Gefühle glühen im Dunkeln
Friedrich Ani entführt mit "Die unterirdische Sonne" in die Finsternis
29. April 2014, 10:31 Uhr aktualisiert am 29. April 2014, 10:31 Uhr
Fünf Jugendliche leben in einem Bunker, die Sonne haben einige von ihnen schon seit Monaten nicht mehr gesehen. Irgendjemand hat sie entführt und überlässt sie größtenteils sich selbst, wenn er sie nicht "nach oben" holt. "Oben", dort wo das Licht der Sonne und die echte Welt ist, lauert für die Jugendlichen gleichzeitig das Grauen.
Warum und was genau "da oben" passiert, wenn die Jugendlichen aus ihrem Bunker ins Haus der Entführer gebracht werden, erfährt der Leser bei dem neuen Jugendroman von Friedrich Ani, "Die unterirdische Sonne", nicht. Das ist auch gut so, denn Ani versteht es wie kein anderer, in seinem Buch ein Kopfkino anzuwerfen - das man so vielleicht gar nicht haben will.
Bekannt ist der Münchner Autor vor allem durch seine Krimis, in denen er sich mit Verschwundenen und Entführungsopfern auseinandersetzt. Daneben schreibt er Drehbücher, Kurzgeschichten und andere Romane. Das "Verschwinden", die Situation, wenn jemand nicht mehr da ist, zieht sich als roter Faden durch viele seiner Werke.
Ani ist der Sohn eines Syrers und einer Schlesierin. Seine ersten Hörspiele und Theaterstücke entstanden kurz nach seinem Abitur. Nach dem Zivildienst in einem Heim für schwer erziehbare Jungen war Ani von 1981 bis 1989 Polizeireporter und Hörfunkautor. 1992 wurde er Stipendiat der Drehbuch-Werkstatt München an der Hochschule für Fernsehen und Film und publizierte 1996 seinen ersten Roman. Bekannt wurde er durch seinen Zyklus von Kriminalromanen um Tabor Süden, der für ein Kriminaldezernat nach vermisst gemeldeten Personen sucht.
Dabei ist der Fokus klar - die Verschwundenen sind der wichtigste Teil der Geschichte, Hauptcharakter ist aber sein Kriminalist. Dass so jemand Jugendbücher schreibt, verwundert auf den ersten Blick. Doch Anis Sprache ist immer auch poetisch - perfekt, um Gefühle einzufangen.
Aus der Sicht der Opfer
Für "Die unterirdische Sonne" wechselt Ani den Blick. Auf einmal sind es die Entführungsopfer, aus deren Augen der Leser die Welt sieht und an deren Seite er das Grauen, das sie durchleiden müssen, erlebt. "Was oben stattfindet, ist für die Geschichte uninteressant", sagt der Autor im Interview. Mit "oben" meint er den Ort, an den die Kinder immer wieder verschleppt werden. Das, was sie dort erleben, deutet er höchstens in Rückblenden an - und startet damit das Kopfkino.
Dass das so gut in Fahrt kommt, liegt an Anis Sätzen und Beschreibungen. Selten verliert er ein Wort zu viel. "Die unterirdische Sonne" hat ihn tief beschäftigt, wie er im Interview verrät. "Dieser Roman hat mich so viel Kraft gekostet wie die drei Bücher zuvor."
Das merkt man dem Buch an. Jeder Satz ist roh, die Emotionen, die Ani beschwören will, jagen dem Leser durch die Augen direkt ins Herz. Gefühle sind es auch, die die Jugendlichen in ihrem Gefängnis am Leben halten und die sie am Ende zu einer denkwürdigen Entscheidung bringen. Ani bezeichnet diese Gefühle als "Leuchten in der Dunkelheit", deshalb auch der Titel "Die unterirdische Sonne" - die ist nicht das Licht der Deckenleuchten, sondern der Zusammenhalt, der die Kinder ihr Martyrium meistern lässt. Zum Teil sind die Schilderungen drastisch, auch wenn Ani all das, was "oben" passiert, Gott sei Dank verschweigt.
Ob "Die unterirdische Sonne" denn überhaupt ein Jugendbuch für ihn ist? Ani zögert keine Sekunde. "Natürlich", sagt er - weil es trotz all der Dunkelheit eben den Hoffnungsschimmer gibt, an dem sich die Protagonisten festklammern. Keine Dunkelheit dauert ewig - das ist etwas, aus dem man Kraft schöpfen kann. Es gibt höchstens Andeutungen, die mit ein wenig Nachdenken sehr genau enthüllen, was in "Die unterirdische Sonne" geschieht, und den Lesern das Blut in den Adern gefrieren lassen - jungen wie alten.
Nicht für jeden lesbar
Trotzdem sollten gerade die jüngeren Leser vorher vielleicht doch mit ihren Eltern Rücksprache halten und sie die Leseprobe, die es auf www.randomhouse.de/cbt gibt, lesen lassen.
Lässt man sich schließlich auf die Geschichte ein, reißt sie den Leser mit. Friedrich Ani versteht es meisterhaft, die wilden Emotionen, die die jungen Gefangenen am Leben halten, zu schildern: ihr Hoffen, ihr Bangen und ihren Lebenswillen, der der einzige Widerstand gegen die Gräuel sind, die ihnen widerfahren. Das merkt auch der Leser - die etwas mehr als 300 Seiten sind wie im Flug ausgelesen.