Keller und Beierlorzer im Interview
"Die 2. Liga ist momentan noch ein Geschenk"
2. August 2018, 16:50 Uhr aktualisiert am 2. August 2018, 16:50 Uhr
Der SSV Jahn Regensburg startet am Samstag mit einem Heimspiel gegen den FC Ingolstadt in die neue Saison in der 2. Fußball-Bundesliga. Die Vorfreude ist groß. Wie verlief die Vorbereitung? Wie haben sich die Neuzugänge integriert? Ist das zweite Jahr wirklich immer das schwerste? Wie entwickelt sich der Jahn neben dem Sportlichen? Wohin soll der Weg des Jahn führen? Im großen idowa-Interview blicken Geschäftsführer Christian Keller und Trainer Achim Beierlorzer auf die Spielzeit voraus.
Die Vorbereitung des SSV Jahn geht zu Ende. Wie fällt Ihr Fazit aus, Herr Beierlorzer?
Achim Beierlorzer: Wir sind bereit. Wir freuen uns auf das Auftaktspiel gegen den FC Ingolstadt, für uns ist das ein Topspiel. Ich habe in den neun Testspielen viele gute Dinge gesehen. Die Mannschaft zieht hundertprozentig mit und wir haben bis auf die beiden Langzeitverletzten (Oliver Hein und Wastl Nachreiner, Anm. d. Red.) und Markus Palionis alle Spieler verletzungsfrei.
Wo lag der Fokus in der Vorbereitung?
Beierlorzer: Das Ziel in der Vorbereitung ist immer das erste Pflichtspiel - da will man voll da sein. Wir hatten im Fokus, dass wir weniger Gegentore bekommen. Das haben wir insbesondere gegen die starken Drittligisten Zwickau und Unterhaching gut hingekriegt und auch gegen Sandhausen haben wir nahezu nichts mit Ausnahme eines Standardgegentors zugelassen. Die Fitness ist da, die Abstimmung passt, die Mannschaft ist extrem willig. Da bin ich sehr zufrieden.
Bis auf Julian Derstroff war zu Vorbereitungsbeginn schon der gesamte Kader zusammen. Ein großer Vorteil, Herr Keller?
Christian Keller: Mit Sicherheit. Das Trainerteam hatte dadurch die Möglichkeit, von Anfang an mit fast allen Spielern zu arbeiten und gerade den Neuzugängen unsere Spielidee näherzubringen. Es war auch gut für die Gruppe an sich, dass sie zusammenwachsen kann. Die Mannschaft war zwar bereits intakt, aber die neuen Spieler müssen dennoch integriert werden. Hier hilft es, wenn man für diesen Prozess sechs statt zwei Wochen Zeit hat.
Inwieweit hat es Ihnen, Herr Beierlorzer, die Arbeit erleichtert?
Beierlorzer: Es ist ein Vorteil, wenn man über sechs Wochen Einfluss nehmen kann und nicht nur über eine oder zwei. Aber die Arbeit an sich macht es nicht leichter oder schwerer. Wir mussten genauso intensiv an den Aspekten arbeiten, die uns wichtig sind: mannschaftliche Geschlossenheit, die Abstimmung auf den einzelnen Positionen und die Integration der neuen Charaktere. Es verändert ja schon auch manchmal den Charakter einer Mannschaft, wenn man zwei, drei Neuzugänge drin hat. Hier war es uns sehr wichtig, dass uns die Art und Weise, wie wir arbeiten, und die Mentalität in der Mannschaft erhalten bleiben. Das ist uns absolut geglückt. Die Neuzugänge passen voll zu unserer Mannschaft und sind bestens integriert.
Worauf legen Sie Wert bei der Auswahl der Neuzugänge?
Keller: Uns ist wichtig, dass ein neuer Spieler als Persönlichkeit zu uns als Club, zu unserer Mannschaft und zu unserer Ausrichtung passt. Sportlich muss der Spieler in der Lage sein, in unserer Spielidee zu agieren. In Summe muss aus allen Komponenten die Überzeugung resultieren, dass uns der Spieler direkt oder auf Sicht besser machen kann.
Wie läuft die Suche der Neuzugänge, wie ist der Jahn inzwischen beispielsweise im Bereich Scouting aufgestellt?
