Neues Album

Indie-Band Vampire Weekend philosophiert über die Vergangenheit

„Vampire Weekend“ kombiniert auf ihrem fünften Album „Only God Was Above Us“ eine dreckige Vision von New York mit schönen und komplexen Liedern. Doch kann dieser Gegensatz überhaupt funktionieren?


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Chris Balo, Ezra Koening und Chris Tomson (von links) sind die Band „Vampire Weekend“.

Die Band: Die US-amerikanische Band „Vampire Weekend“ ließ sich nie einem Genre zuteilen. Wer über ihre Musik spricht, kann höchstens in die Richtung von Alternative-Rock zeigen – ein Begriff, der sowieso kaum eine Bedeutung hat. Die Einflüsse der Gruppe sind zu divers: Mal klingen sie wie eine nerdige Punkgruppe mit verzerrten Gitarren und unsauberen Melodien, doch dann werfen sie plötzlich auch Streicher und Cembali in den Mix.

Die Texte: Der einzige Aspekt, der jedes Lied der Band eint: die poetischen Grübeleien von Frontmann Ezra Koening, die kein Geheimnis daraus machen, dass er ein großer Geschichtsfan ist. Diesmal hat sich Ezra sogar einen Ort und Zeitpunkt ausgesucht, der das neue Album „Only God Was Above Us“ inspiriert: New York während des 20. Jahrhunderts. Und plötzlich singt er über Parkregeln, Bauarbeiter und korrupte Polizisten.

Dieser Rückblick ist meist ein wenig zynisch, gleich zu Beginn erklärt Ezra über sanftes Klavier der Welt den Krieg. Doch gleichzeitig läuft ein Faden der Nostalgie durch „Only God Was Above Us“, als würde Ezra abwägen, an welche Seite der Vergangenheit wir uns erinnern sollten. Genau darum, wie die Zeit historische Fakten verzerrt, verschönert und vereinfacht, geht es sogar in der Single „Classical“.

Die Musik: Doch das Projekt ist natürlich nicht nur eine Uni-Vorlesung im Fach Geschichte. Denn musikalisch klingt „Vampire Weekend“ so frisch und motiviert wie nie, als wäre dies ihr Debütalbum – obwohl die tatsächlich erste Platte der Gruppe inzwischen 16 Jahre alt ist. Das neue Projekt überzeugt vor allem mit der Weise, wie die Lieder strukturiert sind. Viele Songs fangen relativ entspannt an, bauen sich immer weiter auf und erreichen spätestens in der letzten Minute ein oft atemberaubendes Crescendo.

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„Capricorn“ ist zum Beispiel zunächst eine schöne Ballade, bis ein metallischer Synthesizer eingeführt wird, der den Rest des Liedes übertönt und wie der Sterbensschrei einer alten Industriemaschine klingt. „Classical“ beginnt wiederum nach einem kurzen Intro mit Akustikgitarre, Bass und einer stetig wachsenden Vielzahl von anderen Instrumenten, die sich fast wie von selbst einführen und in passenden Momenten zurückkehren. Viel Planung muss in dieses Arrangement geflossen sein, und dennoch klingt es nicht steif durchdacht, sondern spontan und natürlich. Am Ende fliegen dem Zuhörer aggressive Klaviertöne, kreischendes Saxofon und elektrische Gitarren um die Ohren. „Gen-X Cops“ hat geniale Gitarrensoli und mit der Zeile „Jede Generation entschuldigt sich auf ihre eigene Weise“ wohl auch den effektivsten Text des Albums. Ezra spielt damit an, wie sich zum Beispiel Eltern bei ihren Kindern für den Klimawandel entschuldigen – und wie es für jede Generation einen anderen Grund gibt, sich am Ende zu schämen.

Fazit: Zynisch und doch mit einer Prise Hoffnung: Nicht umsonst heißt das letzte Lied des neuen Albums „Hope“. Die Texte von Ezra Koening sind faszinierend wie immer, doch auch die Instrumentierung ist wieder einmal großartig. Teils ist es schwer, auf alle Elemente gleichzeitig zu achten. Doch das ist keine Kritik, im Gegenteil: „Only God Was Above Us“ belohnt mehrfaches Hören mit Details, die man immer wieder neu entdecken kann.

„Only God Was Above Us“ von „Vampire Weekend“, XL Recordings, erhältlich auf allen Streamingplattformen sowie als CD und Vinyl.