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Vroni Gruber erzählt die Wahrheit über Feminist*innen
8. Januar 2021, 11:02 Uhr aktualisiert am 22. April 2021, 13:12 Uhr
Feminist*innen?! Das sind doch diese schreienden Frauen, die sich ihre Kleider vom Leib reißen und nackt protestieren, oder? Falsch! Nicht jeder ist so radikal, weiß Vroni Gruber (24) aus Passau. In ihrer Serie "Frauenpower" räumt sie mit Klischees auf.
Feminist*innen sind haarige Frauen, die aus Protest BHs verbrennen und vor allem durch eine große Klappe und belehrende Vorträge über sexistische Männer auffallen. Letzteres natürlich nur, weil sie tief in ihrem Inneren eigentlich unglückliche Singles sind, die zu oft im Laufe ihres Liebeslebens gekränkt wurden. Dieses Bild der wütenden, ungepflegten und frustrierten Frau wird gerne zurate gezogen, wenn man versucht, sich vorzustellen, was ein*e Feminist*in macht. Zum Glück trifft das absolut nicht auf die Realität zu.
Klar, Protest und Aktivismus können unterschiedlich ausfallen und auch im Feminismus gibt es sanftere und härtere Formen des Engagements. Von Diskussionen im privaten Umfeld über den heutzutage so gern genutzten Social-Media-Aktivismus bis hin zur Teilnahme an Pride-Paraden und Demonstrationen ist alles dabei. Dementsprechend schwer ist es, zu beschreiben, was ein*e Feminist*in konkret macht oder wie genau man dazu wird. Schließlich ist Feminismus kein Beruf und auch kein Hobby, sondern eine Lebenseinstellung.
Ich bin mal in mich gegangen und habe über die Frauen und Männer in meinem Umfeld nachgedacht, die sich mit Feminismus beschäftigen und damit, wie ich selbst mit dem Thema in Berührung gekommen bin und was mich dazu geführt hat, mich heute als Feministin zu bezeichnen. So verschieden die Personen sind, über die ich nachgedacht habe - ein paar Dinge haben sie doch gemeinsam.
Lernbereitschaft und Empathie
Die wichtigsten Eigenschaften im Einsatz für Gleichberechtigungsbewegungen sind definitiv die Weiterentwicklung der eigenen Sensibilität und Empathie, eine hohe Lernbereitschaft und der Wille, die eigenen, von Kindertagen an eingestampften Glaubenssätze kritisch zu hinterfragen und eventuell auch loszulassen oder zu ändern. Man beginnt, viele Fragen zu stellen: Soll ich mir das gefallen lassen, dass mir dieser unangenehme Typ jedes Wochenende in der Disco an den Po fasst? Sind Kommentare wie "Du bist heute mal wieder knapp bekleidet!" wirklich okay, wenn ich mit meinen Lieblingsshorts das Haus verlasse und mir plötzlich wegen dieser Aussage Gedanken machen muss, ob ich nicht "zu leicht bekleidet" bin? Ist das Schönheitsideal von schlanken, haarlosen, weißen, ewig jungen Frauen und von muskulösen, ebenso nahezu haarlosen und weißen jungen Männern in den Medien wirklich das Nonplusultra der Ästhetik? Kann ich mit meiner Figur diese Leggings tragen? Muss ich mir unbedingt die Beine rasieren, obwohl ich gar keine Lust darauf habe? Warum gelte ich als "leicht zu haben", wenn ich gerne flirte, und als "prüde", wenn ich es nicht tue? Will ich mich an den Lästereien über das Liebesleben und das Aussehen anderer beteiligen? Übe ich bestimmte Tätigkeiten im Haushalt nur aus, weil ich mich meines Geschlechts wegen dazu verpflichtet fühle?
Der Deckmantel des Patriarchats
Diese Liste könnte ich endlos weiterführen. Und je mehr und je länger man sich mit diesen Fragen beschäftigt, desto mehr gesellschaftliche Strukturen fallen einem auf, die unter den Deckmantel des Patriarchats fallen, und die uns auf verschiedene Weisen begrenzen, verletzen und verunsichern - sei es bei der Klamottenwahl, im Hinblick auf das Liebesleben, auf den Umgang mit übergriffigem Verhalten und so vielem mehr. Auf irgendeine Weise kann man es im Rahmen dieser eingefahrenen Strukturen nie recht machen - und dieses Gefühl stresst einen und nagt am Selbstwert.
Feminismus will daher diese Strukturen sprengen und uns allen die Möglichkeit schenken, bedenkenlos und ohne Furcht unseren Kleidungsstil, unsere Art zu lieben, unsere Körper, unsere eigene Definition von Schönheit und von Sexualität sowohl nach innen als auch nach außen zu leben, ohne dafür verurteilt oder verletzt zu werden. Feminismus umfasst auch den Protest gegen Rassismus, Klassismus, Homophobie und weitere Formen der Diskriminierung in unserer Gesellschaft.
Diskriminierung enttarnen
Diese gerade genannten Fragen schaffen ein Bewusstsein dafür, dass auch in den kleinsten Alltagssituationen Menschen aufgrund ihres Geschlechts, aber auch ihrer Hautfarbe, ihres Aussehens, ihrer sexuellen Orientierung und den damit einhergehenden Stereotypen diskriminiert werden. Feminist*innen versuchen daher grundsätzlich, mehr über diese diskriminierenden Situationen in Erfahrung zu bringen, zum Beispiel durch Bücher, Diskussionen, Filme oder Konferenzen. Sie versuchen, sie als Elemente der patriarchalischen, rassistischen, homophoben und klassistischen Strukturen unserer Gesellschaft zu enttarnen und darüber mit anderen zu kommunizieren. Auf welche Art dabei kommuniziert wird, ist dabei natürlich jeder*m selbst überlassen.
Feminist*innen befinden sich außerdem in einem permanenten Lernprozess, der vermutlich nie endet. Denn immer wieder ereignen sich neue Situationen, in denen Frauen oder Männer Sexismus, Rassismus, Klassismus oder Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung erleiden und aus denen man lernen kann. Diesen Lernprozess wollen sie auch bei anderen Menschen anstoßen - im besten Fall, ohne dabei selbst belehrend zu wirken. Denn wie wir gerade festgestellt haben, lernt man ja nie aus - auch Feminist*innen nicht.
Zudem wollen Feminist*innen die Empathie und Sensibilität für Situationen, in denen jemand verurteilt wird, an möglichst viele Menschen weitergeben. Besagte Vorurteile sollen so auch abgebaut werden, so dass allmählich limitierende Stereotype darüber, wie ein Mann oder eine Frau zu sein hat, in Vergessenheit geraten. Auf diese Weise kann eine Gesellschaft entstehen, die offen und tolerant ist und die uns nicht ständig suggeriert, auf irgendeine Art und Weise unzulänglich zu sein. Klingt gut und mal so gar nicht nach brennenden BHs, oder?