Keller: Grundsätzlich haben wir mehrere Scouts, die unterschiedlichen Scoutingligen zugeteilt sind. Die gehen jedes Wochenende "on tour", schauen sich Spiele an - zum Teil nach freier Auswahl, zum Teil auch nach Vorgabe, wenn uns ein Spieler besonders interessiert. Zu Wochenbeginn bekomme ich dann standardisiert Scoutingberichte. Wenn da ein Spieler besonders positiv dargestellt wird, schaue ich mir den im ersten Schritt auf einer Videoplattform an, die uns ermöglicht, weltweit jedes Spiel zu sehen. Deckt sich mein Eindruck mit jenem der Scouts, dann schaut sich Achim den Spieler ebenfalls an. Entsteht im Anschluss ein geschlossenes, einheitlich positives Bild aller Beteiligten, dann beobachte ich den Spieler auch selbst mal live. In der Folge laden wir den Spieler dann zum Gespräch ein und versuchen, ihn als Typ kennenzulernen. Uns ist die Persönlichkeit sehr wichtig. Deshalb holen wir uns vorher auch schon Meinungen von Wegbegleitern des Spielers ein, entscheidend ist aber immer der persönliche Eindruck.
Ist für Sie der Charakter wichtiger als die sportliche Qualität?
Keller: Die sportliche Qualität muss schon auch gegeben sein. Aber wenn nur die sportliche Qualität passt und wir den Eindruck haben, der Spieler passt nicht in unser Kollektiv, dann würden wir ihn nicht verpflichten.
Beierlorzer: Wir drehen es aber natürlich auch nicht um. Jemand, der einen super Charakter hat, uns aber sportlich nicht weiterhilft, kommt nicht in unsere Auswahl. Beides muss passen.
Teamgeist ist die größte Qualität des Jahn - stimmen Sie dieser These zu?
Keller: Teamgeist ist auf jeden Fall eine ganz wichtige Qualität. Teamgeist ist aber nicht per se gegeben, da muss man in jedem Training, in jedem Spiel und auch abseits des Platzes stetig daran arbeiten.
Beierlorzer: Das ist etwas, das unsere Mannschaft auszeichnet. Ein ganz großer Wert, den wir auch hüten.
Bei uns gibt es keine "Chiller"
Sprechen wir über das Sportliche. Wie schwierig war es, die Neuzugänge an die Jahn-Spielweise heranzuführen?
Beierlorzer: Wenn wir uns Spieler als potenzielle Neuzugänge anschauen, dann achten wir natürlich schon auf Kernkompetenzen für unsere Philosophie. Wenn ein Spieler zum Beispiel überhaupt nicht nach vorne verteidigt, dann ist er für uns nicht interessant. Die Grundvoraussetzungen müssen da sein und die haben alle unsere Spieler. Manche müssen sich vielleicht schon erst ein bisschen umstellen, weil sie diesen Fußball zuletzt bei ihrem Verein nicht gespielt haben.
Wie weit sind die Spieler schon bei der Anpassung an die Spielidee?
Beierlorzer: Wir hatten hier den bereits angesprochenen Vorteil, dass wir zusammen sechs Wochen Zeit hatten in der Vorbereitung. Ich bin sehr zufrieden. Wir sind da schon sehr weit. Es geht aber bei allen Spielern - egal ob Neuzugang oder nicht - immer noch besser, denn wir sehen bei allen noch Potenzial nach oben.
Wie sieht die Jahn-Spielidee kurz zusammengefasst aus?
Keller: Das ist schwierig in Kürze darzustellen. Grundsätzlich wollen wir nach Ballverlust den Ball schnellstmöglich wieder gewinnen. Dafür wollen wir hoch, vorwärts, ballorientiert und im Kollektiv verteidigen. Nach Balleroberung soll die Mannschaft möglichst schnell nach vorne spielen und zum Torabschluss kommen. Mit Ball wollen wir sehr einfach spielen.
Beierlorzer: Über dem Ganzen steht eine proaktive Weise, Fußball zu spielen. Wir wollen immer aktiv sein und selbst bestimmen, wie wir den Ball erobern oder wie schnell wir bei Ballbesitz zum gegnerischen Tor kommen. Unser Ziel ist nicht der Ballbesitz, unser Ziel ist das Tor. Deshalb haben wir in der vergangenen Saison auch mit die meisten Flanken und Torschüsse in der Liga abgegeben. Proaktiv heißt, dass wir auch schon einen Schritt voraus denken. Das ist sehr anstrengend. Sowohl mit dem Ball als auch gegen den Ball erfordert das eine permanente Aktivität, es gibt keine "Chiller" bei uns, die sich ausruhen können.
Inwieweit hilft es für die Spielidee, in der man vieles im Kollektiv löst, dass die Mannschaft auch abseits des Platzes geschlossen auftritt?
Keller: Der Grundgedanke ist: Gib dein Bestes für die Mannschaft und für den Nebenmann. Dann hilft dir auch dein Mitspieler, wenn du Hilfe benötigst. Da ist es mit Sicherheit nicht von Nachteil, wenn das Kollektiv nicht nur auf dem Platz, sondern auch daneben gestärkt wird.
