Kreativität in der Krise

So gehen Menschen in der Region mit der Corona-Pandemie um


Die Menschen in Ostbayern gehen in sehr unterschiedlicher Weise mit der Ausnahmesituation um. Einige beweisen großen Einfallsreichtum.

Die Menschen in Ostbayern gehen in sehr unterschiedlicher Weise mit der Ausnahmesituation um. Einige beweisen großen Einfallsreichtum.

Von Maximilian J. Falk

Die Coronavirus-Krise bringt bei vielen Menschen in der Region erstaunliche Kreativität zum Vorschein. idowa hat fünf von ihnen porträtiert.

Ausgangsbeschränkungen, Auftragseinbrüche für Unternehmen und der drohende medizinische Notstand haben in den letzten Tagen und Wochen gezeigt: Die Menschen sind im Angesicht der Pandemie zu großen Anstrengungen, kreativen Projekten und Solidarität fähig. Auch in der Region machen online zahlreiche Geschichten die Runde, in denen Bürgerinnen und Bürger mit einfallsreichen Aktionen versuchen, dem Coronavirus etwas entgegenzusetzen. Einige wollen helfen, andere sich ausdrücken - manche wollen aber auch einfach nur über die Runden kommen. idowa stellt hier fünf dieser Menschen und ihre Geschichten vor.

Die Hobby-Autorin

Dagmar Dietl aus Achslach im Landkreis Regen hat ein Problem: Die 44-Jährige führt einen Reiterhof, dem momentan aufgrund der Ausgangsbeschränkungen natürlich die Kunden abhanden gekommen sind. "Hinter dem Hof steckt ein immenser Kostenaufwand", sagt die gebürtige Münchnerin - ein Notfallplan musste her. Einen möglichen Ausweg aus der Krise hatte Dietl glücklicherweise schon in der Hinterhand: Letztes Jahr hat sie einen Fantasy-Roman mit dem Titel "Welten - Das Erwachen" geschrieben. "Das Buch war fertig, aber nie wirklich vermarktet", sagt die Pferdeliebhaberin. "Das war meine Idee zur Selbsthilfe." Also begann sie, ihren Roman via Facebook in die Öffentlichkeit zu tragen.

Dagmar Dietl hofft, auf Facebook Käufer für ihren Roman zu finden.

Dagmar Dietl hofft, auf Facebook Käufer für ihren Roman zu finden.

"Die Vorlage für meine Geschichte hat mir der Bayerische Wald mit seinen ganzen mystisch wirkenden Orten gegeben", erklärt die Hobby-Autorin. "Selbstzweifel und fehlende Selbstliebe" sind in ihren Augen ein großes Thema in der Gesellschaft, gerade für Frauen. "Das war die Vorlage für meine Potagonistin. Denn in jedem Menschen steckt etwas Besonderes." Die bisherigen Rückmeldung seien sehr positiv, sagt Dagmar Dietl, aber noch zu wenige. "Ich freue mich trotzdem über jedes verkaufte Buch", fügt sie an. "Jeder Euro zählt."

Der Tüftler

Auch Thomas Schütz aus Landshut hatte in der Krise eine zündende Idee. Der 28-Jährige arbeitet eigentlich als IT- und Steuerungstechniker bei BMW - aber es war sein Hobby, das ihn für viele Menschen in der Region zum Retter in der Corona-Not machte. Denn Schütz ist in der "First-Person-View"-Modellbauszene aktiv, die selbst gebaute Drohnen mit Kameras ausstattet und deren Bilder live auf einen "Piloten" mit 3D-Brille überträgt. Um dafür Bauteile herzustellen, besitzen Schütz und seine Hobby-Kollegen sogenannte "3D-Drucker", mit denen sich dreidimensionale Objekte nach Computer-Vorlage quasi "ausdrucken" lassen.

