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Michael Seidl über Urlaub trotz Corona-Krise
14. August 2020, 14:08 Uhr aktualisiert am 14. August 2020, 14:08 Uhr
Michael Seidl (21) aus Loiching bei Dingolfing ist genervt, denn viele Deutsche wollen trotz Corona-Krise nicht auf ihren Jahresurlaub verzichten. Doch damit riskieren sie eine zweite Welle. Eine Meinung.
Mich nervt es gewaltig. Mich nervt es, wie stark es meine Mitmenschen ärgert, dass sie in diesem Jahr nicht zum "drölften" Mal in das gleiche Hotel an der Türkischen Riviera einchecken können. Ja, das Hotelgewerbe hat überall auf der Welt enorme Einbußen zu verzeichnen. Und ja, wir Deutschen sind in vielen Ländern, wie zum Beispiel der Türkei, wohl mit die wichtigste Einnahmequelle der dortigen Tourismusbranche. Aber ich denke, selbst die krisengebeutelten Türken können der Ruhe etwas abgewinnen. Endlich keine Handtuch-Wettrennen mehr am frühen Morgen. Endlich keine Hahnenkämpfe am Mittagsbuffet. Kurzum: Endlich mal keine deutschen Urlauber! Wie schnell wir so korrekten Deutschen unsere höfliche Art ablegen können, zeigt sich schließlich zumeist außerhalb der gewohnten Umgebung.
Eine Chance für Neues
Aber nun mal Spaß beiseite und hin zum ernsten Teil dieses Problems. Muss das eigentlich immer sein? Müssen wir jedes Jahr ins Flugzeug steigen, um unseren ritualisierten Jahresurlaub zu begehen? Ist die Corona-Pandemie nicht die Chance, mal was anderes auszuprobieren?
Viele entdecken in diesen Zeiten zum Beispiel das Caravaning für sich und werden zu Hobby-Holländern. Der Flugreise ist das ökologisch vielleicht nicht weit voraus. Bleibt man damit in Deutschland, sind Infektionsketten jedoch um einiges leichter nachzuvollziehen.
Mehr als Allgäu und Ostsee
Und warum auch nicht Urlaub im eigenen Land machen? Es gibt schließlich auch viele schöne Ecken in der Bundesrepublik. Allerdings besteht Deutschland nicht nur aus dem Allgäu, Bodenmais und der Ostsee, wohin jetzt alle wollen. Der sonst willkommene Strom an Tagestouristen entwickelt sich dort zu einer biblischen Plage. Vielen Anwohnern im Bayerischen Wald wäre wohl eine Insellage ihrer Heimat deshalb aktuell lieber.
Aber warum eigentlich zum Reisen zuhause bleiben? Ganz einfach: Viele beliebte Reiseziele im Ausland sind immer noch mit Vorsicht zu genießen. Neben den ausgeschriebenen Risikogebieten steigen zum Beispiel auch in Kroatien die Infektionszahlen wieder. Ganz zu schweigen von den Vorfällen auf Mallorca. Deshalb frage ich mich, ob wir mit unserem Ritual "Jahresurlaub" eine zweite Welle herausfordern wollen? Stecken wir noch ein kleines bisschen zurück, können wir vielleicht einen coronafreien Urlaub im nächsten Jahr sicherstellen. Dabei hilft schon ein Urlaub innerhalb Deutschlands.
Außerdem ist es das jährliche Erlebnis von Flugverspätungen nach Palma sowieso nicht wert! Oder doch? Wenn ja, wünsche ich dir viel Freude in deinem erzwungenen Pauschalurlaub. Wenn ich dich bis hierhin schon zum Nachdenken gebracht habe, dann versuche es doch mal mit einem meiner Tipps für den Urlaub daheim (siehe unten).
Wer in Deutschland tatsächlich kein geeignetes Ziel findet, dem empfehle ich alternative Formen des Urlaubs. Damit meine ich nicht Balkonien und Terrassien. Vielmehr denke ich an die Entdeckung alternativer Wohnformen. In einer gewohnten Umgebung zum Beispiel eine Woche in einem "Tiny House" zu verbringen, erzeugt ebenso ein Gefühl von Urlaub wie eine Reise. Wir suchen ja in der Ferne neben der Entspannung meist auch Abwechslung vom Alltag und genau das bekommen wir dort. Außerdem sind die winzigen Häuser meist beweglich und autark. Somit lassen sie auch eine Auszeit in der freien Natur zu.
Glück ist nicht käuflich
Eins ist klar: Diese Abkehr vom gewohnten Jahresurlaub ist nicht einfach. Und klar ist auch: Das ist nicht jedermanns Sache. 2020 ist aber in keiner Hinsicht einfach und erst recht nicht gewöhnlich. Bisher waren wir Deutschen wohl immer das Inventar der Hotels. Vielleicht ist die Krise jetzt die Inventur. Denn es ist nicht nur so, dass wir uns die Frage stellen, ob wir diese Art des Tourismus wirklich brauchen. Die Gastgeber fragen sich genauso, ob sie diese Art des Tourismus überhaupt noch wollen. Die Krise hat nämlich gezeigt, dass Glück nicht käuflich ist. Und überlaufene Touri-Hochburgen spenden Einheimischen so wie Touristen schon längst keine Freude mehr.
Schöne Plätze in Deutschland
Auch in unserer nächsten Nähe gibt es schöne Ecken und Winkel zu entdecken, zum Beispiel die bayerischen Seen oder den Bayerischen Wald. Eine Völkerwanderung auf Arber, Rachel und Lusen macht allerdings keinen Spaß. Versuche doch deshalb mal was Anderes und besuche zum Beispiel das malerische Altmühltal. Zwischen Eichstätt, Beilngries und Kelheim schlängelt sich dort die Altmühl und drumherum gibt es viel Platz zum Wandern und Radeln. Auch nördlich des Weißwurstäquators gibt es vieles zu entdecken. Vom Brombachsee über Spalt und Rothenburg ob der Tauber bis nach Würzburg findet sich eine Region Bayerns, die zum Verweilen einlädt.
Außerhalb unseres "schönsten Bundeslandes der Welt" sind es die Mecklenburgischen Seen, die eine wunderschöne Landschaft und reichlich Abwechslung bieten. Im Spreewald entdeckt man neben den heimischen Gewürzgurken zum Beispiel mystische Urwälder und uralte Fortbewegungsmethoden. Dieser ist deshalb vor allem für naturaffine Menschen ein "Place to be".
Das Künstlerdorf Worpswede, unweit entfernt von Bremen, dürfte dagegen kulturinteressierte Leute ansprechen. Von dort aus kann man je nach Lust und Laune auch wunderbare Stadt- und Wattausflüge unternehmen.
Auch der Südwesten Deutschlands hat einiges zu bieten. Neben dem historischen Trier bietet diese Region mit dem Moseltal auch den Feinschmeckern unter euch ein Stück "Italien-Ersatz" - zumindest für den Gaumen. Weiter südlich kommen bayerische Geschichtsfans in der ehemaligen Exklave rund um Speyer und Worms auf ihre Kosten.