Wird das zweite Jahr schwieriger?
Blicken wir auf die neue Saison voraus: Wohin soll der Weg des Jahn gehen?
Keller: Unser Ziel, und das ist ein großes Ziel, ist der erneute Klassenerhalt. Wir wollen so schnell wie möglich 40 Punkte holen. Wenn wir das schaffen, dann schauen wir, wie viele Spiele noch übrig sind. Der Blick geht aktuell aber noch nicht auf die 40 Punkte, sondern ausschließlich auf das Spiel gegen Ingolstadt. Wir wissen, dass wir an jedem Spieltag den Fokus nur auf dem jeweiligen Spiel haben dürfen, weil wir alles abliefern müssen.
Was halten Sie von der Aussage, dass das zweite Jahr in einer neuen Liga schwieriger ist als das erste?
Keller: Ich würde es anders formulieren: Leistung zu bestätigen ist eine größere Aufgabe als einmal eine gute Leistung abzuliefern. Für uns geht es nun darum, Leistung zu bestätigen. Vergangene Saison haben die Spieler gezeigt, dass sie 2. Bundesliga spielen können. Jetzt müssen sie zeigen, dass sie auch nachhaltig Zweitligaspieler sind.
Beierlorzer: Die Frage für mich ist: Warum sagt man, dass das zweite Jahr schwieriger ist? Das ist häufig so, weil es plötzlich eine ganz andere Erwartungshaltung gibt. Wir dürfen in der Mannschaft nicht das Gefühl haben, dass wir letztes Jahr etwas Tolles erreicht haben und dass es jetzt in irgendeiner Art und Weise leichter wird, das zu wiederholen, weil wir es ja schon mal gezeigt haben. Deswegen ist es vielleicht sogar richtig, dass das zweite Jahr schwerer ist. Diese Bereitschaft aus dem letzten Jahr, alles im Kollektiv zu investieren, muss weiter bestehen bleiben.
Wenn man sich nur Marco Grüttner anschaut, der vorlebt, dass es keine Pause gibt, dann gibt es in diesem Punkt aber bei Ihrer Mannschaft wohl wenig Grund zu zweifeln.
Beierlorzer: Absolut, da bin ich voll bei Ihnen. Dennoch ist es für uns wahnsinnig wichtig, das immer zu wiederholen. Das ist wie bei einer geschlossenen Mannschaft: die hat man nicht einfach so, die prägt sich jeden Tag aus. Jede Kleinigkeit, die wir jetzt als falsches Signal senden würden an die Mannschaft, wäre nicht gut. Auf keiner Ebene im Verein dürfen wir nachlassen, sondern müssen in diesem 100-Prozent-Modus bleiben.
Keller: Es muss jeder Anspruchsgruppe klar sein: 2. Bundesliga ist für den Standort momentan noch ein Geschenk, und das wird es auch noch auf absehbare Zeit bleiben. Wir konkurrieren mit Standorten wie Hamburg und Köln, damit kann sich Regensburg nicht vergleichen. Dass wir mit denen mitspielen dürfen und im Idealfall auch konkurrenzfähig sind, das ist keine Selbstverständlichkeit. Deshalb müssen wir uns auf jedes Spiel in dieser Liga freuen.
Sie sprechen Köln und Hamburg an: Wie wird sich die Liga in dieser Saison entwickeln?
Keller: Ich erwarte wieder eine sehr starke Liga. Man muss sich nur das Namenstableau der anderen Mannschaften angucken. Was da so spielt, das ist schon echt gut an Qualität auf dem Papier (schmunzelt). Entscheidend ist aber am Ende, wer was auf den Rasen bringt. Da könnte ich mir vorstellen, dass sich dieses Jahr an der Spitze vielleicht eine Mannschaft absetzt. Da habe ich vor allem den 1. FC Köln im Blick. Dahinter, davon gehe ich aus, wird es wieder sehr eng zugehen.
Was wird wichtig sein für den Jahn, um da wieder zu bestehen?
Beierlorzer: Wir müssen als Kollektiv auftreten, müssen in jedem Spiel alles investieren und uns auf jedes einzelne Spiel fokussieren. Ein Sieg gegen Aue bringt genauso drei Punkte wie ein Sieg gegen den HSV. Die Fokussierung ist ganz wichtig. Wir wissen, wo wir herkommen. Wir werden immer darauf hinwirken, dass keiner abhebt, dass wir bodenständig bleiben, aber dennoch auch ambitioniert sind.
"Wir haben noch viel Arbeit vor uns"
Die ganz große Euphorie scheint trotz der herausragenden Saison noch nicht ausgebrochen zu sein. 4.600 Dauerkarten wurden verkauft, wie bewerten Sie diese Zahl?