Thomas Schütz mit Schutzschirm

Thomas Schütz mit Schutzschirm

"Ich habe von einer Bekannten erfahren, dass Ihre Zahnärztin nicht mehr praktizieren kann, weil sie keine Schutzmasken mehr bekommt", sagt Schütz. Etwa zeitgleich habe er ein Projekt des 3D-Drucker-Herstellers "Prusa" im Internet entdeckt, bei dem kostenlos digitale Baupläne für Gesichts-Schutzschirme angeboten wurden, und einen Entschluss gefasst. "Ich habe auf Facebook in regionalen Gruppen einen Aufruf gestartet und gleichzeitig meine Kontakte in der Modellbau-Szene aktiviert", erzählt der 28-Jährige.

Die Drucker stehen nicht mehr still

An nur einem Wochenende stellte der junge Landshuter so ein niederbayernweites Netzwerk an 3D-Drucker-Besitzern auf die Beine, um Schutzschirme zu fertigen. Dann schmissen die Tüftler ihre Maschinen an - und die stehen seitdem nicht mehr still: "Ich selbst habe bereits 50 Maskenhalter gefertigt und das Team hinter mir schon über 150, Tendenz steigend", erklärt Schütz. Als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Landshut fand er auch schnell eine Menge Abnehmer für die Schutzschirme. "Mein Zugführer hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass andere Feuerwehrkameraden und der städtische Katastrophenschutz dieselbe Idee hatten wie ich", erinnert sich Schütz. Jetzt bezieht die Feuerwehr ebenso seine Schutzschirme wie andere Hilfsorganisationen, Ärzte und auch Krankenhäuser.

Im 3D-Drucker entsteht eine Schutzschirm-Halterung nach digitaler Vorlage aus dem Internet.

Im 3D-Drucker entsteht eine Schutzschirm-Halterung nach digitaler Vorlage aus dem Internet.

"Eine seelische Brotzeit"

"Es läuft unglaublich gut - und es ist eine seelische Brotzeit, wenn man mit seinen technischen Spielerein etwas Gutes in dieser schwierigen Zeit leisten kann", sagt der 3D-Tüftler. "Gleichzeitig ist es erstaunlich, wie schnell man wildfremde Menschen in einer Whatsapp-Gruppe für die Sache begeistern kann." Schlaf sei aktuell bei vielen Mangelware, fügt er an. Samstag vor einer Woche habe die Aktion begonnen, direkt am Montag darauf konnte Schütz bereits 100 Masken in der Region "ernten" und an den Katastrophenschutz übergeben.

Die Freiwillige Feuerwehr der Stadt Landshut ist stolz auf ihr findiges Mitglied: "Es ist für uns natürlich eine große Hilfe, dass wir in derart schwierigen Zeiten, in der überall händeringend nach Schutzausstattung gesucht wird, auf das Engagement und die Ideen unserer Aktiven zählen können", heißt es dort. "Wir sind sehr froh, dass unsere Aktiven hier eine derart tolle Aktion gestartet haben, gemeinsam mit vielen Mitstreitern schnell und unbürokratisch für Nachschub der dringend benötigten Masken gesorgt haben und weiter sorgen werden."

Behelfsmasken, Quarantänemusik und Krisen-Poesie

Der Quarantäne-DJ

Für Philipp Sutter aus Regensburg hat die aktuelle Coronavirus-Lage für einen unerwarteten Popularitäts-Schub gesorgt. Der 23-jährige Jura-Student ist unter dem Künstlernamen "Leon Line" normalerweise in zahlreichen Clubs der Region als DJ unterwegs und hat die Ausgangsbeschränkungen genutzt, um daheim kreativ zu werden. In Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Sänger Nino Lucarelli produzierte er den tanzbaren Electro-Song "Save Myself", in dem er auch die Krisensituation behandelt. "Das Lied verarbeitet ein Stück weit die Isolation, die jeder von uns aktuell erlebt", erklärt Sutter.

Nachwuchs-DJ Philipp Sutter landete (auch) dank Ausgangsbeschränkungen überraschend weit oben in den Charts von "Spotify".

Nachwuchs-DJ Philipp Sutter landete (auch) dank Ausgangsbeschränkungen überraschend weit oben in den Charts von "Spotify".

