempfänge, Umrahmung von Preisverleihungen der Rotkreuz-Jugend, Gemeinschaftskonzerte mit Jugendkapellen aus Bayern und Böhmen. Als "Botschafter für den Landkreis Cham" wirbt die Band für das gute soziale Klima und die Toleranz in dieser Region. Die Auszeichnung 2007 mit dem Kulturpreis spricht für den kulturellen Stellenwert der Gruppe.
Zur Band gehören Keyboarder Gerhard und die Percussionisten Sabrina, Christian, Manuela, Manfred, Nadja, Tatjana, Stefan und Stefan, Anton, Volker, Horst, Seppi, Markus, Susi und Leon. Und wann immer es ihm möglich ist, unterstützt seit etlichen Jahren Franz Mühlbauer, der in Regensburg wohnt, mit einem zweiten Keyboard und auch sonst Johann Reitmeier bei der Arbeit mit der Band.