Interview

Sonja Gräfen über Poetry Slam und ihre Bücher

Autorin, Poetry-Slammerin und Netzfeministin Svenja Gräfen über Freiheit, ihr politisches Engagement und das unvermeidbare Scheitern von Utopien.


sized
Von Redaktion Freistunde

Hallo Svenja, du kommst
eigentlich aus der Poetry-Slam-Szene. Wie war dein Weg
vom Slam zum Buch?

Svenja Gräfen: Die Frage finde ich spannend. Mir wird oft gesagt, du bist Slammerin, hast dort deine Wurzeln. Tatsächlich habe ich vorher schon Prosa geschrieben, hatte bloß nie eine Plattform und wusste nicht, was ich mit meinen Texten anfangen kann. Leider wurde mein Schreiben auch in der Schule nie gefördert. Durch Zufall hab' ich irgendwann Poetry Slam entdeckt - und dachte mir: "Krass, da gibt es ein Format, bei dem du Texte mit einem Publikum teilen kannst. Das probier' ich einfach mal aus." Ich hab' das dann genutzt, um zu experimentieren, aber zu keinem Zeitpunkt gedacht, dass ich nur noch Bühnentexte schreiben will.

Bei Poetry Slams ist die
Performance auf der Bühne
wichtig. Welche Rolle spielt
das für dich?

Eine große. Da gibt es so einen Leitsatz, den ich bei meinen Workshops gerne sage: Einen sehr guten Text kann man mit einer schlechten Performance zerstören und einen sehr schlechten Text mit einer guten Performance retten. Das ist einer der größten Unterschiede zur klassischen Lesung. Es geht beim Slam auch darum, das Publikum direkt anzusprechen. Die Texte sind zugänglicher. Man kann mehr ausprobieren, weil man nicht am Tisch sitzt und ein Wasserglas vor sich hat, sondern vorm Mikro steht und maximal das Textblatt in der Hand hält. Auf jeden Fall haben die Slams dafür gesorgt, dass ich mich auf der Bühne sehr sicher fühle und souverän bin, und das lässt sich natürlich hervorragend für Lesungen nutzen.

Kommen wir zu deinen Büchern. Man bekommt den Eindruck,
dass dich vor allem Beziehungen
interessieren. Wie kommst du
zu deinen Themen?
Kann man sagen, es sind
gar keine Themen, sondern
eher zwischenmenschliche
Versuchsanordnungen?

Ja, das stimmt. Ich finde Beziehungen unglaublich spannend, also jegliche Form - egal ob familiäre, Liebes- oder Freundschaftsbeziehungen. Mich interessiert das Psychosoziale. Und auch: Welchen Einfluss haben Vergangenheit und Erfahrungen auf das Leben und Verhalten eines Menschen? Was führt zu Konflikten?

In deinem aktuellen Buch
"Freiraum" versuchen die
Hauptfiguren, ein Gegenmodell
zu Selbstoptimierung,
Gentrifizierung und Kapitalismus zu leben. Sie scheitern. Warum?

Leider ist es nicht so einfach, dass man bloß sagen muss: Kein Kapitalismus für uns, wir legen alle zusammen und kümmern uns umeinander und niemand ist irgendjemandem etwas schuldig. Denn damit lässt man nicht automatisch die ganze Sozialisation mit ihren Strukturen und Mustern hinter sich. Ich glaube, dafür braucht es ein sehr viel größeres Umdenken. Welche Möglichkeiten haben wir innerhalb der Gesellschaft? Können wir überhaupt echte Gegenmodelle entwerfen? Wo sind da die Grenzen? Gibt es ein richtiges Leben im falschen? Da spielt dann auch wieder das Zwischenmenschliche hinein, wir sind alle nicht frei von Vorurteilen und Ego ...

Du hast von Sozialisation
gesprochen, von erlernten
Mustern, an denen wir uns
orientieren. Können wir
überhaupt mit Freiheit umgehen oder macht uns Freiheit Angst?

Die Frage ist vielleicht eher: Gibt es überhaupt Räume, in denen man komplett frei sein kann? Es gibt ja diese Rainbow Gatherings, modernes Hippietum quasi. Da trifft man sich an irgendwelchen Stränden, um dort tagelang autark zu leben und zu singen und zu meditieren. Eine Freundin hat mir mal sehr begeistert davon erzählt, dass man sich dort wirklich frei fühlen könne. Aber bestimmte Dinge sind auch dort nicht erlaubt. Zum Beispiel Handys oder generell Internet. Da gibt es dann also auch wieder Regeln, andere halt. Ich denke, man steckt immer Grenzen ab, um sich von anderen zu unterscheiden.

Du bist politisch sehr aktiv,
vertrittst feministische Positionen. Empfindest du deine Bücher
als politisch?

Ich würde sagen, das Politische steht da nicht im Vordergrund. "Das Rauschen in unseren Köpfen" hab' ich mit 22 begonnen, da habe ich mich noch nicht viel mit Feminismus beschäftigt. Das ist in den vergangenen sechs Jahren viel mehr geworden. Als das Buch dann rauskam, hatte ich schon einen kleinen Namen als Netzfeministin und die Leute waren teilweise erstaunt, dass es nicht viel feministischer ist. Ich hatte das Buch aber nicht angefangen, weil ich dachte, ich müsste jetzt Feminismus in Buchform raushauen. Obwohl ich das Schreiben mittlerweile auch als aktivistisches Werkzeug nutze, liegt mein Fokus gerade bei Prosa eher auf der Sprache. Aber auch klar: Je mehr ich für gewisse Themen sensibilisiert bin, desto mehr fließen die automatisch mit ein.

Gab es einen Auslöser,
warum du politischer
geworden bist?

Ich war schon immer in gewisser Weise politisch. Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen. Da gab's nicht so oft die Möglichkeit, auf eine Demo zu gehen, aber ich hatte einen ziemlich politischen Freundeskreis. Hauptsächlich Antifa und so. Feminismus hab' ich immer mit Alice Schwarzer verbunden - das totale Klischee. Ich kenn' das von vielen Feminist*innen. Bevor Social Media so groß war, habe ich vieles nicht mitbekommen. Ich dachte: "Brauchen wir Feminismus überhaupt noch?" Über Freundinnen, Kolleginnen und Hashtags wie #aufschrei hat es dann angefangen, und ich hab' begonnen, Blogs zu lesen und mich zu informieren.

Zum Abschluss noch eine
unpolitische Frage: Hast du schon eine Idee für ein neues Buch?

Ich habe mich dieses Mal bewusst dazu entschieden, kein neues Projekt zu beginnen, solange ich noch Lesungen habe. Ich bin ab Oktober in einem Aufenthalts-Stipendium und hab' mir vorgenommen, ab da wieder zu schreiben. Am liebsten Erzählungen.