"Im Text heißt es 'Everyday feels like I'm starting again' - ein Gefühl, das momentan wohl jeder nachvollziehen kann", sagt der 23-Jährige. "Der Quarantäne ist geschuldet, dass bei den meisten jeder Tag gleich abläuft, auch bei mir. Dadurch fühlen sich viele in einer Dauerschleife gefangen, in der sie nicht so genau wissen, wie, ob und wann es weiter geht." Dieser negativen Stimmung habe er mit dem Song etwas Positives entgegensetzen wollen, "um die Menschen da rauszuholen und sie ein bisschen von ihrem Alltag abzulenken."

Dank Quarantäne in die Charts

Seit der Veröffentlichung am Freitag wurde "Save Myself" bereits mehr als 10.000 mal auf Spotify angehört - für einen Newcomer wie Sutter ist das außergewöhnlich, wie er sagt: "Das Lied ist bis auf Platz 12 in den deutschen iTunes Dance Charts gestiegen und hat im Ranking aller Musikgenres Platz 72 belegt." Dabei hat wohl auch die Quarantäne geholfen, vermutet der junge DJ: "Viele sitzen gerade zuhause und versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Ich denke, dass das auch ein Faktor ist, der meine Nummer so weit nach oben gebracht hat." Das Lied komme aber nicht nur bei jungen Leuten gut an, viele neue Fans seien auch schon um die 50.

Wenn Sie jetzt Lust auf Quarantäne-Tanzen bekommen haben, können Sie "Save Myself" hier auf Spotify anhören: https://leonline.lnk.to/SaveMyselfLe.

Die Netzwerkerin

Etwas handwerklicher geht es in einem Helfer-Netzwerk rund um das Thema Gesichtsmasken im Landkreis Freyung-Grafenau zu. Hier heißt die Initiatorin Marina Pretzl, Mitbetreiberin der Textilfirma "WaidlaStoffe" in Perlesreut. Ihr Engagement begann zunächst mit einiger Skepsis, wie sie sagt: "Wir wollten uns mit solchen Aktionen eigentlich zurückhalten, aber als die Kinderklinik angefragt hat, wollten wir dann auch nicht Nein sagen." Denn die Passauer Kinderklinik, für die Pretzls Firma vergangenes Jahr schon einmal eine Benefiz-Näh-Aktion gestartet hatte, war in Not: Ausgelöst durch die Coronavirus-Krise herrschte Mangel an Mundschutzmasken und Schutzkitteln.

Helferin Marina Pretzl mit ihren Behelfsmasken aus "waidlerischer" Produktion.

Helferin Marina Pretzl mit ihren Behelfsmasken aus "waidlerischer" Produktion.

"Da haben wir gesagt: Die Möglichkeit, Material zu beschaffen, haben wir ja mit dem Stoffgeschäft", erinnert sich Pretzl. Also klemmte sich die 31-Jährige hinter die sozialen Medien und begann zu netzwerken: Sie nahm ein Video auf, in dem sie um Unterstützung aus der örtlichen Näherinnen-Gemeinschaft bat - mit der Bitte, dieses weiterzuverbreiten. "So konnten wir einen 'Näherinnen-Pool' zusammenstellen und relativ schnell sehr viele Leute zusammenbekommen", sagt die Textil-Unternehmerin. Mittlerweile umfasse das Netzwerk 120 ehrenamtliche Näherinnen, die sogenannte ""Mund-Nasen-Behelfsmasken" und Schmutzkittel herstellten.

Tausende Masken, hunderte Kittel

Zunächst freute sich nur die Passauer Kinderklinik über die Unterstützung - aber die Aktion zog schnell weite Kreise, wie Pretzl erklärt: "Mittlerweile haben schon ganz viele andere Firmen und Pflegeeinrichtungen angefragt, die auch solche Behelfsmasken brauchen könnten." Seitdem düst Marina Pretzl kreuz und quer durch den "Woid", um die Masken bei ihren Helferinnen einzusammeln. Und das Arbeitspensum ist enorm: "Mit unserer neuesten Ladung Masken sind wir jetzt bei knapp 4.000 Stück. Dazu kommen nochmal 300 Kittel", sagt die Initiatorin. Eine Herkules-Aufgabe, die dank der Solidarität vor Ort aber machbar wird: " Das war tatsächlich nicht besonders schwierig, denn die Näh-Gemeinde hier bei uns ist gut vernetzt und arbeitet super zusammen", betont Pretzl. "Die Resonanz auf mein Facebook-Video war also auf jeden Fall sehr positiv."

