Die Posts von @tagescollagen auf Instagram zeigen Textfetzen und Bildschnipsel - ein wirrer Eindruck. Erich Wiesmüller kreiert diese dreizeiligen Gedichte, angelehnt an japanische Haikus. Der Wiener verwendet aktuelle Headlines. So will er "auf das Zeitgeschehen mit einem Künstlerblick reagieren". Wer sich auf die Kunst einlässt, erkennt ihren Tiefgang.

In der Collage vom 31. Dezember 2020 erleben "Rechtslenker" einen "Kontrollverlust". Die Anspielung auf den Linksverkehr und die Flagge des Königreichs verweisen darauf, dass die Briten gemeint sind. Die Collage erschien am letzten Tag Großbritanniens im EU-Binnenmarkt. Aus Sicht Kontinentaleuropas steuert das Volk seither planlos vom Festland weg.

Nicht nur für Europa, sondern weltweit ist Corona zur Zeit das entscheidende Thema. Erich Wiesmüllers Collagen zeigen ein offenbar heilsames Mittel gegen Chaos und Verzweiflung im Lockdown: Alkohol. So gibt es als Belohnung fürs Testen "1000 ml Veltliner". Der einsame Suff wandelt sich zum Sinnbild des sozialen Stillstands.

Andere Collagen werfen Fragen auf. Am Ende steht eine bittere Erkenntnis. Zum Beispiel im Gedicht vom 29. Januar 2021. Der Dichter bezeichnet "das Kunststück namens Menschenwürde" als "verortet, verirrt, verstrickt" und als "unendlich endlich". Die Menschenwürde sollte unumstößlich sein. Tatsächlich ist sie verletzlich. Wir alle müssen sie stets schützen.

Aus welchem Anlass Erich Wiesmüller die Botschaft senden wollte, verschweigt er. Der Dichter erklärt seine Werke nicht. "Sie sind, was der Einzelne in ihnen erkennen will."