Keller: Wir haben uns um knapp zehn Prozent verbessert, haben also wieder einen Schritt nach vorne gemacht. Bis Ende August setzt man im Regelfall auch noch Dauerkarten ab. Wenn sich die Zahl noch steigern würde, wäre es schön, die 5.000er-Marke wäre ein erstrebenswertes Ziel. Wenn wir die in diesem Jahr noch nicht kratzen sollten, dann arbeiten wir daran, dass wir sie spätestens im nächsten Sommer überschreiten.
Emotional hätten Sie sich nach Platz fünf in der 2. Bundesliga aber schon mehr erhofft, oder?
Keller: Meine Aufgabe ist es, den Jahn rational zu führen. Dass nach und nach wieder etwas Begeisterung für den Jahn gewachsen ist, immer mehr Kinder mit Jahn-Trikots rumlaufen, immer mehr Leute ins Stadion kommen, das ist noch kein stabiler Zustand. Wir sprechen übergeordnet von einem Kulturwandel, den der Jahn vollziehen muss. Als Organisation wurde dieser auch schon vollzogen, aber dass der Kulturwandel in der Breite bei allen Anspruchsgruppen ankommt, das geht nicht von heute auf morgen. Da muss man eher in einem Jahrzehnt denken. Es wird nicht alles sprunghaft nach vorne gehen. Wir gehen immer wieder kleine Schritte, auch wenn man sich emotional vielleicht das eine oder andere Mal erhoffen würde, dass es sprungfix geht.
Wie weit ist der Jahn auf dem Weg zu seinem Ziel, eine gesellschaftliche Verankerung in Ostbayern zu schaffen und ein guter Botschafter für die Region zu sein?
Keller: Wenn ich es mit einem Marathon vergleiche, dann haben wir aktuell den halben Weg geschafft.
Zur Entwicklung des Jahn gehört auch die Infrastruktur. Wie stolz sind Sie, wenn sie am Trainingsgelände sind und sehen, dass fleißig gearbeitet wird und ein neuer Trainingsplatz für die Profis entsteht?
Keller: Das freut mich tatsächlich sehr. Das ist der in Stein gemeißelte Beweis, dass sich der Jahn positiv nach vorne entwickelt. Wenn der Platz einmal fertig ist, das habe ich intern schon ein paar Mal scherzhaft gesagt, dann campe ich hier zwei Tage, weil ich mich so darüber freue (lacht). Aber auch wenn der neue Platz fertig ist, sind wir noch nicht am Ende angekommen, denn auch das Funktionsgebäude ist nicht zeitgemäß. Das wäre dann der nächste Schritt. Wir haben noch viel Arbeit vor uns, um in jedem Bereich auf ein gutes Wettbewerbsniveau zu kommen.
Damit die Entwicklung weitergeht, braucht es Geld. Damit man Geld bekommt, ist es von großem Vorteil, wenn man in der 2. Liga bleibt und weiter an den TV-Geldern partizipiert. Wie hat sich der Jahn hier entwickelt?
Keller: Wir haben uns in der vergangenen Saison auf einem Umsatzniveau von knapp 17 Millionen Euro bewegt. Wir planen, dieses Umsatzniveau in dieser Saison zu überschreiten und 18 Millionen oder mehr einzufahren. Dafür ist die größte Ertragssäule tatsächlich der Erlös aus der TV-Vermarktung, knapp gefolgt von den Sponsoring-Erlösen. In der TV-Tabelle haben wir uns durch die letzte Saison von Platz 17 auf 14 verbessert. Das geht mit einem knapp siebenstelligen Betrag einher, um den wir uns hier gesteigert haben.
Zum Abschluss: Wann ist die kommende Saison für Sie ein Erfolg?
Beierlorzer: Wenn wir die Klasse gehalten haben. Völlig egal, auf welchem Platz und an welchem Spieltag. Wenn wir innerhalb von 34 Spielen die Klasse gehalten haben, dann ist es ein Riesenerfolg. Wenn wir sie nach 36 Spielen halten, dann ist es auch ein Erfolg.
Keller: Dem kann ich nur zustimmen. Sportlich ist es ein Erfolg, wenn der Jahn die Klasse hält. Kaufmännisch, wenn wir uns in jedem Bereich der relevanten Vermarktungsfelder nach vorne entwickeln. Und übergreifend, wenn wir es schaffen, dass die Begeisterung für den Jahn sich ein Stück weit stabilisiert oder noch ausgeprägter wird. Die Region soll einfach wieder hinter dem Jahn stehen. Wenn wir da weiterkommen, dann wäre das der nächste kleine Schritt auf unserem Weg.