"Die Schnauze voll"
Eisenbichlers Sinnsuche vor der Tournee
23. Dezember 2021, 14:21 Uhr aktualisiert am 23. Dezember 2021, 15:13 Uhr
Markus Eisenbichler kommt die Weihnachtspause sehr gelegen. Ausgerechnet vor der Vierschanzentournee steckt der Flugkünstler in einer Spring- und Sinnkrise.
Wohl dem, der an Weihnachten einen Markus Eisenbichler im Hause hat. Denn am Gabentisch ist der bayrischste aller Skispringer ein ungemein unkomplizierter Zeitgenosse. "Wenn irgendwas vom Herzen kommt, dann reicht es mir schon - ob mir das passt, oder nicht", sagt der "Eisei": "Ich freue mich auch über das ehrliche Geschenk meiner Oma - Duschgel, Deo und Socken. Ich brauche im Endeffekt nix."
Doch so genügsam Eisenbichler im Privaten ist, so anspruchsvoll ist er als Sportler. Und weil da so kurz vor der am Dienstag beginnenden Vierschanzentournee beim sechsmaligen Weltmeister rein gar nichts zusammenpassen will, der Frust größer als die Freude am Fliegen ist, kommt die kurze Weihnachtspause vor dem Auftakt in Oberstdorf gerade recht. "Beieinander sein zu können, ist mir im Moment viel wichtiger als Geschenke", sagt Eisenbichler.
Kurz vor der Tournee: Markus Eisenbichler ist "genervt"
Bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg stapfte der 30-Jährige fauchend und fluchend durch den Auslauf, hatte "die Schnauze voll", war ratlos: "Dass es so schlecht läuft, nervt mich." Während sein etatmäßiger Zimmerkollege und Kumpel Karl Geiger im Weltcup führt und als Favorit zur Tournee fährt, krebste Eisenbichler in den drei Springen vor dem ersten Saisonhöhepunkt auf den Plätzen 40, 27 und 35 herum.
"Ich lasse mich nicht unterkriegen", sagt er zwar. Doch ein Ausweg aus seiner Schaffenskrise zeichnet sich nicht ab. Eisenbichlers Krux: Er, der privat über Lockerheit als Werkseinstellung verfügt, hat diese auf der Schanze verloren. Und je mehr es Eisenbichler mit der Brechstange versucht, umso schlimmer wird es.
Eisenbichlers Teufelskreis
"Das tut mir weh mitanzusehen", sagt Sven Hannawald, 2001/02 bislang letzter deutscher Tourneesieger im Gespräch: "Wenn er weiß, was er abrufen soll, ist Markus der Wahnsinn. Wenn er aber auf der Suche ist, kann er sich wie in Engelberg so weit runterarbeiten, dass er den zweiten Durchgang verpasst, weil er innerlich so vogelwild wird."
Schon im vergangenen Winter war Eisenbichler die Leichtigkeit abhanden bekommen. Zwar wurde er Zweiter im Gesamtweltcup, Dritter bei der Flug-WM und holte zwei Team-Titel bei den Heim-Weltmeisterschaften in Oberstdorf, doch bei den Einzel-Höhepunkten klappte wenig: Platz 16 bei der Tournee, zweimal WM-Rang 17. Und dann folgte im Herbst ein böser Trainingssturz in Klingenthal, an dem Eisenbichler lange knabberte.
Eisenbichlers System ist fragil - doch die Hoffnung stirbt zuletzt
"Ich war dann irgendwann ratlos und habe zu den Trainern gesagt: Bitte helft mir. Ich habe keine Ahnung mehr, wie ich agieren soll", erzählt Eisenbichler. Bundestrainer Stefan Horngacher und sein Team brachten den deutschen Skiflug-Rekordler zwar bis Saisonstart halbwegs in die Spur, Eisenbichler sprang im Weltcup zweimal auf das Podest. Doch die Schwankungen sind immens, sein System ist fragil.
"Es ist ein Ritt auf der Rasierklinge", sagt Horngacher. Dass er seine "Nummer 1b" neben Geiger schnell wieder flugtauglich bekommt, diese Hoffnung hat der Coach noch nicht aufgegeben: "Es gibt eine große Chance, dass er bei der Tournee oder über die Tournee wieder in seine Topform kommt. Momentan ist es ganz nah dran an seinem speziellen Markus-Eisenbichler-Düsenflieger-Bereich."