Der Poet

Schutzschirme und Behelfsmasken sind jedoch nicht alles, was die Menschen in diesen Zeiten dringend brauchen; viele sehnen sich auch nach emotionaler Unterstützung oder der Möglichkeit, die tägliche Informationsflut zu verarbeiten. Einer, der sich daran versucht hat, ist Michael Ernest. Der 46-jährige Regensburger ist Lehrer für Deutsch, Geschichte, Sozialkunde und Ethik am Katharinen-Gymnasium in Ingolstadt - in seiner Freizeit aber auch Poet. "Ich schreibe seit Jahren jeden Tag Gedichte und habe daraus auch schon mal ein Buch gestaltet", sagt er. "Mit meinen Schülern habe ich im Rahmen der Schülerzeitung eine Poesie-Gruppe gegründet, mit der ich eigentlich am 18. März einen Poesie-Abend veranstalten wollte. Aber wir wissen ja, was da dazwischenkam..."

Freizeit-Poet Michael Ernest wohnt seit 25 Jahren in Regensburg und arbeitet als Lehrer an einem Ingolstädter Gymnasium.

Freizeit-Poet Michael Ernest wohnt seit 25 Jahren in Regensburg und arbeitet als Lehrer an einem Ingolstädter Gymnasium.

Als dann klar gewesen sei, dass die Schule für längere Zeit ausfallen würde, habe er mit seinen Schülern die Idee einer poetischen "Corona-Edition" entwickelt. "Es sind dann auch direkt am ersten Tag ein, zwei Gedichte zum Thema entstanden", erinnert sich der 46-Jährige und beschreibt die Motivation hinter der Idee: "Dieses Bedürfnis, sich zu artikulieren in der Krise, wollten wir einfach nutzen. Diese Ängste und Erfahrungen in Worte zu fassen, das war ein Ziel für uns."

In die Gedicht-Reihe "reingerutscht"

Ernest merkte schnell, dass sich im Angesicht der Krise auch in ihm ein großer Mitteilungsdrang aufgebaut hatte: "Am Samstag nach der Bekanntgabe der Schulschließung habe ich dann mein erstes Corona-Gedicht geschrieben und in den sozialen Medien geposted - dann gleich ein zweites hinterher, dann kam der dritte Text und so fort." So entstand - eher zufällig, wie der Hobby-Dichter betont - eine insgesamt 15-teilige "Corona-Reihe", die er täglich auf Facebook und Instagram publik machte. Die wichtigsten Themen: Persönliche Eindrücke in Zeiten des Ausnahmezustands, Gedanken zur eigenen Situation und nicht zuletzt: Hoffnung.

Ernest postete seine Corona-Gedichte in grafischer Form auf Facebook und Instagram.

Ernest postete seine Corona-Gedichte in grafischer Form auf Facebook und Instagram.

Michael Ernest schreibt laut eigener Aussage "seit vielen Jahren" Gedichte. In seine bisher erste und einzige Poesie-Reihe sei er aber in den turbulenten Corona-Tagen "eher so reingerutscht", sagt er. "Das finde ich eigentlich passend zur momentanen Situation, weil wir ja alle nicht genau wissen, was da mit Corona noch so auf uns zukommt."

"Was du da geschrieben hast, das kann ich nachvollziehen"

Dass seine künstlerische Auseinandersetzung mit der Corona-Krise bei vielen Menschen "einen Nerv getroffen" hat, merkte der dichtende Lehrer anhand der Reaktionen auf seine Social-Media-Posts. "Da haben sich Leute bei mir gemeldet, von denen ich seit Jahren nichts gehört hatte", erinnert er sich. Momentan passiere naturgemäß ja sehr viel im Netz und die Menschen hätten ihre eigenen Formen des Umgangs mit der Krise, vermutet Ernest: "Manchen hilft das möglicherweise auch, das Geschehen und sich selbst besser zu verstehen - die sagen dann vielleicht, was du da geschrieben hast, das kann ich nachvollziehen."